JETZT!
EIN SUBREALISTISCHES MANIFEST
bye bye, kleines Glück
erledigt die synthetische Zeit
bombardiert die vororte des Schlafs
sprengt die city des traums
edition nautilus
In unseren Tagen scheint jedes Ding mit seinem Gegenteil schwanger zu geben. Wir sehen, dass die Maschinerie, die mit der wundervollen Kraft begabt ist, die menschliche Arbeit zu verringern und fruchtbarer zu machen, sie verkümmern läßt und bis zur Erschöpfung auszehrt. Die neuen Quellen des Reichtums verwandeln sich durch Verlust an Charakter. In dem Maße, wie die Menschheit die Natur bezwingt, scheint der Mensch durch andre Menschen oder durch seine eigne Niedertracht unterjocht zu werden. Selbst das reine Licht der Wissenschaft scheint nur auf dem dunklen Hintergrund der Unwissenheit leuchten zu können. All unser Erfinden und unser ganzer Fortschritt scheinen darauf hinauszulaufen, dass sie materielle Kräfte mit geistigem Leben ausstatten und das menschliche Leben zu einer materiellen Kraft verdummen. Dieser Antagonismus zwischen moderner Industrie und Wissenschaft auf der einen Seite und modernem Elend und Verfall auf der anderen Seite, dieser Antagonismus zwischen den Produktivkräften und den gesellschaftlichen Beziehungen unserer Epoche ist eine handgreifliche, überwältigende und unbestreitbare Tatsache.
Einige Parteien mögen darüber wehklagen; andere mögen wünschen, die modernen technischen Errungenschaften loszuwerden, um die modernen Konflikte loszuwerden. Oder sie mögen sich einbilden, dass ein so bemerkenswerter Fortschritt in der Industrie eines ebenso bemerkenswerten Rückschritts in der Politik zu seiner Vervollständigung bedarf. Wir für unser Teil verkennen nicht die Gestalt des arglistigen Geistes, der sich fortwährend in all diesen Widersprüchen offenbart. Wir wissen, dass die neuen Kräfte der Gesellschaft, um richtig zur Wirkung zu kommen, nur neuer Menschen bedürfen, die ihrer Meister werden und das sind die Arbeiter. Sie sind so gut die Erfindung der neuen Zeit wie die Maschinerie selbst. (...)
Im Mittelalter gab es in Deutschland ein geheimes Gericht, Femegericht genannt. Es existierte, um die Untaten der herrschenden Klasse zu rächen. Wenn man ein Haus mit einem roten Kreuz gezeichnet fand, so wusste man, dass der Besitzer von der Feme verurteilt war. Alle Häuser Europas sind jetzt mit dem geheimnisvollen roten Kreuz gezeichnet. Die Geschichte ist der Richter - ihr Urteilsvollstrecker der Proletarier.
Karl Marx, Rede auf der Jahresfeier des People's Paper", 14. April 1856
Collection Subrealist
JETZT!
per aspera ad astra
verfasst von der Subrealistischen Bewegung für die neueren Feldzüge der kritisch-praktischen Theorie
Publiziert bei
Edition Nautilus
Editorische Notiz: Vorliegendes Buch ist zwischen dem Frühjahr 1978 und Sommer 1979 von den Subrealisten kollektiv verfasst worden. Zur Drucklegung wurde die dritte Fassung verwendet.
Originalausgabe
Edition Nautilus
Verlag Lutz Schulenburg
Hassestr. 20
205 Hamburg 80
1. Auflage 1979
ISBN 3-921 523-46-X
Printed in Germany
Klappentext hinten:
Jeden Morgen beginnt ein neuer Tag, der dem anderen gleicht. Die Menschen erzählen sich ihre Träume und erleben den generalisierten Alptraum. Sie scheitern wie Fliegen, überleben dahin und sterben wie diese Gesellschaft durch sich selbst gestorben ist. Die heutige Welt ist ein Totenhaus. Seit 1968 ist das stabile Zeitalter vorbei, die in Waren aufgelöste Gesellschaft begann unter dem Sturm der Verneinung sich selbst negativ zu betrachten. Ging vorher alles positiv voran, war die Gesellschaft ein offizielles Paradies des Glücks, so geht ab 1968 alles negativ vonstatten, ist die Gesellschaft ein Zustand glückseliger Traurigkeit geworden. Niemand verschweigt mehr, dass es mit dieser Welt auf die eine und andere Weise abwärts geht. Wenn wir nicht diese Tage ohne Ende verlängern wollen, müssen wir diesen Tagen ein Ende machen, müssen die Negativität zuende bringen. Unsere Revolution muss die letzte sein. Wie diese revolutionären Perspektiven des Umsturzes heute aussehen und über welche Hilfskorps die spektakuläre Gesellschaft noch verfügt nach den Feldzügen von 1968, alle beunruhigenden Geheimnisse dieser Zeit, die nicht unsere ist, enthüllt diese Veröffentlichung, die das verschwiegene Programm der langen Revolution ist, die am warmen Morgen des Jahres 1968 begonnen hat und nun auf rauhen Wegen durch die Nacht zu den Sternen zieht.
VORREDE
Im übrigen versichern wir den Lesern dieser Seiten, dass es uns nicht darauf ankommt, mit den Vertretern verschiedener Grade spezialisierter Delirien zu diskutieren in der Art wissenschaftlicher Streitschriften, dem Traktatdienst für subalterne Mitglieder geistiger Zuchtanstalten, noch dass wir liberal Raum für Relativitätspathetiker einzuräumen gedenken, sondern dass es uns allein auf das kategorische Urteil ankommt, das es zu fällen gilt, und darauf, dies schleunigst als konzentrierte Gärhilfe in die praktischen Kämpfe einwirken zu lassen.
Denn wir leben in dieser Welt nicht zum Vergnügen, weil sie uns um alle Vergnügungen bringt und es uns folglich auch nur darum gehen kann, das zu beseitigen, was uns daran hindert, diese ganz zu erleben.
Das richtige Leben in einer fälschenden Gesellschaft ist genauso unerträglich wie ein fälschendes Leben in einer richtigen Gesellschaft. Beides, das Leben und die Welt, müssen verlassen und neu erfunden werden. Dazwischen bleibt heute keine Wahl.
Bisher konnten wir unsere Kräfte nur unterschiedlich erproben, es kommt aber darauf an, sie zu gebrauchen, will man sie nicht weiterhin nur verschieden interpretieren, wie bisher.
Bye-bye, kleines Glück!
Fahr zu Hölle, Gleichlauf!
Erledigt die synthetische Zeit!
Bombardiert die Vororte des Schlafes,
sprengt die City des Traums!
Ein Leben ohne Tod, ein Tod ohne Leben!
LICHTER UND IRRLICHTER
Die einen sehen in allen irdischen Dingen nur einen trostlosen Kreislauf; im Leben der Völker wie im Leben der Individuen, in diesem, wie in der organischen Natur überhaupt, sehen sie ein Wachsen, Blühen, Welken und Sterben: Frühling, Sommer, Herbst und Winter. "Es ist nichts Neues unter der Sonne!" ist ihr Wahlspruch; und selbst dieser ist nichts Neues, da schon vor zwei Jahrtausenden der König des Morgenlandes ihn hervorgeseufzt. Sie zucken die Achseln über unsere Civilisation, die doch endlich wieder der Barbarei weichen werde; sie schütteln den Kopf über unsere Freiheitskämpfe, die nur dem Aufkommen neuer Tyrannen förderlich seien; sie lächeln über unsere Bestrebungen eines politischen Enthusiasmus, der die Welt besser und glücklicher machen will und der doch am Ende erkühle und nichts fruchtet; in der kleinen Chronik von Hoffnungen, Nöthen, Mißgeschicken, Schmerzen und Freuden, Irrthümern und Enttäuschungen, womit der einzelne Mensch sein Leben verbringt, in dieser Menschengeschichte sehen sie auch die Geschichte der Menschheit.
Heinrich Heine
Die Zukunft dringt an immer mehr Stellen in die Gegenwart ein. Die Vergangenheit verschwindet darum freilich nicht einfach; sie hinterlässt ihre Relikte. So entsteht eine neue Epoche noch nie gesehener Ungleichzeitigkeiten.
Ossip K. Flechtheim, Vom Fug und Unfug der Futurologie, 1970
Die Revolution hat uns, damalige Parteileute, wie die törichten Jungfrauen des Evangeliums schlafend überrascht.
Mstislawski, 1917
Fast unbeachtet von der italienischen Öffentlichkeit, (...), wurde ein Gesetz verabschiedet, das tief in die Gesellschaft eingreift. Alle staatlichen Irrenhäuser, in denen zum Teil noch mit längst überholten Methoden gearbeitet wird, sind zu schließen. Ihre Insassen sollen im Laufe einer Übergangszeit wieder in die Gesellschaft eingegliedert werden. (...) Besonders in Norditalien fanden sich immer mehr junge Ärzte, die es sich zum Ziel gesetzt hatten, geistig kranke Menschen aus ihrer Isolation zu lösen, mit ihnen in Kontakt zu kommen und ihnen allmählich zu einer Rückkehr in die Welt der Normalen zu verhelfen.
Frankfurter Rundschau, 9.6.1978
(...) die allseitige Entfaltung der Fähigkeiten jedes Einzelnen (...) verwirklicht bereits mitten im Krieg partiell die neue Gesellschaft und den neuen Menschen (...) Die führend am Partisanenkampf Beteiligten erfahren dabei eine Einübung in Demokratie, die die Revolution nach dem militärischen Sieg vor einer Entfremdung zwischen Staatsmacht und Volk bewahrt. Dies Moment von radikaler Demokratie in der Guerilla-Strategie ist die Ursache dafür, dass die chinesische, die vietnamesische und die cubanische Revolution vor dem Zerfall in Stalinismus und Bürokratismus bewahrt bleibt.
Bahman Nirumand, Die Avantgarde der Studenten im internationalen Klassenkampf
Manchmal muss die Demokratie im Blut gebadet werden.
Pinochet, 1973
Für die vorzeitige Einführung in den Prozeß der Befreiung von der Arbeit (...) Indessen denkt man in Dänemark ganz im Ernst an ein solches Modell. Und nicht etwa bei den Hippies, sondern in Regierungskreisen. Und wir halten uns bei einem Plan zur vorzeitigen Einführung in erfundene Arbeitsprozesse auf.
Alice, Zut, A/Traverso, Diskussionspapier, Bologna-Roma, 1978
Alle Berufstätigen in der Bundesrepublik sollten nach Meinung des Vorsitzenden der CDU-Sozialausschüsse, Norbert Blüm, künftig die Möglichkeit erhalten, ein Jahr durchgehenden bezahlten Urlaub zu nehmen. Im Süddeutschen Rundfunk Stuttgart meinte Blüm am Wochenende, bei der Einrichtung eines solchen "Sabbat-Jahres", mit dem auch die Arbeitslosigkeit abgebaut werden könne, müssten allerdings die Arbeitnehmer dann auf einen Teil der Lohnzuwächse verzichten.
Frankfurter Rundschau, 23.4.79
Es ist nichts mehr, ein ödes und trauriges Chaos, das in der Schnelligkeit der Verwandlung Originalität vortäuschen will, deren Sinn nicht einmal diejenigen verstehen, die als verantwortliche Leiter der Miseren Scene mehr sein sollten als imitierte Dollarmaker.
Richard Huelsenbeck, Afrika in Sicht, 1928
Der neue Sozialisationstyp ist nicht von den Inhalten her zu beurteilen, die er wählt und mit denen er sich nicht zu identifizieren vermag, sondern von den neuen Möglichkeiten her, die ihm seine Art eröffnet, Mittel zu wählen!
Herbert Nagel, Hommage à Jules Valles, 1978
Nicht Revolution des Systems bringt uns meines Erachtens jetzt weiter, sondern Evolution des Menschen. Nicht die Demokratie zerstören, sondern die Menschen befähigen, damit umgehen zu lernen, um die Möglichkeiten, die diese Staatsform bietet, noch besser auszuschöpfen. Nicht einander verteufeln, sondern verständigen. Nicht Konfrontation, sondern Kommunikation. Nicht nur Analyse, sondern vermehrt Synthese. Statt Destruktivität, mehr Konstruktivität. Wir brauchen nicht Feindbilder, sondern beispielgebende Modelle. Nicht Gruppeninteresse n, sondern ganzheitliches Bewusstsein. Nicht nur kritische Sympathie, sondern kritisches Engagement. Es gibt nichts Gutes außer man tut es!
Leserbrief im Blatt, Stadtzeitung für München, No. 139
Ihr beiläufiger Ton verriet kaum Furcht noch Scham. Als ich auf der High School war, hatten wir Angst davor, mit einem Lehrer zusammenzustoßen. Heute fürchten sich die Lehrer vor einem Zusammenstoß mit ihren gefährlichen Schülern. Für den Besucher ist dieser Wandel verblüffend; aber wahrhaft schockierend ist die resignierte Haltung dieser Lehrerin. Sie hatte es hingenommen, dass Lebensgefahr zu ihrem Beruf gehörte.
Die Zeit, Krieg in New York, April 1979
Erwachsene sollen Kindern, das finden die Anti-Pädagogen, auch nicht ihre Meinung aufzwingen; zum Beispiel sagen: "Nein, es gibt keinen Gott", sondern sie sollten immer klar machen, dass es über fast alle Dinge ganz viele Meinungen gibt ("Manche Leute glauben, es gibt einen Gott, andere glauben, es gibt keinen") oder auch einfach mal sagen: "Ich weiß es nicht."
Frankfurter Rundschau, 27.1.79
Wir stehen einer Kolonisation der Zukunft durch die modernen Produktionssysteme gegenüber, welche Zukunftsforschung als eine Methode der Sozialtechnik zur Vermeidung ökonomischer Krisen braucht.
Die Entwicklung der modernen Industrie ... braucht langfristige Investitionen, weshalb planender Kapitalismus eine "objektive" Notwendigkeit wurde, Dies bedeutet, dass Planung - die ursprünglich eine Idee der Linken war in die existierende Ordnung integriert wurde...
Nicht nur die Planer, sondern auch die Futurologen verstärken die Tendenz in Richtung auf einen planenden Kapitalismus und dienen damit einer destruktiven, autoritären, repressiven und inhumanen Gesellschaft ...
Bart van Steenbergen,
International Future Research Conference, Kyoto, 1970
"Das richtige Fortbewegungsmittel für alle Ökos, Spontis, AntiImpis, Stadtindianer, Altsozis und sonstigen Chaoten. Nur Scheiße, dass es der Kapitalismus erfunden hat." Sagt Lemmy der Große, der es jetzt wissen muss.
Aus einer Anzeige für Suzuki-Motorräder, 1979
Heiner Geißler: Wir wollen mit der menschenverachtenden Devise von Lenin in unserer staatlichen Praxis Schluss machen, der sagt: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Bei uns muss es umgekehrt heißen: Kontrolle ist gut, Vertrauen ist besser. Der Staat darf den Bürger nicht ständig als potentiellen Betrüger behandeln.
Propagandazeitung der CDU zur Europa-Wahl, 1979
Wenn der Mensch nicht bald die Fähigkeit erlangt, das Tempo der Veränderungen auf individueller und auch auf gesellschaftlicher Ebene zu beeinflussen, werden wir nicht mehr imstande sein, uns auf die neuen Gegebenheiten einzustellen, und es wird zu einer Katastrophe kommen.
A. Toffler, Der Zukunftsschock, 1970
Sein ganzes Leben lang war Bergson von der Idee besessen, dass unser Verstand sich eine falsche Vorstellung von dem wirklichen Charakter unserer Zeit mache.
Louis de Broglie, 1949
Jeder findet, wenn er morgens aufwacht, das ganze Chaos seiner Zeit wieder, tausendmal reduziert auf das Mittelmaß einer privaten Beunruhigung.
Paul Nizan, 1932
Der Club ist der Club, in dem man bestimmt sein Kränzchen von Gleichgesinnten findet. Auf dem Trimm-Trab. Auf dem Selbstbesinnungs-Trip. Auf dem Barhocker. Im Lotussitz. An der Töpferscheibe. Am Schießstand. Beim Tauchen, beim Tanzen, beim Tennis, heim Träumen.
Traumhaft, wie breitgestreut die Interessen der Club-Individualisten sind. Traumhaft, mit welcher Toleranz man sich begegnet.
So schlagt denn auch keiner die Hände über dem Kopf zusammen, wenn man sich statt Schiffeversenken lieber dem Spiel hingibt, sich in sich selbst zu versenken. Was dem einen Judo, ist dem anderen Yoga. Was dem einen heiße Diskussion, ist dem anderen stille Meditation.
Der Club hat Platz für alle. Und einen Kranz von Dörfern an den schönsten Stellen der Welt. Ein Grund für Sie, in diesem bunten Reigen mitzuwirken.
Urlaub wie im Paradies - nur nicht so einsam.
Aus einer doppelseitigen Anzeige vom Club Mediterranee
Ich glaube also, dass man sich auch überlegen muss, wo man seine Ziele auf das Realisierbare einstellen kann oder einstellen muss. Ich bin bereit, auch alternative Kulturen zu verteidigen und die Mehrheit aufzufordern, sie zu tolerieren, wie ich überhaupt glaube, dass wir eine größere Toleranz der unterschiedlichen Lebensstile in unserer Gesellschaft brauchen; aber dies hat natürlich zur Voraussetzung, dass diese alternativen Kulturen den mainstream, die Mehrheitskultur, zumindest nicht aggressiv angreift und nicht versucht, die eigene Lebensart anderen Leuten aufzuzwingen. Dann können wir vielleicht zu einer Koexistenz und zu einem modus vivendi zwischen Menschen mit unterschiedlichen Wertsystemen kommen.
Senator Glotz, Radikal No. 35, 1978
Einer von ihnen artikulierte seinen Unwillen über den linken "Herrn Professor" deutlich mit den Worten, er sei "allergisch" gegen das Wort "lohnabhängig". "Wir Firmeninhaber sind kaufabhängig" hielt er Ernest Mandel entgegen, und auch ein Kranker sei abhängig, nämlich von dem, der ihn pflege (...) So wird er wohl kaum zu dem nächsten Spektakulum dieser Art in ein Frankfurter Hotel reisen, wenn nämlich der "rote" Jochen Steffen sich ein Zubrot zu seinen Ruhestandsbezügen verdient, indem er den bildungshungrigen Wirtschafts-Bossen "Marxistische Grundbegriffe" beibringt. Geplant sind dabei auch "Übungen zur Diskussion mit Marxisten (Video-Rekorder)"; die Gebühr betragt 950 Mark für zwei Tage.
Frankfurter Rundschau, 3.3.79
Cuba, Vietnam, Nordkorea; drei unterentwickelten Ländern ist es gelungen aufzubauen, was jenem Feind am verhaßtesten ist: eine sozialistische Gesellschaft.
Peter Weiss, Che Guevara! Kursbuch 11, 1968
Ich habe nach meinem Aufenthalt in Persien die Staaten (des Golfes) besucht und ihnen versichert, sie hätten durch die Revolution im Iran nichts zu befürchten.
Jassir Arafat, Spiegelinterview, 19/1979
Eine revolutionäre Wissenschaft für die Gegenwart und für die Zukunft der Metropolen gibt es nicht.
Hans Magnus Enzensberger, Berliner Gemeinplätze, 1968
ZWISCHEN DEN ZEITEN
Die Welt ist verändert, ohne dass sie eine andere geworden ist. In der vergangenen Dekade ist eine Epoche im kurzlebigen Atem einer anderen untergegangen. Nichts klappt mehr, nichts erscheint sicherer, als dass alle Sicherheiten, treue Ergebnisse und Wahrheiten, die das Gebräu von Leben darstellen, keine Wirklichkeit mehr haben.
Diese Zeit ist weder unsere noch ihre. Das geschichtlich angehäufte Bewusstsein und das Verschwinden der Bourgeoisie als Klasse, unter Zurücklassung ihrer Vormachtstellung, hat einen gesellschaftlichen Zustand erzeugt, in dem nur noch ein illusionäres Bewusstsein über die Wirklichkeit der Gesellschaft herrscht. Seit 50 Jahren bewegt sich diese Welt an ihrer Zeitwende, sie hat alles zurückgelassen, was vergangene Jahrhunderte hervorbrachten, und doch nichts von diesem überwinden können, alles liegt angehäuft, aber nicht mehr funktionierend, herum.
Kleine abendliche Apokalypsen jagen am televisionären Horizont.Seit 10 Jahren ist dieses alte Wrack schwindsüchtig. Wie bei jeder Erkrankung folgen Besserung und Rückfall in bestimmten Intervallen. Wie Kartenhäuser brachen die letzten orthodoxen Regime zusammen, es bewahrheitet sich, dass Goya Spanier war und ein dunkles Museum der Ahnungen füllt. Spanien, diese sehnsuchtsvolle Hoffnung am Ende des Rückzugs, am Abend der alten Arbeiterbewegung, als ihre letzten Schüsse fielen, mitten vor dem Walhall des 19. Jahrhunderts, ist demokratisch geworden.
Portugal ging voran, aufgeladen von für die Macht beunruhigenden Perspektiven. Vietnam und andere asiatische Randstaaten verschwanden als moralische Magnetnadeln aus der spektakulären Warenwelt in die Sphäre konzentrierter Macht. Afrika liegt nicht mehr unter dem Tropenhelm. Die Kristallbadewanne des Schahs ist zersprungen. Das Rosenwasser aus Schiras kann morgen schon die orientalische Welt überspülen. Die Krise des Islams ist sein letzter Sieg, dieser Sieg bestätigt die Warenproduktion und ist seine wirkliche Niederlage, indem dieser nur gegen einen Zustand opponiert, ihn aber nicht mehr beseitigen kann. Die Religion ist zwar der Staudamm, nur die Leidenschaften, die er zurückhält, sind schon das, was nicht mehr im Koran gefangen ist.
Alles bebt mitten in der herrschenden Ruhe. Der Wahnsinn schleicht durchs Weiße Haus, und die Macht öffnet die Irrenhäuser, an sich selbst irre gewordenen. Die Anden sind nicht mehr Höhen und Täler, über deren Kämme die Revolution klettert, um den Kontinent Columbus' langsam anzusengen. Die Städte sind mörderisch ruhig. Alles, was sich bewegt, sind altmodische Ventilatoren in schlecht eingerichteten Hotelhallen. Man spielt hier Conquisquadores, noch einmal einen Tango, diesen langgedehnten Schmerz: Zum Abschied. Amerika ist nicht weitergekommen. Es erlebt nur verschiedene Arten ideologischer Experimente.
Pinochet und Guevara, zwei Wahlstätten Lateinamerikas: Guevara war der Traum vom bewaffneten Staat mit utopischer Vision, Pinochet ist die bewaffnete Vision des Staates ohne Utopie.
Die verschiedenen klassischen Industriezonen leiden an eingebildeter Hoffnung, ein Zustand, der seine Logik im Vergehen als erwiesen betrachtet. Die Wirklichkeit: eine zukünftige Vergangenheit, die Gegenwart: Erinnerung an glorreiche Zeiten. Draußen vor der Tür: Marginalisierte. Rohmaterial zur Aufstellung globaler reformistischer Hilfskorps. Rekruten für morgen, spektakuläre Opfer zum Tagesgeschehen. Das versubjektivierte Opfer.
Die verschwommenen Statusplätze erscheinen in dieser ihrer diffusen Konturlosigkeit überdeutlich, in der Halt aus dem Willen zu überleben kommt. Manche Kämpfe werden deshalb darum geführt zu sagen, dass der Kaiser keine Kleider mehr habe und wie am naiven Tag dieser Aufklärungsformel spielt jeder die Rolle des skandalös Berührten. Natürlich verteilt, obgleich sich alle dessen bewusst sind, dass die differenten Positionen sich kaum von der Ausgabe von Karten bei einem mittelmässigen Pokerspiel unterscheiden. Es ist die Steigerung aber, die dieses gegenwärtige Spiel des Zufalls aus Ohnmacht beherrscht, denn während beim Pokern jeder weiß, dass es nur um den Bluff geht, jeder sich seiner Möglichkeiten bewusst ist, ist der Bluff hier selbst zum Bewusstsein geworden.
Das Spektakuläre ist das Gegenteil von Übertreibung. Dies ruhige Bild der Einheit in Vexierform.
Die verschiedenen Ergebnisse der letzten Klassenkämpfe, Formen der gegen die Gesellschaft geführten Angriffe und die Abwehrmaßnahmen sind nicht mehr verschieden interpretierbar. Die Gesellschaft ist durch ihre Dynamik vom Positiven ins Negative geraten. Die anti-gesellschaftlichen Strömungen vom Negativen ins Positive. Alles spielt sich zwar in dieser umgekehrten Weise ab, aber dennoch sind nicht alle Spiele im selben Patt gefangen. Mobilisierbar erscheint vieles, je nach den verschiedenen Standorten, ist es aber nicht. Das Gegenteil, die fast komplette Immobilität unter einer scheinbaren Leichtfüßigkeit, drückt die gesellschaftlich geschaffene Passivität aus, in individueller Wahllosigkeit alle offiziellen und inoffiziellen Kräfte der Konterrevolution zu beunruhigen.
Der sogenannte neue Sozialisationstyp ist das valiumnöse Menschlein, er ist aber nur insoweit ein Zustand des Befreiten und der freien Möglichkeiten, wie er nichts mehr zum Feind hat außer sich selbst. Dies bewusstlose Traumprodukt ist ganz Ergebnis einer geträumten Zeit. Er ist illusionär, weil sein Zustand der eines illusionären Raum-Zeit-Empfindens darstellt. Zwischen ihm und der Gesellschaft herrscht der Konsens des angehäuften Nichts, mit dem man zurechtkommt, indem eine kurzlebige Rückkehr zur Positivität möglich wird, wo man ganz bei sich, ganz bei den Dingen ist. Nur eine verunsicherte Kritik, die jegliche kritische Praxis verloren hat, kann das als Endzustand betrachten, was nichts als eine der möglichen Formen hoffnungsloser Identität ist. Gleichermaßen, allerdings affirmativ, begreift eine in den Pessimismus getriebene Position dies als Freiheit gegenüber der eigenen Niedergeschlagenheit: Alles wahrzunehmen, selbst dann, wenn es nur die reinen Möglichkeiten des Warengenusses sind.
Die Mobilisierung innerhalb dieser gesellschaftlichen Situation hat eine globale Einheit von dilettantischer Nichtigkeit erreicht. Darin liegt eine tiefgreifende Vereinheitlichung innerhalb dieser Epoche, die bis zur Lähmung jeglicher Bewegung vorangeht, so dass ein Klima des "Barbarischen Ausbruchs" durch einen ambivalenten Nihilismus möglich erscheint.
Der Staat ist dort in der Initiative, wo er es verstand, die historische Aktion durch eine Zuhilfenahme der alten ideologischen Fesselungen, die die geschichtliche Aktion trotz ihrer schöpferischen Zerstörungswut nicht total tilgte, für sich erneut nutzbar zu machen. In den Momenten, in denen die geschichtliche Bewegung, die globale und auf ein totales Projekt des ganzen Menschen hinzielende bewusste Perspektive ins Stocken geriet, die Besetzungen sich im Leerlauf von Defensiven verfingen und vom Machen zum Wiederholen der Geschichte übergegangen wurde, erhob sich die ideologische Hydra mit ihren verschiedenen vermoderten Fratzen. Das Schauspiel der Revolution als Repräsentation von Vergangenheit war der Alp, aus dem nun die lebendige Schimäre der globalen Reaktion als Fortsetzung folgt.
Die Revolution wich einer Vorstellung ohne Macht, die Werbung holte sie ein, die alte Welt hatte ihre Atempause. Nur, zwischen den tiefen Zügen hört man das Pfeiffen ihrer zerplatzten Lungenflügel. Alles klingt schrill. Machiavelli wusste, dass man den Feind ganz vernichten muss, wenn man sich seines Sieges sicher sein will, und dass, wer verhandeln muss, schon seine Schwäche zeigt, die eine Niederlage einschließt.
Diese Welt, in viele Abwehrkämpfe und Rechtfertigungszwänge geraten, manöveriert sich in die fatale Lage, revolutionär zu erscheinen und es medial zu werden. Von der fortschrittlichen Repräsentation zur Festigung der reinen Repräsentation des fortschrittlichen Nichts. Eine Art vierter Dimension. Diese wetteifernde Art des Daseins mit der Geschichte gelingt zwar für einen Moment, wie sich feststellen läßt, nur gibt es keinen geschichtslosen Zustand, wie er dadurch gedacht wird, als Angelpunkt der Geschichte gegenüber gelagert.
Selbst das staatliche Denken der Strukturalisten schafft dabei nicht mehr als eine Art geistiger 5. Kolonne, mit einer wesentlich größeren Wirkungslosigkeit allerdings als die, derer sich zu anderen Zeiten verschiedene Hilfsdenker bedienten. Dies liegt daran, dass sich die Strategien und Taktiken durch Wiederholung des gleichen Gebrauchs, durch die bloße Umdrehung und Gegenumdrehung in einer universellen Koexistenz befinden, in der sie sich gegenseitig paralysieren. Die Knechte der Ordnung sind heute so verschwommen wie ihre Arbeitgeber.
Die Geschichte ist weitergegangen, nicht als gleichmäßig abrinnende Zeituhr, sondern als Atomuhr, die die Zeiten qualitativ verändert. Die Zeit ist nur dort fest bis rückläufig, wo der Futurologismus Ersatz für Gegenwart ist und die tote Vergangenheit als Schlüsselbrett erscheinen muss, an dem verlorene Sehnsüchte vermutet werden. Je weniger der Gedanke bestimmend zu seiner Zeit ist, um so dringlicher schließt das vergangene Leben die Gegenwart ab: so wirkt dadurch alles bekannt, weil es eben schon Erlebtes ist, was sich nun selbsttätig wiederholt. Der Übertragungsverlust mythisiert diesen Vorgang, siedelt die Sklaverei, die Vergangenheit nicht revidieren, sondern wiederholen zu müssen, in den Bereich des neuschöpfenden Lebensstils an. So schläfern heute zwei Traumzeiten das wache Bewusstsein ein: Vergangenheit und Zukunft. Mythologie und Futurologie. Der Utopismus verkoppelt diese zwei Reiche.
Wie auf Geheiß unsichtbarer Telegrafensignale hin bricht und bröckelt das Alte, zersetzen sich Fundamente, geben unter ihrem Eigengewicht nach und fallen in sich zusammen. Seit dem tausendjährigen Reich ist die Zahlenwelt durcheinandergeraten: die Ewigkeit war vorbei, sie wird es bleiben. 1000=12.
Die reaktionäre Allianz, die vor 10 Jahren noch so einträchtig ihre Siege und Kriege unter sich ausmachte und feiern ließ, hat sich zu einer großen Hetzjagd verbündet, um gleichzeitig die Machthemissphäre und Stabilität neu zu sichern. Sie ist ihrer Verhüllung verlustig gegangen, die sie zusammenhielt wie die Bandagen eine Mumie.
Die Perspektiven falscher Begeisterung sind vorbei, da klingt nichts mehr nach. Das große Spiel der Enttäuschungen erweist sich als mittelmäßige Liebe zu den Täuschungen.
Die neuen Regimes in den aufgebenden Kolonialregionen tragen die alten Staatskleider und stören den Mut, an diese vielen ideologischen Vogelscheuchen weiterhin zu glauben:
den 1001. Weg zum Sozialismus
den Weg Kubas, Algeriens, Albaniens, Vietnams oder Okzetaniens
die barfüßige Komödie vom Machtkampf in China
die Versöhnung von unterentwickelter Produktionsweise und hochentwickelter Phraseologie.
Wenn der Glaube noch nicht fort ist, schickt er sich an, ins Requisitenkabinett der menschlichen Komödie zu verschwinden.
Sicher, die Zeit ist für viele abgelaufen, sie wussten zu wenig mit ihrer Zeit anzufangen. Aber dadurch ist nur das abgelaufen, was nicht mehr auf dem Spiel stand und das, was durch die fälschende Überlagerung verdeckt wurde. Die Revolution vorbei? Soziologengewäsch von gestern, aufgewärmt in einer mythisch verputzten Mittelmäßigkeit.
Während wir an diesen uns selbst beinahe erschreckenden Passagen arbeiteten, konnten wir uns einer Art von Beklemmung - wir wollen es nicht gerade Angst nennen - nicht erwehren.
Eugene Sue, Vorwort zu den Geheimnissen von Paris, 1842
Fassen wir die Autoritätskrise also als den Zerfall entleerter Ordnungen auf die nur mehr durch die Macht stabilisierbar sind (...).
Joseph Bader, Institution der Autorität in der Industriekultur
Den Ergebnissen der Kreativitätsforschung zufolge zeichnen sich kreative Menschen vor allem durch folgende Eigenschaften aus:
sie haben eine breite Interessenbasis;
sind selbstbewusst und autonom;
ihr Verhalten ist undogmatisch und nonkonformistisch;
sie nehmen eine offene Haltung gegenüber der Umwelt ein;
sie denken selbständig und aufgabenorientiert;
sie sind begeisterungsfähig und sensibel, oft auch aggressiv;
sie sind weder traditionsgebunden noch autoritätsgläubig;
und sie haben die Befähigung zu unabhängigen Urteilen.
Ausgesprochene kreative Menschen lassen sich schwer in vorgegebene Strukturen eingliedern und sind oft etwas undiszipliniert.
Die Motivation zu kreativer Tätigkeit liegt im Drang nach Selbstverwirklichung. Kreative arbeiten im allgemeinen nur dann streng aufgabenorientiert und ausdauernd, wenn ihnen eine Aufgabe zugestellt wird, an der sie selbst Interesse zeigen und von der sie eine Bestätigung ihrer Person erwarten. Kreative Personen werden oft als emotional, unstabil und unreif bezeichnet; sie gelten in lebenspraktischen Angelegenheiten als unselbständig.
Die aufgezählten Eigenschaften können nur als tendenziell symptomatisch angesehen werden; die Ausprägungen werden im Einzelfall sehr unterschiedlich sein. Bezeichnend für das Verhalten besonders kreativer Menschen scheint gleichzeitiges Auftreten von besonderen geistigen Fähigkeiten mangelnder sozialer Disziplin zu sein.
Batelleinstitut,
Methoden und Organisation der Ideenfindung, Gruppenuntersuchung, 4/1973
In Rumänien ist ein neues Gesetz für den Strafvollzug geschaffen worden, das die Umerziehung durch Arbeit als Kernpunkt hat. Künftig sollen Straffällige, deren Vergehen "keine große gesellschaftliche Gefahr" darstellen, durch Arbeit ihre Taten sühnen.
Frankfurter Rundschau, 25.5.1979
Die mit 19% am meisten gewünschte Fähigkeit sind "Führungsqualitäten". Mit einigem Abstand (11 Prozent) folgt die "Problemlösungsfähigkeit". Bemerkenswert dürfte sein, dass Teamfähigkeit und sogar Engagement mit vier beziehungsweise drei Prozent fast ans Ende der Skala gerieten. Auch bei den Führungsqualitäten war der Unterschied zwischen Betrieben mit und ohne Akademiker signifikant: Betriebe ohne Akademiker erwarten diese Eigenschaften häufiger.
Frankfurter Rundschau, 5.4.1979
Zwei Finanzbeamte aus Dallas (US-Staat Texas) haben ein Brettspiel erfunden, mit dem Steuerzahler zu Hause Abschreibungen und Steuerhinterziehungen üben können "Forder das Finanzamt heraus" soll für umgerechnet 24 Mark in den Handel kommen. Das monopolyähnliche Spiel beginnt im Finanzamt. Weitere Positionen auf dem Brett sind Statistikzentren, Steuerberater und das Gefängnis. Gewinner ist der Spieler mit der größten Rückzahlung. "Es macht Spaß, sich am Rande von zivilem und kriminellem Steuerbetrug zu bewegen", begründeten die Finanzbeamten ihren Erfindergeist.
Die Welt, 1978
Ich bin ein menschliches Wesen, bitte nicht knicken, falten oder beschädigen! Das Leben hier ist eine lebendige Hölle!
Plakat streikender Studenten mit einem entwendeten auf Lochkarten stehenden Text, Berkeley 1967
Das vor allem in der chinesischen Jugend vielgelesene Blatt greift die Vorstellungen von der "persönlichen Emanzipation" an. Hinter diesem Schlagwort verberge sich lediglich "das bourgeoise Vorrecht, Geschäften nachzugehen und andere auszubeuten". (...)
Das gleiche gelte auch für die persönliche Emanzipation, die besonders bei jüngeren Menschen viel Anklang finde. Es sei jedoch absurd, dieses Schlagwort, das vielleicht in früheren Jahrhunderten in Europa seine Berechtigung gehabt habe, auch für das heutige China anzuwenden.
"Der Sozialismus hat den jungen Chinesen die leuchtende Aussicht gegeben, ihre Intelligenz und ihre Talente voll zu entfalten", schrieb die Zeitung weiter. Wer jedoch persönliche Befreiung ohne Einschränkungen fordere, handele falsch. Freiheit sei nicht ohne Disziplin möglich, ebensowenig wie die Demokratie ohne zentrale Führung zu verwirklichen sei. "Manche Leute sehen Gesetzesübertretungen, Störungen der öffentlichen Ordnung und das Streben nach einem dekadenten bourgeoisen Lebensstil als Ausdruck ihrer persönlichen Emanzipation an. Dies ist jedoch eine Korrumpierung des Geistes und der Moral", fügte die "Sportzeitung" hinzu.
Frankfurter Rundschau, 14.4.1979
Das Gräberfeld der Kameraden meiner Jugend liegt am südlichen Ortsausgang von St. Maurice am Fuße der Cotes Lorraines, eines mit Buchenwäldern bedeckten Höhenzuges, 10km östlich der Maas, der das Festungsgebiet von Verdun deckt. An diesem Höhenzug laufen die flachen Wellen des Wiesen- und Ackerlandes aus, das sich westlich vom Festungsgebiet von Metz in einer Breite von etwa 25 km erstreckt.
Joseph Bader, Meditation an den Gräbern der Kameraden von 1914 auf der Höhe bei Combes.
Ich gehe (durch Berlin) wie durch einen Regen, die Menschen sehen mich an, ohne mich gesehen zu haben, ich stehe vor den Schaufenstern wie vor Löchern, hinter denen eine graue nichtssagende und schreckliche Ebene liegt, in der die Kinder sich verirren und die Menschen aus Überdruss an sich selbst zugrunde gehen müssen.
Richard Huelsenbeck, Afrika in Sicht, 1928
Promovierter Sozialwissenschaftler, 39 J., 1.66 m, Unibereich, sucht mutige Frau, um mit ihr im Rahmen einer Partnerschaft (vgl. rororo-TB 6891 bzw. dtv-TB 1324) Debatten in das öffentliche Leben von Ruhrgebietsstädten einzuführen (zunächst Bochum) und eine Stiftung aufzubauen. Zuschr. Unter ...
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 23.12.1978
DIE ZERSTÖRUNG DES SOZIALEN
Der proletarische Angriff auf die Welt der Ware im Mai ´68 in Frankreich erzwang eine Modifikation der Entwicklung der inhaltlichen Form des aktuell Gesellschaftlichen, der zukünftigen Gesellschaft. Global befand sich die Welt zu der Zeit und befindet sich noch heute im Prozeß der Umwälzung zur kybernetischen Gesellschaft, die, nach dem feudalistischen Prinzip der Herrschaft, dem das Prinzip der Ausbeutung der Bourgeoisie folgte, der Geschichte der Menschheit durch das Prinzip der Organisation ein Ende bereiten will; da diese Entwicklung noch unvollendet ist, spielen die beiden anderen Prinzipien der Neuzeit unterschiedlich stark ebenfalls eine Rolle.
Was in diesem revolutionären Moment zum Ausbruch kam, in allen Besetzungen, Straßenkämpfen, Diskussionen, Parolen, war die untilgbare Leidenschaft des Proletariats zu leben - alle Mächte und Machthaber der alten Welt, Bürokraten der Verteilung und Techniker der Unterwerfung erkannten ihren unversöhnlichen Gegner, die Klasse der Freiheit, sofort wieder. Die geschichtliche Stärke des Angriffs, die totale Kritik der Welt und ihre umfassende Verbreitung, verhinderten den polizeilich-militärischen Sieg, die restlose Niederwerfung dieser Bewegung durch den Staat, Stalinisten und Gewerkschaften.
In der Folge war das Spektakel fieberhaft bemüht, sich das Denken dieser Revolution, die situationistische Theorie als Situationismus zu eigen zu machen, um der Bewegung schleichend die endgültige Niederlage zu bereiten, indem die rekuperierte Theorie als Praxis des Lebens unter kapitalistischen Bedingungen wie jede Ware gehandelt wurde. Subjektivismus und Innerlichkeit - die Psychologie ist die wissenschaftliche Grundlagenforschung und Durchdringung dieser primitiven Spekulationen über den Grund des Individuums - sind Produkte solcher Entwendungen der Begriffe Subjektivität und Leidenschaft, die im Aufstand zu ihrer Wirklichkeit gekommen waren; von daher bestimmt sich die Kritik an diesem Denken und seiner lächerlichen Praxis.
Subjektivismus, Innerlichkeit, Psychologie einerseits und Kybernetik, die sich historisch zunächst als Negatives zueinander entwickelten, sind heute zu vielfach sich vermittelnden Momenten einer Frischzellenkur der Warengesellschaft geworden. Ihre gemeinsame Aufgabe bei der Entwicklung der kybernetischen Macht besteht darin, auf die Frage, wie man nun jeden dazu bringt, die Gesellschaft anzunehmen, gegen seine Interessen zu handeln, Antworten zu finden, die die Perspektive des Kapitals verstärken.
Die damit erheischte Verfeinerung und Effektivierung der Kontrolle ist notwendig, weil das permanente Bedürfnis des Kapitalismus nach Fortschritt zu seiner Befriedigung auf eine Vergrößerung und Schärfung des Bewusstseins seines menschlichen Materials über seine Zeit, die Bedingungen seiner Existenz, aber auch über sich selbst, angewiesen ist, wodurch sich gleichermaßen die permanente Drohung verstärkt, dass eben jene seinen Fortschritt global in Frage stellen und ihre eigene Geschichte zu gestalten beginnen. Darüberhinaus ist diese moderne Kontrolle produktiv.
Schließlich handelt es sich bei der Kybernetisierung auch um das Sozialwerden, die Verbreitung und Verbreiterung eines Denkens, dessen spezialisierter wissenschaftlicher Vorläufer nach 1950 schnell zur Grundlage der neuen Produktionsweise wurde. Die Psychologie ist die Software des kybernetisierten Lebens ebenso, wie der Mensch vom geschichtlichen zum psychologischen Wesen transformiert wird. Es gibt keine Macht mehr, die etwas durchsetzen kann, nur Individuen, die sie durchsetzen wollen; ebenso, wie sich der Charakter der Hierarchie vom Statischen zum Dynamischen verändert hat. Nicht mehr Qualifikation oder Bildung sind notwendig für die Hierarchien, sondern die Durchsetzung der Hierarchie nach unten ist wichtig - die Hierarchie liegt im Einzelnen, manifestiert sich in der individuellen Haltung und nicht in der gesellschaftlichen Sphäre der Anerkennung: dadurch bleibt sie mobil.
Die kybernetische Macht verwirklicht tatsächlich die Vorstellung von Marx über das langsame Absterben des Staates - allerdings schon im Kapitalismus; sie verwirklicht weiterhin all die Vorstellungen von Freiheit, von denen sich das revolutionäre Denken beizeiten wegen ihrer mangelnden Radikalität getrennt hat, in einer Gesellschaft, in der die Herrschaft über ihre Mitglieder in jedem und durch jedes Individuum ausgeübt wird.
Sie glauben, dass sie das, was sie beherrscht, selbst erfunden haben. Wir merkten nicht, dass die Welt froh war, uns fliehen zu sehen, und uns dazu ermutigte. Alle jene Ratgeber werden mit ihrem üblen Trick bald scheitern. Alle waren sie voller Lob für die verschiedenen Formen des Sichzurückziehens, für tiefe Gedanken, für das Bekenntnis, für die Selbstbeobachtung, für eine bestimmte Poesie, für das Billardspiel, für die Religionen, für das Kino, für Abenteuerromane, für Kriminalzeitungen, für Flugzeugüberfälle. Romanschreiber innerer Abenteuer und Psychologen der Bekehrung standen hoch im Kurs; man beglückwünschte die jungen Leute und kleinen Angestellten, dass sie sich ein Leben der Phantasie schufen. Man nannte es zum Beispiel "die wiedergefundene Zeit". Man gab zu verstehen, dass auch der Buddhismus ganz reizvoll sei. In dieser Zeit waren unsere Lehrer beruhigt: wer auf der Suche nach der verlorenen Zeit ist, ist ungefährlich. Fliehen bedeutet, man verzichtet darauf sich die Welt, aus der man floh, allzugenau anzusehen und an dem Tag, an dem man begriffen hatte, Rechenschaft zu verlangen.
Die Pfaffen erklärten, um die Jugend zu gewinnen, dass Gebet und Poesie zwei Seiten ein und derselben Sache seien.
Paul Nizan, 1932
Die kybernetische Gesellschaft ist das perfekte Großraumbüro.
Subjektivismus ist die Ideologie der zusammenhangslos existierenden Einzelnen, das Denken des sich Durchschlagens, ohne jemals durchschlagenden Erfolg zu haben, eine positivistische Sicht des Einzelnen, die das Eingeständnis der Unfähigkeit zu radikal sozialem Verhalten, das sich auf die Abwesenheit einer sozialen Bewegung Einrichten und sich damit Abfindens ist; Subjekt ist im Gegensatz dazu der im kohärenten Zusammenhang mit anderen und der radikalen Theorie handelnde Mensch, gesellschaftlich das Proletariat, das seine Geschichte, die Geschichte der Warenproduktion, der Akkumulation und der Entfremdung mit der sozialen Revolution zu Ende bringt und sich in dieser Aufhebung verwirklicht.
Der Subjektivismus existiert auf umgekehrte Weise: als Objektivität der Ware. Das Objektive der Ware ist die Natur des Menschen geworden, seine passive Subjektivität ist der personelle Ausdruck. In Opposition zu ihr drückt sich dies als Täuschung aus: indem nämlich die Ware nur als gegenständlicher Zustand gesehen wird, als materiell ohne Ideal, während der Mensch auf umgekehrte Art existieren soll.
Je mehr nun aber die Ware dominant ist, der alles vermittelnde Drehpunkt, in der das menschliche Leben sich wiederfindet, indem sie dieses bestimmt, umso mehr ist der Subjektivismus nur noch Agent der objektiven Macht der Ware. Das gesellschaftlich Wirklichkeit- und Wirksamwerden der Subjektivität ist das Ende der Rolle des Subjektivismus, jeder Rolle schlechthin. Die einzelnen Gesten der Auflehnung und Verweigerung, die unter günstigen Bedingungen im subjektivistischen Milieu summarisch mal für den gerade noch realisierbaren, maximalen Ausdruck des aufständischen Lebens, mal für das Leben selbst gehalten oder schlicht mit Form und Inhalt der heutigen revolutionären Bewegung verwechselt werden, sind zunächst doch nur launenhafter Ausdruck eines noch unbewussten, partiellen Widerstands, der sich seiner notwendigen Grundlage, der Haltung, erst bewusst werden muss, um den momenthaften Charakter des zufälligen - wenn auch per se nicht unwirksamen - Reflexes zu überwinden.
Der Subjektivismus verklammert eine ideelle Opposition mit den objektiv materiellen sowohl durch die direkte Entwendung der Kritik einer tatsächlichen Opposition, als auch durch Inanspruchnahme eines zugestandenen Maßes der Kritik an der Wirklichkeit, die objektiv und materiell dadurch ist, dass sie Moment der offiziellen staatlichen Wirklichkeit ist; er ist der Zwischenraum, der entsteht, wenn das geschichtliche Bewusstsein verblasst. Das reine Individuum muss die Leere auffüllen, die die Kälte der Warenproduktion, die Verdinglichung, mit sich bringt.
Je schwerer es wird, die Barrieren zwischen Mensch und Mensch zu überwinden, desto rücksichtsloser werden die Versuche, durch gewaltsame Kommunikation positive oder negative menschliche Beziehungen herzustellen. So entwickelt sich auch der zeitgenössische literarische Stil: die Sprache der Aggressivität. Von öffentlichem Interesse und deshalb Gegenstand der Publizistik ist immer weniger das, was andere Menschen tatsächlich denken, sagen, tun, fühlen und hoffen, sondern eine bruchstückhafte, überpointierte und vielfach diffamierende Darstellung.
Karl Steinbuch, Die Einsamkeit der Menschen, 1971
Das poetische Gewinsel dieses Jahrhunderts ist nichts als Sophismus. Ich stelle mit Bitterkeit fest, dass nur wenige Tropfen Blut in den Schlagadern unserer schwindsüchtigen Zeiten bleiben.
Die Gefühle weinen sowohl, wenn sie es nötig haben, als auch, wenn sie es nicht nötig haben. Die Analyse der Gefühle weint nicht. Sie besitzt eine latente Empfindungskraft, die einen unvorbereitet trifft, über das Elend hinausträgt, lehrt, ohne Führer auszukommen, und uns unsere Kampfwaffe liefert. Die Gefühle, Zeichen der Schwäche, sind nicht das Gefühl. Die Analyse des Gefühls, Zeichen der Kraft, erzeugt die herrlichsten Gefühle, die ich kenne.
Isidore Ducasse
Die Gottesidee, zum wenigsten das, was sie in die Dialektik einführt, ist nur ein Zeichen für die Trägheit des Geistes. Da sie entstand, um jede echte Dialektik beim ersten Schritt zu hindern, taucht sie auf solchem Schleichweg auch beim zweiten wieder auf und man sieht, wie leicht es ist, die Ordnung der Unordnung wegen zu vergöttern, oder im Verlauf der Entwicklung dieser Begriffe sie in Gott zu vereinen.
Louis Aragon
Mehr als ein Dutzend Taxifahrer in Leningrad haben einen Tag "blau" gemacht - bei voller Entlohnung. Die biorhythmischen Kurven, die für 5000 Taxifahrer der Stadt erstellt worden waren, hatten ihnen ein Tief angezeigt. Das Verkehrsamt von Leningrad hat ermittelt, dass sich zwei Drittel aller Verkehrsunfälle an Tagen ereignen, an denen die Fahrer ihrem Bio-Rhythmus zufolge am meisten gefährdet waren.
Hamburger Abendblatt, 16.2.1979
WAS
ALLES
SO ERFUNDEN WURDE
[Foto: Männer im Anzug, die mit Rot-Grün-Brillen in eine Richtung (nach oben) blicken]
Zum ersten Mal wurden ein Penis und beide Hoden, die sich ein Geisteskranker abgeschnitten hatte, in Frankreich wieder angenäht.
Frankfurter Rundschau, 15.3.1979
Wir bleiben hinter uns zurück. Was wir gemacht haben, holen wir nicht ein. Wir überfüttern den Himmel mit den Ergebnissen unserer Technik, indes auf Erden zwei Milliarden Menschen unterernährt sind. Was uns dienen sollte, beherrscht uns. Was uns von Mühsal befreit, stiehlt uns die Freiheit. Was der Geist ersinnt, wird durch die Macht missbraucht. Sputniks, Mondraketen, Astronauten, Begegnungen im Weltall, von Millionen am Fernsehschirm miterlebt - welch ein Fortschritt? Wessen Fortschritt ? Des Menschen ? Der Vernunft ? Der Humanität ? Die weiche Landung auf dem Mond, welch ein Trost, wenns anderswo hart auf hart geht! Die Wissenschaft berichtet, was sie vollbracht hat, zur Linderung von Leiden, Erleichterung des Daseins und plötzlich öffnet sich der weiße Mantel des Helfers, und sichtbar wird die Uniform des Generals ... In dieser Welt, in der Jahrtausende eingestürzt sind; und, was geschichtlich nacheinander kam, zum Nebeneinander von Ruinen und Rohbau, Steinzeit und Kybernetik, Fetischismus und Relativitätstheorie, Druidenfuß und Pentagon geworden ist, sitzen Troglodyten dort, wo man über den Einsatz der von spezialisierten Konstrukteuren gelieferten Mittel der totalen Destruktion entscheidet.
Ernst Fischer, Epilog zu Kunst und Koexistenz, 1967
Es wird angenommen, dass sich das gesamte Wissen der Menschheit von Christi Geburt bis Mitte des 18. Jahrhunderts verdoppelt habe. Die nächste Wissensverdoppelung erfolgte angeblich bereits in 150 Jahren. Weitere Zunahmen des Wissensvolumens um jeweils 100 v. H. erfolgten nach diesen Schätzungen in immer kürzeren Abständen; etwa in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts und zwischen 1950 und 1960. Seit dieser Zeit soll der Zeitraum für eine Wissensverdoppelung unter 10 Jahren liegen. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass gegenwärtig mehr Forscher leben, als bisher in der Menschheitsgeschichte gelebt haben.
Gerd Pommerening, Bestimmungsgründe technischer Entwicklung
[Bild]
Es spricht vieles dafür, dass die großen Systeme der Industriegesellschaft diesem Punkt heute schon gefährlich nahe gekommen sind (...)
So befinden sich im Bereich des "Natürlichen" vorwiegend kleine Teilsysteme, die in ihrer internen Struktur hochgradig vernetzt sein können, jedoch in einer vergleichsweise geringen Verbindung zu anderen Teilsystemen stehen (...)
Auf diese Weise entstehen "teilautonome" Substrukturen, die relativ gut gegenüber Störungen an anderer Stelle des Gesamtsystems abgeschrimt sind (...)
Das Gegenprinzip, auf das es heute im Interesse der Erhaltung oder Wiedergewinnung unserer Wandlungsfähigkeit ankommt, könnte als "Prinzip der kleinen Kreisläufe und der feingegliederten Strukturen" bezeichnet werden: "Dieses besagt - systemtheoretisch ausgedrückt dass jede Funktion in einer möglichst niedrigen hierarchischen Ebene ausgeübt werden soll, wobei dem Subsystem möglichst große Autonomie gewährt wird und das übergeordnete System nur 'subsidiäre', das heißt, als Hilfe zur Bewältigung der Aufgaben durch das Subsystem eingreift. "Politisch artikuliert sich gegenwärtig dieses "Subsidiaritätprinzip" in dem Ruf nach Dezentralisierung, der die gesamte ökologische Bewegung durchzieht (...)
Die Undurchschaubarkeit ist gleichsam nur die Oberfläche eines viel tieferliegenden Problems: der wachsenden "Unkontrollierbarkeit" (im kybernetischen Sinne der Steuerungsfähigkeit) unseres Systems. Man bezeichnet unser gegenwärtiges gesellschaftliches System sogar bereits als "turbulentes Feld" und spricht von einem "unaufhebbaren Steuerungsdefizit". Warum das so ist, erhellt aus einfachen kombinatorischen Überlegungen, wie sie etwa der DDR-Kybernetiker Känel angestellt hat. Er betrachtet die Eigenschaft der "Selbstorganisationen" dynamischer Systeme, das heißt die Fähigkeit, in Reaktionen auf Umwelteinwirkungen ("Störungen") einen neuen stabilen Systemzustand (dynamischen Gleichgewichtszustand) ausbilden zu können (...)
Dementsprechend läßt sich Ultrastabilität als die Fähigkeit eines Systems verstehen, selbsttätig durch Änderung der Werte der Systemparameter ("Umschaltungen") neue Beziehungen zwischen den einzelnen Systemvariablen herzustellen, um damit das System so lange zu verändern, bis ein neues Feld stabiler Verhaltensweisen gefunden, also eine neue Struktur ausgebildet ist (...)
Für ein System mit 100 Variablen, bei dem der gesamte Regelprozeß von einer einzigen Einrichtung, einer "Zentrale", wahrgenommen wird, ergibt sich eine mittlere (theoretische) Umstrukturierungszeit von etwa 3 x 10 Jahrhunderten (!). Ist das System hingegen in 20 voneinander unabhängige Teilsysteme zu je 5 Variablen zerlegt, so verkürzt sich der Umstrukturierungsvorgang für ein Teilsystem auf 3,2 Sekunden und insgesamt (wenn die einzelnen Teilsysteme nacheinander reagieren) auf 64 Sekunden (...)
Man kann das Problem auch so formulieren: Die Schwierigkeit der Kontrollierbarkeit eines Systems wächst exponentiell mit der Größe des Systems; da man nicht davon ausgehen kann, dass die menschliche Intelligenz exponentiell wächst, muss man erwarten, dass mit wachsender Systemgröße irgendwann der Punkt erreicht sein wird, von dem an menschliche Intelligenz die Steuerungsprobleme nicht mehr meistern kann.
Karl-Friedrich Müller-Reißmann, Die schwindende Wandlungsfähigkeit der Industriegesellschaft,1979
Dort, wo am meisten entschieden wird, da ist unsere konservative Moral fehl am Platz. Zur Lösung unserer zukünftigen Probleme brauchen wir eine ganz andere Moral: Eine unglorifizierte Alltagsmoral, operational definiert und operational benutzt, so konstruiert, dass sie sogar dort verwendet werden kann, wo in Zukunft die meisten Entscheidungen fallen werden: im Computer. Der Computer hat kein Gewissen: Wir müssen ihn durch operational definierte Moral zu moralischem Verhalten bringen.
Karl Steinbuch, Irrtümer der Konservativen
Das Werkzeug braucht den Menschen.
Dr. Rainer Thome, Universität Heidelberg
Der Computer braucht den Menschen.
Süddeutsche Zeitung, 18.4.1979
Das Spannendste der Technologie ist nicht die Technologie oder Automation selbst, sondern, dass der Mensch ein gänzlich neues Verhältnis zu seinen Mitmenschen bekommt. Er wird vielmehr an seinen alltäglichen Dingen festhalten, wie es das Kind in seiner Naivität und in seinem Idealismus tut.
Buckminster Fuller
[Bild, Veranschaulichung des leerlaufenden Denkens.
Archimedes Gedanken bewegten sich gewissermaßen hin und her und kehrten immer wieder zu seinem Ausgangspunkt zurück (Bild 2a): ,A ist der Ausgangspunkt, die Schleifen markieren die erfolglosen Überlegungen, und ,Z war das Ziel (die Methode, das Volumen der Krone zu messen), das aber nicht in der Ebene der erfolglosen Überlegungen liegt.
Das reine Individuum ist die reine Ware
Das Persönliche ist die Erinnerung an gestern. Der Mensch entwickelt sich nicht im selben Tempo wie die Produktivkräfte. Ein verborgener Bereich, in dem alle Jahrhunderte angestaut sind, bleibt und macht eigentlich die Person aus. Die Vorurteile, Ressentiments, Aversionen, Lebensweisen, Erwartungen und Wünsche, welche heute neben dem Druck der Warengesellschaft die menschlichen Haltungen ausmachen, sind nicht zeitsynchron, sie sind nicht einzig aus dieser Zeit. Die Ware verliert an Macht, wenn die heimliche Kumpanei der Wünsche mit ihr aufhört.
Seit dem Faschismus hat die bürgerliche Klasse aufgehört, der personelle Träger der Gesellschaft zu sein, damit war der positiven bürgerlichen Innerlichkeit unwiederbringlich ihre materielle Grundlage genommen; übrig bleibt die überall diffus anwesende Ideologie einer besonderen, zur äußeren Welt negativen Zone im Menschen.
Auf die durch diese Ideologie vermittelte Armut des Menschen, dem nicht mehr Eingreifenkönnen, folgt der Rückgriff auf die armselige Situation, nur noch das zu sein, was man nicht ist - das Nichts in kleinster Größe oder als Grundeinheit des gesellschaftlichen Nichts -und was man träumt, nicht zu sein.
Die Innerlichkeit ist die reich bebilderte Handlungsanweisung zum selbstzufriedenen Rückzug, der bewusstlosen Reflektion, die vollständige Reduktion des Inhalts des bewussten Rückzugs auf seine Form. Das Sich-Zurückziehen mag eine individuelle, bewusste Taktik sein für eine Situation, in der die direkte zerstörende Macht der Welt durch keine Konterattacke aufgehalten werden kann; als Taktik, also Mittel, ist es dynamisch, als Strategie wird es zur Innerlichkeit, ist es die Passivität nach der Niederlage.
Das spektakuläre Eingeständnis der nicht mehr zu leugnenden Tatsache, dass der Kapitalismus keinen sozialen Fortschritt zu produzieren in der Lage ist, hat zur Voraussetzung und zur Folge, dass der Stillstand, das gesellschaftliche Scheitern dieser Epoche mehr und mehr ins Innere des Individuums verlegt wird - sei es auf der Suche nach den produktiv verwertbar und erst so über den Kreis der Psychosoziologen hinaus allgemein interessant gewordenen Deformationen des Individuums, um sie auf dem Markt der diversen Sekten und Zirkel zu handeln, oder durch die rechts-vaneigemistische Behauptung des individuellen Kraftaktes, dem die Überwindung der alten Welt oder zumindest das ungebrochen gebrochen darin Auskommen schon jetzt und hier obliegt. Die gesellschaftlichen Lebensweisen, die Umgangsformen lösen sich auf, übrig bleibt die Verwaltung, die Idee der Stabilität, die der Staat verkörpert; insoweit also das Gesellschaftliche - als das Ergebnis der Aufklärung - sich aufgelöst hat, produziert nur noch der Staat - als Garant des sozialen Klimas und Träger der ökonomischen Potenz - eine imaginäre Garantie, weil er den gesellschaftlichen Zusammenbruch nicht wirklich aufhalten kann.
Die Innerlichkeit als Versubjektivierung des Stillstands ist die reaktionäre Variante des Aktivismus. Nach der Eruption die Korruption. Man betrachte sich die armen Poeten des Untergangs wie Enzensberger, Achternbusch, all die Schneiders und Kluges, den milieugeschädigten Untergang der Poesie wie Bukowski, Fausner, Norse und die vielen Theobaldys, oder die verwirrte Redlichkeit der Männerphantasien, die schlechten Träume der Väter und die redliche Verwirrung der Frauenliteratur, und auch die Fälscher und Plagiateure von der oberflächlichen Art der Cliquen um die Zeitschriften des geistigen Mittelstandes, die sich der neuen Volkstümlichkeit von Artaud, Bataille oder Genet, ihrer universitären Verwertung, bedienen - sie alle verkörpern das Käufliche.
Der Blick nach innen fällt, eine Geschichte des Individuums vorausgesetzt, die nicht die einer beliebigen Ware ist, unter günstigen Umständen gerade noch auf die Asche des erloschenen revolutionären Feuers, ansonsten ist das die Domäne der falschen Identität, wo der Mensch bleibt, was er nicht ist, konzipiert als Träger der Ware, die er schafft und die ihm im Tausch ihre Art von Lebendigkeit, die kalte Vitalität des Anorganischen, einbrennt.
Die Psychologie ist das Erbe, der Thronfolger und Zufluchtsort des Sakralen. Die Religion erforschte den Himmel, während die Psychologie Trafo ins Innere der Person ist. Sie ist die Einheit, die der Welt nach dem christlichen Mittelalter verlorengegangen ist, ohne vertikale Vorstellung. Die Psychologie ist Ausdruck des Elends, sie ist die Wirklichkeit und das Elend zugleich.
Die Unannehmbarkeit dieser Welt, des von der Ökonomie produktiv konsumierten und die Ökonomie konsumtiv produzierenden Lebens ist diesem ohne viel Reflektion erkennbar - das menschliche Individuum hat sich, je nach der Stellung innerhalb der kapitalistischen Produktion, in der Regel ein Denken bewahrt, das ihm individuell genau das zu erfassen ermöglicht, was gleichwohl gesellschaftlich hervorgebracht wurde. Die Psychologie hat die Aufgabe, dieses Denken seiner sozialen Dimension zu entfremden, es als ein besonderes, nämlich negatives Denken des Einzelnen, als Schwäche in ihn selbst zu legen.
Sie ist dabei immer auf die aktive Beteiligung des Individuums an diesem Prozeß angewiesen; wenn diese verweigert wird oder nicht mehr erwartet werden kann, muss sie das Feld ihrer groben Schwester, der Psychiatrie überlassen, die das Individuum chemisch oder elektrisch auflöst und aus den in der menschlichen Hülle treibenden Fragmenten eine neue Person strukturiert. Die kybernetische Herrschaft kann darauf verzichten, weil sie reibungsfrei funktioniert.
Freud war, weniger als Reich, momenthaft ein Erfinder, Experimentator und Entdecker; Reichs Bedeutung liegt in seinen theoretischen und praktischen Experimenten, die zum ersten Mal seit Marx wieder die Entfremdung von einer radikal antikapitalistischen Position her untersuchten, ihre verschiedenen Erben sind nur Verwalter des Ausflusses der Wiener Treibhausatmosphäre, deren Knechtsseele ihrer Wirkung entspricht. Sie sind die Feinde jeglicher Freiheit, weil sie die Überwachungsbeamten des Individuums sind.
Heute kommt der Psychologie die Rolle einer globalen Entlastung zu. Die sichtbar gewordene Leere des Lebens mit seinem unerträglichen Alltag, in dem selbst die Mitteilung des Banalen erlahmt, bedarf der generalisierten Therapie. In diesem Klima läßt sich wenig Material für die tote Materie finden.
Die Psychologisierung des Lebens entspricht diesem Zustand: nichts wird der Welt gerechter, als die Veräußerung des Inneren, die Enteignung eines möglichen dynamischen Faktors, und die Verinnerlichung des Äußeren.
Die präkybernetische Organisation
Dieser langgezogene Moment ist die permanent wirksame Zerstörung des Sozialen; der Staat zerstört in sich innerhalb eines nichtumkehrbaren Prozesses die Kräfte, die nach der vollständig gelungenen Rekuperation die Basis eines situationistischen Staates sein könnten - das Ergebnis wäre die Agonie des Widerspruchs zwischen Beherrschung und Beteiligung ohne die Möglichkeit der dialektischen Aufhebung; die Pflicht zum Spiel als Ausgleich zum Konsum, die Freizeitgesellschaft, in der keine unverplante Zeit mehr existiert - Phantombild der präkybernetischen Gesellschaft. Oder: Die total reformistische Gesellschaft, die im schnellen Wechsel ihre Dynamik findet, in der nichts offenbar fest ist und alles im Fluss, um die Kontinuität in der Kontinuität des Bruchs als Prinzip zu brechen.
Träger dieser Entwicklung sind sowohl der Staat als auch seine anerkannten Kritiker; derweil das Ziel der sozialen Beherrschung der Verunmöglichung der Beteiligung Rechnung trägt: die negative Aussicht auf die Teilnahme am Verzicht - hier verwischt in der Beteiligung an der Rekuperation.
Richtungsweisende Strategien sind in diesem Zusammenhang, neben der Expansion der Hobbythek, die Dezentralisierung und Regionalisierung.
Der Zentralismus der Macht ist zu einer Bedingung seiner Schwäche geworden.
Ausschlaggebend für diesen Prozeß sind nicht allein die bürokratischen Verzögerungen und Steuerungsprobleme jeglicher Werte (Kapitalien und Ideologien), sondern die der Organisation der Beteiligung an der Macht. Die Anfänge der Bürgerinitiativen haben in ihrer reformistischen Entwendung sowohl das Exempel für die Dezentralisation als bessere Überwachungs- und Kontrollstrategie, als auch den Übungsplatz für das Politische abgegeben. Die Schaffung überschaubarer Einheiten erlaubt eine präzisere Kommunikation über größere Räume; die Dezentralisierung ist nicht anti-zentral. Sie ist eine Methode der Perfektionierung, eine Modernität der Herrschaft, präkybernetisch die Momente der Kritik verarbeitend.
Sie lebt von der Rekuperation, von der Schwäche und den Fehlern der Angriffe gegen die Macht und führt ihre parasitäre Existenz im Halbschatten der traditionellen Gefechte der staatlichen Macht, die ihr selbst mit der Spitze ihrer polizeilichen Ordnungsorgane, dem BKA, Folge leisten muss. Etliche Schlappen dieser zentralistisch preußisch gezüchteten Truppe bewahrheiten die Effektivität der Parzellierung und Teilung der Macht als die tiefere, präzisere Durchdringung und die Schwäche des alten Zentralismus als zu unflexibles, schwerfälliges Gebilde.
Die politische Forderung nach Dezentralisierung ist als Angriff zur Schwächung des Staates ein Bild des 19. Jahrhunderts, denn gerade die Zentralität ist heute die Schwäche der Macht. Die im dekadenten Anarchomilieu mit strukturalistischem Aufwind beseelte Parole gegen die Zentralgewalt kann die Autonomie des Menschen nicht verstärken, sie ist zur Konstituante der informellen Hierarchie der eigenen Reihen geworden, sie ist das Kategorische aus der Schwäche: das einzige Kategorische.
Die Notwendigkeit der Arbeitsteilung für die kapitalistische Akkumulation unterzieht die politischen Ideen und ihre Wirklichkeit keinem anderslautenden Prozeß als dem der Teilung; anerkennend, dass diese auch nichts anderes sei als geronnene Arbeit.
Die zerstörte Globalität bringt das Empfinden der Unüberschaubarkeit, den Verlust der Weite mit sich. Der Regionalismus ist nicht zuerst die Zerstörung des Zentralismus, sondern die der globalen Fragen der Veränderung. Er ist die auferlegte und angenommene Zuflucht des Subjektiven in das Einfachere, Vertrautere, Überschaubarere. Er ist der Verlust an stabiler Identität.
Die Lokalisierung des Besonderen vermittelt die Kontrollierung weil Zementierung des Bekannten; ein Denken, das keins mehr ist, bildhafte Wirklichkeit.
Die soziale Frage wird zur sozialbödischen Frage; ein angestaubter, im ideologischen Hyperraum angesiedelter Kampf nach dem römischen Reichszerfall. Kleinkariertes, hier wie dort historisch verspätet, wird modern und produktiv, wo es unwissentlich die globale Angleichung schafft in der Belebung des Politischen, in der Skalierung des Menschlichen. Der esterielle Geschmack der Befreiung, retrospektivisch ethnokritisch gepuncht, bereitgehalten für alle diejenigen, die einen Ausweg aus der Krise finden und der untergehenden Welt ihre Furcht nehmen sollen.
Wir wollen nun versuchen, dem Leser einige Episoden aus dem Leben anderer Barbaren vor Augen zu stellen, die nicht weniger weit außerhalb der Zivilisation stehen als jene wilden Völkerschaften, deren Eigenarten Cooper so glänzend beschrieben hat. Nur dass diese Barbaren, von denen wir sprechen, mitten unter uns hausen, dass wir ihnen zu jeder Zeit begegnen können, sobald wir uns in ihre Schlupfwinkel vorwagen, in denen sie sich verbergen, in denen sie sich versammeln, um über Raub und Mord zu beraten oder die Habseligkeiten ihrer Opfer untereinander zu verteilen.
Eugen Sue, Vorwort zu den Geheimnissen von Paris, 1842
[Bild: Karte von New York mit "Terror Centren"]
Die mächtigen Städte Ninive und Babylon sind verschwunden. Vielleicht waren die Berichte über ihre Pracht und Größe übertrieben. Aber wo strenge Wahrheit nicht wesentlich ist, erfreut sich das Gemüt gern an der Betrachtung des Großen und Wunderbaren. Die feierlichen Gesichte der antiken Welt beschauen wir, ohne das helle Tageslicht der Wahrheit zu fordern. Durch den Nebel der Zeiten gesehen, wird das Große riesenhaft, das Wunderbare schwillt zum Erhabenen an.
John Martin im Katalog zur Ausstellung seines Gemäldes "Der Fall von Ninive", 1827
[Bild: THERESIENSTADT - SOMMER 1944]
Meine Herren! Lassen Sie mich diesen Rechenschaftsbericht zusammenfassen. Wir haben in diesen Jahren, in denen Theresienstadt zu einer jüdischen Siedlung umgestaltet worden ist, eine Selbstverwaltung aufgebaut. Sie hat ihre Aufgabe ... zu erfüllen vermocht. Lassen wir alle Einzelheiten über die Stufen dieses Aufbaues, über Leistungen und Vorarbeiten beiseite und wenden wir den Blick aufs ganze. (...) die Landsmannschaftsunterschiede (sind) so gut wie ausgeglichen, zumal eine einheitliche jüdische Haltung oder Gemeinschaftsverantwortung jedes Einzelnen und aller Gruppen, besonders auch in der öffentlichen Meinungsbildung versucht worden ist. In einer Zeit weltgeschichtlicher Entscheidungen, in der es unser Schicksal ist, abgeschlossen wie auf einer Insel zu leben, kommt es entscheidend auf unsere Spannkraft an, um dieses Leben zu gestalten und darin die historische Aufgabe zu erkennen, uns in der Verantwortung vor unserer Gemeinschaft zu bewähren.
Eppstein, Ansprache an den Ältestenrat Theresienstadt, September 1944
Es gilt zu erkennen, dass Kommunikation und Gemeinschaft unlöslich miteinander verknüpft und die Chancen für echte städtische Gemeinschaft sehr gering sind.
J.-P. Trystam, Ministerium für Infrastruktur und Wohnungsbau, Paris
Den Olympiaveranstaltern muss zugebilligt werden, dass sie aus den Gegebenheiten in Lake Placid das Beste gemacht haben. "Wir konnten uns den Bau großer Wohnhäuser einfach nicht leisten", sagt Harry Fregoe, "finanziell nicht, und weil nach den Spielen kein Bedarf dafür besteht. Die Baukosten von 24 Millionen Dollar für die Anlage in Ray Brooke übernahm die Bundesregierung, die im Nordwesten der USA sowieso ein neues, modernes Gefängnis benötigte.
Frankfurter Rundschau, 12.2.79
Der Architekt muss seine Einsicht in die Probleme der Stadt vertiefen, er muss sich an den Aktionen der Mietverbände beteiligen und in den Aktionskomitees der einzelnen Stadtviertel mitarbeiten, um von dieser Stelle aus den Kampf um die Stadt anzutreten, der mehr und mehr in den Brennpunkt des politischen Lebens rücken wird. Wir müssen alles neu schaffen und zusammen alles über Unmut und Verlangen der Bevölkerung von einer Wissenschaft in Erfahrung bringen, die wirklich Einblick in die Massen hat.
Jacques Bardet, Die Revolution im Städtebau hat noch nicht stattgefunden
DER VERFÄLSCHTE RAUM
Der städtische Raum entspricht den banalsten Erfordernissen der Ökonomie. Die Stadt ist der Warenraum und der wahre Raum zugleich. Das Land ist ein archaisches Jahrhundert, die Stadt wahrhaftig gewordene Natur; Sehnsucht nach dem Land, die verlorene Vergangenheit als Erinnerung an eine Zukunft, die diese unmittelbare Wirklichkeit bekräftigt. Landleben und Stadtleben lagern auf der gleichen Determinationswelle, sind reiner Belagerungszustand, und die Umdrehung des ökonomischen Angriffs, von dem die "neuen Stadtflüchtigen" so viel sprechen, bestätigt dies.
Die Warenwirtschaft ist überall gleich. Wer sich dem sehnsuchtsvollen Zug ins ländliche Leben anschließt, bereit ist, das vermisste Leben in einer Kuh wiederzufinden, verdreht die Objekte seiner Entäußerung von der Maschine zum, Euter. Die Ökonomie wird aus ihrer fremden Direktion in die eigene genommen. Die objektive Fremde wird zur subjektiven Heimat. In der Stadt ist durch die Enge das Bewusstsein der Zwänge gegenwärtig, auf dem Land das der geringen Mittel des Entzugs.
In der Knechtschaft des Landes liegt die Seele der Stadt. Hinter den frühen Mauern konzentrierte sich ein Zustand in anderer Form. Die Überlegenheit der Produktion und Distribution, die langsam sich konzentrierenden Produktionsmittel und die produktive Intelligenz in den Städten ist die große Wende der archaischen Zeit, die von nun an eine andere wurde als die der Bauern.
Die Stadt ist eine Zeitenwende und bleibt die Öde, die in dörflichen Verhältnissen sprichwörtlich ist. Bisher ist die Geschichte zum großen Teil durch diese menschliche Misere ausgefüllt, die Fremde überall mit sich zu tragen.
Die Trennung von Stadt und Land ist die Zentrierung der gesellschaftlichen Arbeitsteilung. Städtische Freiheit hebt sich nicht mehr von dem Land als exklusivem Raum der Knechtschaft ab, innerhalb der aktuellen Umkehrung schimmert nur eine mythologische Totalität durch. Fabrikhalle oder Kuhstall verfügen über verschiedene Gerüche, aber nur eine Atmosphäre. In der Sehnsucht nach einem natürlichen Leben findet sich jener falsche Verlust, den einzuholen nur im sentimentalen Verklären gelingt.
Die Architektur hat alle Macht verloren, sie wird überall kritisiert.
In dem Maße, wie das Bauen sich von der Verherrlichung eines göttlichen Universums zur Repräsentation in einem alles einschließenden warenökonomischen Kosmos entwickelte, kann nunmehr darin nur noch das kleine Universum einer funktionalen Tätigkeit entstehen. Die reine Vorstellung eines gotischen Doms und die vorstellungsreine Halle eines Kaufhauses sind Gegensätze durch die Kluft der Jahrhunderte - sonst nicht. Der Rest: Verklärung zur ideologischen Grundausrichtung des Architekten.
Erscheinen nicht alle diese großen Bauten heute nur als Werkproben zum World Trade Center in New York?
Deshalb ist der Traum, den die Architektur träumt, der der Demokratie, denn allein in ihr vermag die Architektur als etwas anderes zu erscheinen als in Gestalt eines Sohnes von Gorzilla, als etwas nicht Kompromittierendes und nicht als der bloße Zurichter des Raumes, in dem ein Leben entworfen ist; die historischen Schutzwälle sind nicht mehr um die Stadt gegen ein unsicheres Land gerichtet, sondern führen als logische Achsen zur Gebrauchsausrichtung in die Stadt hinein.
Raum und Zeit, eine geometrische Formel zur hierarchisierenden Einteilung des Überlebens.
Es gibt keinen Unterschied zwischen einer faschistischen und einer demokratischen Architektur, wenn man einmal von einer strengen Anweisungsunterworfenheit durch die Ideologie absieht, die sich im ersten Fall noch von außen aufdrängt. Es gibt nur verschiedene Arten, die geometrisierte Repression auszudrücken. Zwischen der Anlage eines KZs und einer Sozialbausiedlung liegt der Unterschied in den verschiedenen Baumaterialien, nicht aber in der erfüllten Grundfunktion. Dem entspricht die Rolle der Architektur als Traditionsregiment der Zwangsorganisation. Ein riesiges Theresienstadt ist die wirkliche Geschichte der Architektur. Die Kulissen für eine gigantische Misere, die ohne Endlösung auskommen muss, sind das Verbrechen, an der die Architektur als willfährige Organisatorin teilhat, und die Verachtung, die ihren Vertretern unterschwellig entgegengebracht wird, ist nicht Resultat einzelner Mißgriffe, sondern das Bewusstsein über die Einklammerung, die durch ihre Tätigkeit geschaffen ist.
Wir haben Theresienstadt nie verlassen.
Ihre Taktik: der Dialog; die Schienen der Einsamkeit:
ihre Strategie. Unter ihrer Regie entstehen die Bodenträger der kybernetischen Gesellschaft. Die Verkehrssysteme als erste Erprobungsstrecken einer sich selbst regulierenden Entfremdung.
Die Umdrehung der Stadtplanung liegt nicht in einer Politisierung der Architektur, in einer praktischen Anwendung der schon dominierenden maoistischen Formel vom "Dienst am Volke", sondern einzig im Akt der Zerstörung des heutigen Raumdenkens, die Voraussetzung zur alleinigen Grundbedingung einer wirklichen Veränderung - der des Lebens selbst nämlich.
Ein anderes Leben wird sich auch andere Bauten schaffen.
Sinn und Form als durch die Urbanisten materialisierte Realität sind der Negation unterworfen, sie sind eine einzige Negation des Lebens selbst. Die schöpferische Freiheit eines anderen Lebens wird auch eine andere Umgebung schaffen, so wie es die kritischen Forschungen der Situationisten im Unitären Urbanismus ausgedrückt haben.
Es gibt in der Architektur keine andere Wirklichkeit als die des Baustoffes, das Schöpferische, Revolutionäre ist eine Nebelwand, hinter der ein Brutus seinen Auftritt abwartet.
Wissenschaftler der Universität Illinois glauben, eine bisher unbekannte Form primitiven Lebens entdeckt zu haben, die sie symbolisch als "Drittes Königreich" bezeichnen.
USA, 3.11.77
OST-BERLIN. Als Attraktion und "ideal für Neubauwohnungen" wurde in Ost-Berlin bei einer Ausstellung von Rassehunden ein neuer Züchtungserfolg vorgestellt: Ein Hund, der nicht bellt.
Frankfurter Rundschau, 16.5.78
Der Pariser Stadtrat hat endgültig über die Neugestaltung des riesigen Lochs im Herzen der Stadt, entschieden, an dessen Stelle bis 1971 der "Bauch von Paris" - die Markthallen standen. Gegen die Stimmen der Kommunisten wurde der Plan von Bürgermeister Jacques Chirac verabschiedet, bis 1983 im Hallenviertel eine sechs Hektar große Parkanlage für Spaziergänge, Spiele, Feste und Konzerte zu vollenden. Rund um den Park sollen Wohnungen, Büroräume und ein Hotel entstehen. Bereits im September wird voraussichtlich das "Forum" eröffnet. In diesem dreistöckigen Glaspalast in Form eines Amphitheaters ist unter anderem ein unterirdisches Einkaufs- und Freizeitzentrum geplant. Das einzige hohe Gebäude des Hallenprojekts bleibt der umstrittene "Bunker" - ein würfelförmiger Betonklotz - den viele Pariser für das Symbol einer misslungenen Stadtplanung halten.
Frankfurter Rundschau, 29.3.79
Die sinnlose Zerstörungswut jugendlicher Rowdies, vor allem in den Städten, hat sich zu einem nationalen Problem entwickelt, das die Briten immer mehr beunruhigt. (...) Im vergangenen Jahr wurden 125000 Fälle registriert; der Schaden belief sich auf rund 100 Millionen Pfund (etwa 370 Millionen Mark). Vor den Rowdies scheint nichts mehr sicher zu sein. Sie wüten in Wohnsiedlungen, Schulen, Eisenbahnen, Bussen und Telefonzellen. In London wie in anderen Städten gibt es Wohnkomplexe, die erst vor einigen Jahren mit öffentlichen Mitteln errichtet wurden und heute eher Slums ähneln. Die Jugendlichen toben sich nicht nur in den berüchtigten Wohnsilos aus, sondern auch in Reihenhäusern, die durch lange Flure verbunden sind.
Eine Expertenkommission dazu: Für einige Randalierer sei das Zerstören "eine Art Spiel".
Frankfurter Rundschau, 7.11.78
Wie geht es weiter?
Wandparole am Kettenhofweg, Frankfurt April 1973
Die Ruinenviertel
Innerhalb des besetzten Raumes, seiner neuen Szenerien, erstrecken sich die weiten Totenstädte einer gestorbenen Klasse. Die alten Viertel, die Häuser der Bourgeoisie. Eine beträchtliche Blockierung neuer Formen liegt in einer absurden Liebe zum Ziegelstein, eine Art Hysterie dem Beton gegenüber, als ob diese Baumaterialien eine andere Freiheit garantieren könnten.
In dem politischen Denkmalschutz in den die Häuserkämpfe einmünden wie ein Fluss ins Meer, klammert sich ein Bewusstsein der Nicht-Authentizität an Häuser und Umgebungseinheiten in der Hoffnung, diese angesichts erinnernder Zeugnisse wiederzuerlangen; ein ohnmächtiges Bewusstsein, da diese Gebäude gerade das Authentische einer Lebensweise sind, die in den betonierten Einheiten nur eine andere Gestalt angenommen hat.
Doch ist der Urbanismus hinter den neuen Wällen sentimentaler Verklärung das Spektakel des Nützlichen, das das Spektakel des Schönen verdrängt.
Er ist der Zustand des Nach den Bedürfnissen bauen Könnens.
Die poetische Stimmung mancher dieser Viertel, die Reste einer besonderen Lebensweise, die aber nur in ihrer Geschichte verständlich sind, und das durch Abbruch bewirkte Verschwinden können nicht durch die Erhaltung bloßer Ruinen aufgehalten werden. Die Geschichte kehrt nicht zurück, sie wird vielmehr zum reinen Historismus, und damit zur Repräsentation, die das Machen der Geschichte ins Anschauen der Geschichte verkehrt. Es verschwinden zuerst die Kampftraditionen und danach die Häuserzeilen. Abgerissen wird die Vergangenheit der Kämpfe. Die Sehnsucht vieler, die sie beim Anblick alter Viertel überkommt, ist durch den touristischen Blick vorgegeben.
Die gewöhnliche Kritik am Beton spiegelt unbewusst nicht die Abscheu vor irgendeiner Art des Bauens wider, sondern vor der Art und Weise des Lebens, was dadurch aufgezwungen wird. Daher haftet den verschiedenen Verteidigern der alten Bauten, den Fossilien dieser heutigen Lebensweise, auch die Lüge an, die nur eine Verklärung des wirklichen Kampfes zustande bringt, indem ein Bewusstsein genährt wird, wo die elende Vergangenheit Gegenwart bleibt.
Für uns liegt die Poesie der alten Bauten nur in einer Zweckentfremdung ihres Gebrauchs. Erst dadurch werden sie zu möglichen Trägern poetischer Stimmungen. Nur in der Umkehr ihrer Bestimmung liegt etwas anderes als ein triefendes sentimentales Empfinden, das nur Altes noch einmal gebiert.
Zukunft und Vergangenheit sind beide Nicht-Existenzen, doch was nicht ist, kann werden, was war, ist für uns immer gewesen. Man kann einen Menschen, der noch nicht lebt, machen; aber einen Menschen, der gelebt hat, ruft keine Kunst, schleppt keine Gewalt aus dem Grabe zurück.
Ludwig Börne. Aus meinem Tagebuch
Man muss die Leute zu Schauspielern und Exhibitionisten machen.
Regine Zylberherg,
Besitzerin der New Yorker Nobeldiscothek "Regine's"
Rings um Manhattan wütet die Pest, doch im Zentrum der Stadt herrscht der Wahn vom ewigen Glück.
Ken Auletta, Daily News 1979
Den Angestellten und Fahrgästen der Untergrundbahn ist auch nicht entgangen, dass die Polizeipatrouillen, die ihnen ein Gefühl von Sicherheit geben, an den Wochenenden und an Feiertagen vermindert werden. Die Verwaltung der RATP hat zu einem ungewöhnlichen Mittel gegriffen, um der großstädtischen Menschenleere in den Metro-Gängen entgegenzuwirken. Fliegende Händler und Musikanten erhalten bereitwilliger als früher die Genehmigung, ihr Gewerbe im Labyrinth der Pariser Metro zu betreiben.
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 5.2.1979
In nur 10 bis 15 Jahren könnte eine Hausfrau in ein bestimmtes Geschäft gehen, verschiedene Päckchen, ähnlich jenen, in denen Blumensamen verkauft werden, durchsehen, und auf diese Weise ihr Kind nach der Etikette auswählen. Jedes Päckchen enthält einen eingekühlten, einen Tag alten Embryo, und auf der Etikette kann der Käufer die Haar- und Augenfarbe, die zu erwartende Körpergröße und den Intelligenzquotienten ablesen. Auch wird eine Garantie gegeben, dass der Embryo keine Vererbungsmängel hat. Die Frau trägt den auserwählten Embryo zu ihrem Arzt und läßt ihn sich einpflanzen. Hierauf wächst er neun Monate in ihrem Körper wie ihr eigenes Kind.
Kaiser Aluminium News, No. 6, 1966
Würden Sie in die dem Menschen bisher selbstverständliche natürliche Ordnung eingreifen? Wollen Sie das Geschlecht ihres Kindes wählen? Ihre Wünsche können erfüllt werden. Möchten Sie, dass Ihr Sohn 1,80 Meter oder größer als zwei Meter wird? Vielleicht zweieinhalb Meter? Was fehlt Ihnen? Leiden Sie an Allergie, Fettleibigkeit, Arthritis? Dem ist leicht abzuhelfen. Auch für Krebs und Zuckerkrankheit wird es eine gute Therapie gehen. ... Virus- und Bakterieninfektionen werden leicht zu behandeln sein. Auch Wachstum, Reife und Alter werden wir neu gestalten. Wir kennen keine wirkliche Grenze für die Lebenszeit Wie lange möchten Sie leben?
Washington Post, 31. Oktober 1966
In attraktiven Einkaufszentren (mit Gaststätten und Unterhaltungsmöglichkeiten) werden die Verbraucher zunehmend länger verweilen als bisher, den Einkaufsbummel genießen, zwischendurch ausruhen und Mahlzeiten einnehmen. Neue Zentren mit entsprechenden Freizeitwerten werden entstehen. Die Städte werden Fußgängerzonen schaffen und der neuen Konkurrenz zu begegnen versuchen. (...)
Der Jahresurlaub wird zum Konsumziel höchster Aktualität erhoben werden und sich insgesamt verlängern. Die Teilung in Sommer- und Winterurlaub wird Schule machen. Die alltäglichen Kulissen werden gegen neue und fremde - für längere Zeit - ausgewechselt, Eindrücke von starker Regenerations- und Erbauungswirkung werden zu empfangen gesucht. Und es wird noch lange danach davon gezehrt werden (eventuell anhand der gemachten Dias und Schmalfilme).
F. W. Fickel, Märkte, Verbrauchergewohnheiten, Angebotsformen
Der Einzelhandel wünscht sich für seine Fußgängerzonen mehr Straßenmusikanten, Schmuckverkäufer und Pflastermaler als Kundenmagneten. Wie aus einer in Bonn veröffentlichten Umfrage des Deutschen Industrie- und Handelstages (DIHT) weiter hervor geht, hängt der Erfolg einer Fußgängerzone jedoch von der baulichen Gestaltung ab. Die Mehrzahl der autofreien Bereiche trage durch originelle Gestaltung zur Belebung der Innenstädte bei. Neben Grünanlagen seien Brunnen eine beliebte neue Einrichtung geworden. So sprudelte in 200 von 313 erfassten Fußgängerbereichen bereits Wasser. Zunehmend würden auch mit Erfolg Freizeiträume wie Ruheinseln, Sitzpyramiden, Schachfelder und Tischtennisplatten eingerichtet. Auf der Wunschliste der befragten Händler, die ihre Geschäfte in den autofreien Zonen der Innenstädte haben, stehen ferner Flohmärkte, Straßentheater und -feste, ferner Straßencafes, Eisdielen, Schaukästen, Regen- und Sonnenschutz, Trinkbrunnen und Kunstgegenstände.
Frankfurter Rundschau, 2.5.79
Fünf Stunden Arbeit und kein Sonntag - ein Modell gegen Stress
Vier bis fünf Stunden Arbeit pro Tag mit wählbarer Zeiteinteilung auf die sieben Tage der Woche verteilt, kurze Arbeitswege, wohnungs- und betriebsnahe Erholungsflächen, Abschaffung des Urlaubs, Arbeit bis zum Tod - das ist, kurz gefasst, der Inhalt der Studie "Zukünftige Entwicklungsmöglichkeiten von Freizeit und ihre Folgen" (Verlag W. Kohlbammer, Stuttgart), die als Teil eines umfangreichen Forschungsprojekts des Bundesministeriums für Jugend, Familie und Gesundheit im Institut für Zukunftsforschung, Berlin, erarbeitet wurde. Mit Hilfe der Szenario-Methode werden vier Gesellschaftsmodelle entworfen, die als "Möglichkeit der Selbstverwirklichung in der Arbeit" angesehen werden, Modelle, "die sich am Stand heutiger und zukünftiger Technologie orientieren". Nach dem ersten Modell wird die Notwendigkeit der Freizeit abgebaut; die Arbeit soll Spaß machen. Die Arbeitszeit wird verkürzt und besser verteilt, die Arbeit menschlicher organisiert, die Technik an den Menschen angepasst. Das zweite Modell behandelt die zur Zeit vorherrschende Tendenz des wachsenden Gegensatzes von Arbeit und Freizeit. Die Modelle drei und vier beschäftigen sich mit der "Befähigung zur Freizeit" durch Bildung. Die Autoren der Studie bezweifeln die Notwendigkeit von Freizeit im heutigen Sinne; die arbeitsfreie Zeit diene heute in erster Linie dazu, die Arbeitskraft wiederherzustellen. Außerdem entfällt ein erheblicher Teil der "scheinbar disponiblen Zeit" auf Arbeitswege, Hausarbeit, Besorgungen und Reparaturen, Tätigkeiten also, die als "Nichtarbeit" gelten. Hausfrauen und Landwirte kennen keine Fünf-Tage-Woche und keinen mehrwöchigen Urlaub, den es ohnehin in der Geschichte der Menschheit bis in die heutige Zeit nie gegeben bat. - Diejenigen, die verreisen, vertauschen häufig nur Arbeitsstress mit Urlaubsstress oder die Trabantenstadt mit dem Feriensilo. Anstelle einer Urlaubsreise werden Auslandspraktika vorgeschlagen sowie der Austausch von Personal, Sozialeinsätze, Erntehilfe, Entwicklungshilfe, Fortbildungs- und Umschulungskurse. Der Gegensatz von Arbeit und Freizeit, heißt es, ist eine Folge der unmenschlich modernen Arbeitsbedingungen. Die Frühinvalidität betragt bei Arbeitern über die Hälfte, bei Angestellten über 35 Prozent der Rentenzugänge. Die "erzwungene Altersarbeitslosigkeit" führe, so die Studie, "zu Funktionsverlusten nach 40 Jahren Erwerbstätigkeit, die kein Freizeitprogramm wiedergutmachen kann, so dass die Arbeit bis zum Tod - immer humane Arbeitsbedingungen vorausgesetzt - durchaus ein Fortschritt wäre."
Mitteilungsblatt des Goetheinstituts
Wir sind dabei, uns gefühlsmäßig immer weiter von jenen Organismen zu entfernen, die uns alle am Leben erhalten, ohne die wir verhungern und ersticken würden: die Pflanzen. Wir überlisten den pflanzlichen Winterschlaf in Gewächshäusern und auf Fensterbänken. Wir fliehen per Fernreise aus dem Grau ins Grün, wann immer es uns passt. Wir kompromittieren heimisches Kraut mit Kühlschiffsladungen voller kenianischer Bohnen und Kiwi-Früchten aus Neuseeland. (...) Und gerade so, als ob wir unbewusst einen Ausgleich für die biologische Verarmung unserer nächsten Umgebung suchten, kaufen wir ein Füllhorn exotischer Früchte aus der ganzen Welt zusammen.
Günter Haaf, Zeitmagazin, April 1979
Das Raum-Zeit-Feld
Die augenfällige Übereinstimmung zwischen Dekor und Person, eine fast beleidigende Anpassung von Bauten und täglichem Verhalten der Menschen, ist die Ineinanderfolge von der Um- zur Innenwelt.
Im idealisierten Schwarm des Versprechens der Ware fügt sich die idealisierte Schwärmerei des in Kulissen repräsentierten Lebens. Vergangenheit, Zukunft und Gegenwart sind parallel, verlaufen gleichförmig zueinander. Sie sind verbannt und brechen daher unerwartet ein: Die Faschisten, die Futurologie, die Umweltverpestung - die Angst, der man nicht mehr Herr zu werden scheint.
Nahtlos erstreckt sich ein Zeitraum, in dem niemand etwas über die individuell und geschichtlich gelebte Zeit weiß, in der alles zu einem schnellen Vergessen hindrängt, in der die Gedanken und Gesten das bleiben, was vorgedacht wurde. Ein Zustand, in dem die Straßen Rollbahnen des Vergessens und die Bauten Orte verkaufter Wünsche sind.
Das Erleben der Zeit leidet unter dem gefangenen Raum. Der Begriff der Zeit wird ohne Veränderung des Raumes unbrauchbar. Verändert sich nichts im Raum, so ist die Zeit nicht wahrnehmbar.
Im Flickenteppich der dichten Abfolge einzelner Waren, die sich und zugleich alle Waren repräsentieren, gibt es Nahtstellen, an denen die Ware ihr Bewusstsein vermittelt, verschiedene Waren zusammenführt und als trennungslose Einheit erscheinen läßt. Die Diskotheken, das Kino und die Milieuviertel.
Der verschwundene Gebrauchswert entsteht hier erneut aus einer massiven Ansammlung, als Demonstration des Gebrauchs, als Sinngebung. Travolta ist ein Held, weil in ihm synthetische Einheit gelungen ist, die die Waren durch ihre bedingungslose Aneignung erlangen können. Er ist Prototyp eines in seiner Ganzheit durch Waren erbauten Lebens. Dennoch enthält er durch seine Rolle als Star soviel sichtbare Künstlichkeit, dass er als fernes Begehren besteht bleibt und so überhaupt noch einen Wert verkörpern kann, der steigt und nicht fällt, je populärer er auf der Bühne des Spektakels erscheint.
Die Kaufhäuser, als Stätten ungeheurer Magazine des gefälschten Lebens, sind vom funktionalen Flächentrakt, der so wenig Geborgenheit aufwies, zur Zergliederung in einzelne Zonen übergegangen, in der jede Ware ihrem spezifischen Klima gemäß ein eigenes Reich erhält. So wird die Gleichförmigkeit gesprengt und die Besonderheit durch räumliche Gliederung hervorgebracht.
Vom Shopping zum Shoppingleben. Heute verzichtet keine Fußgängerzone, diese Avenuen des Käuflichen, mehr auf den Versuch, eine räumliche Dichte vorzugeben und die Atmosphäre eines Gassenviertels zu imitieren. Je mehr manche Stadtkerne nur noch aus solchen Straßen und integrierten Passagen bestehen und die sonstige Umgebung vollständig saniert ist, desto schneller werden diese Bereiche zur "warmen Zone" erklärt, in der sich ein Leben abspielen soll, wie es der Flaneur kannte oder der Tourist von seinen Basarausflügen her kennt. Die durch ihre Dominanz herrschende Ware, um die sich tatsächlich alles rankt, wird wie in einem Filter gebrochen, dessen Licht alles in den möglichen Gebrauch als unabhängiges Leben erscheinen läßt, zu dem es keine Alternative gibt. Weil nichts herum mehr existiert, was diese Lüge hervorheben könnte.
Das was noch in den frühen 60er Jahren getrennt als Freizeitgesellschaft bezeichnet wurde, als eine zeitliche Enklave der Verschwendung, ist zur alltäglichen Harmonisierung der Gleichgültigkeit geworden, in der keine besondere Zeit mehr gilt. Vom besonderen, mit seiner eigenen Kulisse, dessen vorbildliche Ausführung im Disney-Land geschah - das heute als Experimentierfeld zukünftiger gesellschaftlicher Bilder angesehen wird - zum allgemeinen ohne Reiz.
Das Exklusive, Luxuriöse, läßt sich weniger denn je aufrechterhalten, weil alles unter dem gleichmachenden Zustand der Reproduzierbarkeit leidet, die aber neben ihrer Genugtuung, dass das Geld alles erreichbar macht, auch eine Beängstigung auslöst, durch die jeder Verbrauchsserientyp in den Exzess einer künstlichen Besonderheit getrieben wird, durch die er genau zu der exzessiven Künstlichkeit wird, die diese Zeit ist und der er aber entrinnen möchte. Dies garantiert der Ware den exklusiven Status, den zu anderen Zeiten der Privilegierte einnahm.
Die Trennung von Vernunft-Zeit als produktive Verausgabung und phantasmatischer Zeit als nicht-produktive Verausgabung ist in einer gänzlichen Trennung des aktuellen Menschen von seiner Zeit aufgelöst. Das Klima eines ewigen Sommers der Reiseprospekte, in dem die Entfremdung als Glück und das Glück als Entfremdung herrscht. Zeit wird als Zeitblock verkauft. Der Raum ist in Preiszonen gestaffelt.
Die Spannung zwischen Verbrauch und Prestige, Aneignung und Bewunderung, ist im Dröhnen der Erdbeerbomber verklungen, durch die dem kleinen Idioten das Vergnügen verschafft ist, zu einem kleinen Preis sich raum- und zeitlose Vergnügungen zu leisten und dabei die Genugtuung mitzuerwerben, dass es keine größeren Vergnügungen außerhalb des Portemonnaies gibt.
Die Logik der Entfremdung bleibt nicht im Verhältnis von Produzent zu Produkt stehen, sondern manifestiert sich vielmehr durch das eigenständige Leben, das es führt. Summierend verbürgt die Entfremdung den natürlichen Bereich von Tausch, Gebrauch und Produktion. Kein Arbeiter steht mehr entfernt zu den Gegenständen. Die Gegenstände sind ihm eigen, wie er diesen eigen ist. Solchermaßen eingeholt, über das Zuchthaus Fabrik hinaus, ist der Raum die Zeit, welche notwendig die Strecke eines Gedankens im Bereich einer greifenden Hand ist.
Tag und Nacht sind aufgehoben.
Die in der industriellen Methode begründeten Verhaltensweisen unterwandern mit zunehmender Beschleunigung das Kraftfeld der Ideologien, indem sie diese widerlegen oder als Theorien von etwas entlarven, das es gar nicht gibt.
J. Bader
Meditationen an den Gräbern der Kameraden von 1914 auf der Höhe von Combes
Was also seit 10 oder 15 Jahren auftaucht ist so würde ich sagen - die zunehmende Kritisierbarkeit der Dinge, der Institutionen, Praktiken, Diskurse; eine Art allgemeine Brüchigkeit der Böden, auf denen wir stehen, auch und vielleicht gerade der vertrautesten, festesten, die uns, unseren Körper, unseren alltäglichen Gesten am allernächsten sind.
M. Foucault, Dispositive Welt
Aber es lässt sich kein Zielpunkt bestimmen, denn wir sind unterwegs auf einer großen Suche, wo Ankunft und Aufbruch, Anfang und Ende sich beständig vertauschen.
Antonietta aus Bologna, 19.1.77
Wie dem auch sei, jede Wiederaufnahme in Kategorien der Totalität hat in Wirklichkeit einen Bremseffekt gehabt.
M. Foucault, Dispositive Welt
Der allgemeine Widerspruch zwischen dem, was man die moralische Überzeugung der Leute nennt, und dem, wie sie wirklich leben, ist die objektive Heuchelei, die einen Ethos charakterisiert.
Arno Plack 1968
Die Dialektik hat das Verkleinern, Verächtlichmachen, den Hass in der Welt vermehrt: sie bestimmt die Knospe in ihrer Negation zur Blüte, die Larve in ihrer Negation zum Schmetterling, das Kind in seiner Negation zum Erwachsenen, das Alter in seiner Negation zur Lebensmitte. Kind, Knospe, Larve und Alter sind aber eigene Kräfte mit eigenen Vorstellungen und Wünschen, mit eigener Schönheit, ein Spiel von Pluralitäten.
Röttgen/Rabe, Vulkantänze
Welche Fragen? Ganz einfach!
- über das, was läuft
- über das, was nicht läuft
- über das, was besser laufen könnte
- warum es läuft
- wie lange alles schon läuft
- was beim Laufen so alles gelernt wurde wer es oft zum Auflaufen gebracht hat
- wie es untereinander läuft
- wie es verhindert werden kann, dass der Lauf zu schwierig wird
- wieviele mitlaufen
- in welcher Form es läuft
- unter welchen Bedingungen es läuft
- warum es nicht mehr läuft
- Läßt es sich vom Laufen leben
- wie es weiterlaufen kann - soll muss
...........meiner Phantasie sind leider ständig Grenzen gesetzt
Tageszeitung, 8.5.79
Dagegen stellen wir die revolutionären, schizophrenen Mischungen. Etwa Radio Alice: Kollektive Verkettung von Aussagen - Theorie - Technik - Poesie - Träumereien - Parolen - Gruppen - Erotik - Einsamkeit - Freunde - Verzweiflung - Geschichten - Musik - Sinn und Unsinn - Urin - Lachen - Weinen - Küsse - Pistolenschüsse - Vergessen.
Oder das Gemisch des Aufstandes selbst: Frauen, Fremdarbeiterinnen, Erotomanen, Kindern, Greisen, Gefangenen, Verrückten, Tieren, Yakis, Türken, Beduinen, Indianern, Kalmüken, Monteneros, australischen Dockarbeitern, Iren, Transvestiten ...
Rötten/Rabe, Vulkantänze
Diese Sprachstile sind die Planstangen der Angleichung von Verhaltensweisen. Einer gründlichen Anpassung an die Arbeit-, Wohn- und Psychomaschine geht die individuelle Eichung auf ihre Codes voraus und parallel. Die subtilsten Mittel liegen in der Micropolitik der Zeichen. (...)
Eine Zeitung, die das realisieren wollte, wäre ein fliegender Teppich. Gewoben aus ganz verschiedenen Fäden der Hoffnung, der Hoffnungslosigkeit, der Freude, der Trauer, der Kampfbereitschaft und den Unmöglichkeiten, die jeder in sich findet.
Das Flugziel ist dabei ganz unbestimmt. Vielen wird das nicht passen. Aber der Teppich läßt die Maschine der sogenannten Realordnungen unter sich, er überwindet die Subjekt-Objekt Positionen in dauernden Grenzüberschreitungen.
Tageszeitung-Fälschung, 16.7.79
Denn bei jenen Analysen, die bevorzugt die Ideologie behandeln, stört mich die Tatsache, dass man immer noch ein menschliches Subjekt unterstellt, für welches die klassische Philosophie das Modell geliefert bat, ein Subjekt, das mit einem Bewusstsein ausgestattet ist, welches die Macht sich unterwerfen will.
M. Foucault, Mikrophysik der Macht
In der kapitalistischen Gesellschaft macht sich der gesellschaftliche Verstand immer erst Post festum geltend.
K. Marx, Das Kapital
Wir haben keine Chance, aber wir nutzen sie!
Tageszeitung Abonnentenwerbung, 1979
All dies schleppt sich dahin, geht nicht vorwärts, wiederholt sich und bildet kein zusammenhängendes Ganzes; im Grunde sagt es beständig das Gleiche, doch sagt es vielleicht auch gar nichts aus. In zwei Wochen: es ist nicht schlüssig.
Ich könnte Ihnen sagen, dass es sich letztlich um Spuren handelte, denen es zu folgen galt, wobei es von geringer Bedeutung war, wohin sie führten; ja, es war sogar wichtig, dass sie nirgendwohin führten, in keine von vornherein determinierte Richtung. Diese Spuren waren wie gestrichelte Linien, und es war an Ihnen, sie fortzuführen oder anderswohin zu lenken, an mir gegebenenfalls, sie voranzutreiben oder ihnen eine andere Gestalt zu geben.
Letzten Endes werden wir, Sie und ich, sehen, was wir aus diesen Fragmenten machen können. Was mich betrifft, so kam ich mir wie ein Fisch vor, der aus dem Wasser hochspringt und auf der Oberfläche eine kleine, kurze Schaumspur hinterlässt und der glauben läßt oder glauben machen will oder glauben möchte oder vielleicht tatsächlich selbst glaubt, dass er weiter unten, dort wo man ihn nicht mehr siebt, wo er von niemanden kontrolliert wird, einer tieferen, kohärenteren, vernünftigeren Bahn folgt.
M. Foucault, Vorlesung
Jede Gesellschaftsepoche braucht ihre großen Männer, und wenn sie dieselben nicht findet, so erfindet sie sie, wie Helvetius sagt.
K. Marx, Das Kapital
Miller: Kurz: wer oder was sind deiner Meinung nach die Subjekte, die sich gegenüberstehen?
Foucault: Es ist nur eine Hypothese, aber ich würde sagen: jeder jedem. Man bat nicht unmittelbar gegebene Subjekte, von denen das eine das Proletariat, das andere die Bourgeoisie wäre. Wer kämpft gegen wen? Wir kämpfen alle gegen alle, Und es gibt immer irgendetwas in uns, das etwas anderes in uns bekämpft ... Die Individuen, und sogar die Sub-Individuen.
Miller: Die Sub-Individuen ?
Foucault: Warum nicht ?
M. Foucault, Dispositive der Macht
DIE LEGALISTEN DES VERGESSENS
Die Epoche der erfolgreichen Organisation des Scheins ist vorbei: der radikale Angriff negativer Kräfte hat die künstliche, gesellschaftliche Einheit gesprengt, die das Spektakel verkündete. Heute wird der Zusammenbruch offen bekanntgegeben, um genau den Zustand zu organisieren, wo das Vertraute, die Vertrautheit mit dem Elend, doch die Unkenntnis, das Unbekannteste bleibt.
Die Psychologisierung des Alltags, die Verschiebung der Erfahrung des Mangels im Sozialen in die Erfahrung des Mangels beim Einzelnen ist die reformistische Antwort auf die im revolutionären Moment des Mai sichtbar gewordene Leere und Langeweile des Lebens in der spektakulären Gesellschaft, ist die Entschärfung der Kritik des gehandelten Individuums und die Verunmöglichung des handelnden Subjektes - wissenschaftlich verbrämt in der strukturalistischen Abart der modernen Resignation (d. h., die historische Preisgabe der Revolution, die Aufgabe der globalen Perspektive der Aufhebung).
Das in seinem Aufbegehren sowohl zerstückelte als auch belastete Individuum kann sich nur noch partiell wiedererkennen: Bürgerinitiativen, Umweltschutz, Frauenemanzipation, Therapiegruppen oder andere spezialisierte Aspekte seiner Verhinderung sollen in einem imaginären Dialog die Lebhaftigkeit des einzelnen neu zutage treten lassen.
Der Strukturalismus ist die weitestgehende Variante der Behauptung des Verfalls zugunsten reformistischer Bemühungen; seine Träger: die aus der folgenschweren Trennung zwischen den Ideen von Marx und ihrer praktischen Durchsetzung in der Fraktion des produzierenden Proletariats hervorgehenden Ideologen, die in ihrer Getrenntheit von der wirklichen Bewegung nicht an der Weiterentwicklung der revolutionären Kämpfe Anteil hatten, sondern sich als Intellektuelle dem Situationismus, der Rückbildung der situationistischen Theorie, verdient machen. Sie stoßen dabei auf das Offizielle in einer Zeit der Auflösung, von daher ihre Gefährlichkeit als radikal getarnte Denker; von daher ihre Rezeption (Frankreich, Italien, BRD) in einem Milieu der Unkenntnis; von daher ihre Bedeutung für die Revolutionäre als Gegner im Kampf gegen die Rekuperation.
Hier die Kritik der politischen Orthodoxie als Schwund an Klassenkampf, als Regionalisierung des Bewusstseins und als Relativierung des Handelns, das keine globale Dimension mehr hat.
Mit dem Verlust der Perspektive einer praktischen Radikalität fällt der Blick für Zusammenhänge überhaupt; der augenscheinliche Verzicht ist aufgelöst in der Mannigfaltigkeit tausender Betroffenheiten und Zugehörigkeiten - Data.
Der Zusammenbruch der vom Spektakel verkündeten gesellschaftlichen Einheit ist im Strukturalismus aufgehoben durch die rein negative Einheit des Zerfalls.
Die lange Periode des theoretisch-praktischen Elends der revolutionären Bewegung (vom Stalinismus zum Revisionismus) und die Entfremdung der marxistischen Theorie von den wirklich radikalen Kämpfen haben aus der falschen Reflexion der Mai-Aufstände, als Niederlage des Proletariats, das Geschwätz der Linksideologen zur Blüte gebracht, die sich in einem Akt der Befreiung wähnend an die Vernichtung der Elemente der kritisch-praktischen Theorie machen, die doch gerade erst in der Revolte zurückgefunden worden waren.
Selbst das Produkt der Entfremdung, gibt es für diese Intellektuellen in ihrer Verwicklung in die Auseinandersetzung mit der KP (zu Beginn hauptsächlich in Frankreich) auf den gänzlichen Zusammenbruch der Epoche der erfolgreichen Organisation des Scheins - und nicht den der Revolutionäre - nur den paranoischen Reflex, doch noch einmal ganz ohne Illusionen von vorne anfangen zu wollen und erst einmal alles abzuschütteln. D. h. doch noch einmal gänzlich illusionär zu sein und über die neu aufgerissenen Klüfte ein neues Netz der Verschleierung zu spinnen; wenig schöpferisch und ganz das alte.
Die Debatten um die Arbeiterbewegung in der Zeit der Stagnation hatten nicht den erhofften Zugang zur Macht, zur Führung der Bewegung gebracht, die wirkliche Kritik kennt keinen anderen Platz für jene professorale Ausgelassenheit des Schreibens, als den der Müllhalde der alten Welt. Nur wenige, deren Schicksal schon gesprochen ist, wie Althusser oder der alltägliche Lefebvre, haben noch ungetrost an deren Verschmückung teil.
Das Badengehen der akademischen Schichten und die Reformgrenzen des sozialideologischen Sektors der Universitäten, die objektive Bedeutungslosigkeit des subventioniert Kritischen treiben die Krise um die eigene Rolle in einer Weise voran, die eine völlige Haltlosigkeit und Verwirrung widerspiegelt.
In dem Eindruck einer noch totaleren Beherrschung, die keinen Gegner mehr ausfindig zu machen weiß, wird ein Bild der Macht entworfen, das ihre Schwäche, ihre Angegriffenheit nicht mehr aufzeigen kann. Schuldhaft wird die Dialektik als Hirngespinst der naiv hoffenden Knechtsnatur entlarvt, die in ihrer Suche nach einer Kontinuität auf das Bild einer historischen Endlösung verfallen sei, um ihren Taten der Verzweiflung den Sinn, die historische Perspektive zu geben und so ihre Ruhe zu finden. Eine Ruhe, die angeblich so trügerisch ist, weil sie doch die Ausgrenzung, den Gulag, geschaffen habe, die neue Knechtschaft, die gewaltigere Unterdrückung, wohlweislich ignorierend, dass es noch nie eine Gesellschaft ohne Herren und Sklaven gegeben hat.
Entlarvend ist diese platte Konstruktion schlechterdings nur für die pfäffische Mentalität dieser Verwalter selbst, schon lange versteht sich der dümmliche Nihilismus dieser Schickeria als der gänzliche Positivismus zu den monatlichen Bezügen.
Tatsächlich ist das Denken über die Geschichte nicht zu trennen von einem Denken über die Macht, aber nur als ein Denken, das nicht mehr bei der Suche nach dem Sinn des Seienden stehenbleibt, sondern sich zur Erkenntnis der Aufhebung des Bestehenden erhebt, und in dieser Tätigkeit jede Trennung aufhebt. In die Reihe der spektakulären Kritik des Spektakels tritt die Verteidigungsschrift dieser Gesellschaft als falsche Verzweiflung der undialektischen Kritik, als das legitimierte Vergessen der geschichtlichen Praxis.
Hinter der Ablehnung der Theorie, der immer eine Ordnungsfunktion immanent sei, hinter der Begriffsverwirrung - statt Kontinuität: Finalität, Asignifikanz, Heterogenität, Diskontinuität und Dispositiv - verbirgt sich letztlich nichts anderes als das Erkennen der eigenen Rolle als staatliche Denker, in der Sprache dieser Gesellschaft selber zu denken und ihre Daseinsform und Existenzbedingungen als ein Absolutes zu betrachten, jene übergeschichtliche Gültigkeit in ihr zu ermitteln, nach der sie selber strebt und die sie in der Krise umso massiver von sich behauptet und ausdrückt.
Den ehemaligen Spezialisten der ultralinken Politik erscheinen die Ergebnisse der ethnologischen Ideologie, dass einige Stämme keine Geschichte hätten, als einleuchtende Erklärung für die Unmöglichkeit, in der eigenen zu handeln.
Ihr Standpunkt ist der der ewigen Gegenwart eines Systems, das nie geschaffen wurde und nie enden wird. Ähnlich müssen ihre Produkte, der Foucaultsche Spiralnebel, das Klebenetz à la Deleuze oder der christliche Glucksmann den Charakter des Unaufhörlichen, des Ewigen annehmen.
Durch den Niedergang des radikalen Denkens wird die Macht der Worte, werden die Worte der Macht beträchtlich verstärkt; wie Metastasen verbreiten sich die falschen Neuheiten und sickern in die Köpfe der blöden Verzweiflung, deren Betroffenheit insoweit ganz anderer Natur ist, als es ihnen fraglos an der öffentlich bewundernden Akklamation fehlt, wie sie dem professoralen Lächeln bei den falschen Festen, wie Tunix oder im alljährlichen Reseau vergönnt ist. Während das organisierte Chaos des generalisierten Verzichts den einen zur Inspiration ihrer beispielhaft kybernetischen Schreibweise des schnellen Wechsels angedeiht, und ihnen den Aspekt der Führung der neu geschaffenen Schule - in ihren Worten: eines weiteren hierarchischen Signals - vermittelt, sie also tatsächlich zu gesellschaftlicher Wirksamkeit gebracht hat, stellt sich den anderen nur die traurige Existenz, wieder einmal andere gefunden zu haben, die ihnen das Denken abnehmen, um ihren Alltag voller kleiner und großer Widerwärtigkeiten als das einzig Mögliche in einem halluzinierten Dialog des Elends mit dem Elend zu organisieren.
Man ist nicht mehr allein, und hat doch alles keinen Sinn, so gibt es doch immer wieder ein paar arme Schweine, denen es noch viel schlechter geht (die Dissidenten, die Frauen, die Schwulen, die Kranken, die Verrückten und sonst irgend jemand), denen man sich in christlich reformistischer Manier annehmen kann und zu dessen Fürsprecher man sich aufschwingt.
Dieses Denken ist so besonders, weil es das platteste und gemeinläufigste schlechthin ist. Sein Einfluß ist dort am größten, wo seine Elaboranten und Aspiranten nie genannt würden, wo sie unbekannt bleiben: es ist das staatliche Denken der Macht, das einen in seiner ganzen Erbärmlichkeit an jeder Straßenecke anfällt, wo es bereits auf sein Zentrum konzentriert ist: das geschichtliche Abdanken des Individuums, die Reformismen der modernen Resignation.
Die staatlichen Beratungsstellen, die Konzepte der Bürgernähe, die politischen Televisionsschwatzbuden, die Öffnung der Irrenanstalten, die Häuser für die geschlagenen Frauen zeigen die Synchronität ihrer Erfolge mit den "ordentlichen Dingen", zeigen den Strukturalismus der Macht - alles andere als die Macht des Strukturalismus.
Insgesamt bin ich wieder von der entsetzlichen Langeweile (...) der Dinge ohne jedes Interesse eingenommen ...
Ich glaube, mich daran erinnern zu können, dass wir in Übereinstimmung beschlossen hatten, die WELT in einer erstaunten Halb-Ignoranz zu lassen bis zu irgendeiner zufriedenstellenden und vielleicht skandalösen Manifestation (...) Wie lustig wird das, sehen Sie, wenn dieser wirkliche NEUE GEIST sich entfesselt!
Jacques Vaché, 1918
Im Mai begann die Gärung. Die Lage ist plötzlich explosiv geworden, mit Streiks, die sich über viele Tage hinzogen Die Gewerkschaft - übrigens fast inexistent an den Bändern - hat die ganze Zeit fast keine Rolle gespielt. Der Kampf war ein spontaner Kampf
- wer mehr Kraft besaß, streikte - und diente dazu, einige sehr tüchtige Arbeiter ans Tageslicht zu bringen, die sonst im Dunkeln geblieben waren.
Ein Arbeiter von Renault
Anzahl der Arbeitstage pro Jahr, die durch Streiks verloren gingen, per 1000 Personen, die von 1969 bis 1974 angestellt waren (In Bergbau, verarbeitende und herstellende Industrie und Transport)
Schweiz: 2 Belgien: 512
Schweden: 64 Dänemark: 912
BRD: 90 England: 1186
Holland: 118 USA: 1380
Japan: 288 Italien: 1746
Frankreich: 300
LeMonde, 30.3.76
Früher demütigte die Bourgeoisie das Proletariat durch ihre Siege. Heute aber demütigt sich in Italien die elendste Bourgeoisie Europas, damit das Proletariat nicht siegt. Reggio di Calabria ist das erste Beispiel einer Stadt, die mitten im Herzen der kapitalistischen Ausbeutung mehr als 3 Monate lang gemeutert hat, indem sie sich dabei selbst verwaltete. Durch einen allgemeinen wilden Streik und einen nicht öffentlich angegebenen Ausnahmezustand isoliert, hat sie mutig ihre eigene, eroberte Freiheit verteidigt, indem sie sogar mehrmals auf die Polizeikräfte schoss und Barrikaden aus Hochspannungsleitungen errichtete. Und der italienische Staat ist der erste Staat Europas, der mehr als 3 Monate lang durch eine revoltierende Stadt ohnmächtig geworden ist. War dieser Aufstand anfangs konfus, so lassen jetzt seine Dauer und die zunehmende Gewalt, mit der er sich behauptet hat, das Maß seiner wirklichen Kraft und der Klarheit erkennen, zu der er gelangen konnte. Die echte Radikalität berechtigt zu allen Varianten, sie garantiert für alle Freiheiten. Das Spiel der reinen Gewalt gehört zur reinen Gewalt des revolutionären Spiels."
Nur wir können der heute bestehenden Macht beraubt worden sein, und sie wird also nur von uns wieder erobert werden können. Niemandem sind wir etwas schuldig, da wir nichts besitzen, gerade deswegen aber sind wir die drohendsten Gläubiger.
Die Arbeiter Italiens und der Aufruhr in Reggio di Calabria
(Italienische Sektion der Situationistischen Internationale, Mailand 1970)STEPPENBRAND
Die verschiedenen revolutionären Bestrebungen des Jahres 1968, besonders die französische Mai/Juni-Revolution, führten das aufständische Bewusstsein erneut ins Feuer, in dessen erster Linie die Akteure einer fast 20-jährigen Verdunkelung auf der Strecke blieben und in zweiter die globale Ausrichtung der neuen Sch1achtreihe erfolgte.
Die sich wie ein Steppenbrand ausbreitenden Perspektiven dieser Ausrichtung sengten überall Brandlöcher in den Teppich der spektakulären Welt. Die Dynamik eines solchen Frühlings zwang der Orthodoxie bis an den Rand ihrer Selbstaufgabe die Rolle eines Bruchstückklauber auf. Die ewigen Helden des Smolny in Petersburg und der Ramblas von Barcelona wurden in ihrer Vergangenheit eingeschlossen und gezwungen, darin all die Dynamik zu finden, die sie sonst nirgends mehr antrafen. Ihre Oberhand in den letzten Jahren ist diejenige über diese Gruft ihrer Vergangenheit, in der sie gefangen sind.
Nie mehr werden die geschichtlichen Kämpfe dorthin zurückkehren, um diese Leichen zu bergen, wie es die stille Hoffnung dieses Milieus ist.
Die Maoisten in den Loshöhlen Yenans oder die Trotzkisten im miniaturisierten Petersburg Coyoacan, die zwei Stollen zu ein und derselben stalinistischen Katakombe, über der in einer Klärgrube das Absinth für Verlierer, der Anarchismus, platscht.
In den Besetzungen und wilden Streiks gegen die Gewerkschaften und ihre Parteien, über das Gekreisch der kleinen, aber treuen Kopien dieser konterrevolutionären Bollwerke hinaus führten die Klassenkämpfe die revolutionären Proletarier bis an die Grenze der Machtfrage, die teilweise, wie in Italien, aber auch viel verschwiegener in Nordamerika, in den bewaffneten Aufstand übergingen. Bis in die jüngste Zeit hat sich diese Verschärfung des Kampfes gehalten und ist allgemein verbreitet. Die Irrtümer eingeschlossen, etwa Lip - die mythische Funktion, die dieser Auseinandersetzung zugeschoben wurde durch eine vollkommen ramponierte Linke, welche die militanten Christen der CFDT und den ganzen gewerkschaftlichen Mythos neuanheizte -, die darin liegen, letztlich gezwungen zu sein, die Lohnarbeit selbst zu organisieren, die Unfähigkeit des Kapitals militant aufzufangen. Dennoch ist selbst in diesen Kämpfen noch mehr Radikalität enthalten als in den Problemen, die im kulturellen Sektor eifrig diskutiert werden und mit ihren neuen Windmühlen den Strom liefern werden, den das Kapital nötig hat.
Von neuem ist die proletarische Revolution an ihrem zweiten, untergründigen Pol angelangt, von dem aus die vorbereitenden Manöver ausgehen, alles von neuem in Brand zu setzen. Seit 1968 haben die Klassenkämpfe die gewerkschaftlichen Lohnidyllen, die als Hegemonialmacht das revolutionäre Bewusstsein des Proletariats abschnürten, gesprengt. Durch die wieder hervorbrechende Dynamik der sozialen Gewalt ist die gewerkschaftliche Variante der Abschaffung des Klassenkampfes unrettbar verloren.
Was den Kopf der IG Metall betrifft, so ist der Unterschied zu seinem Vorgänger die Tatsache, dass er seine Untergeordneten nicht mehr kontrollieren kann.
Der Spiegel, No. 10/78
Albatros: Die Besetzung der Raffinerie weitet sich gegen die Entmutigungen der Gewerkschaft auf diverse Sabotageakte aus.
Belgien, September 1978
Diese Theorie war so lange richtig, solange die Produktion dazu dient, die menschlichen Bedürfnisse zu erfüllen. Diese Theorie ist aber falsch in der heutigen Überflussgesellschaft, in der die Menschen im Namen der Statussymbole jagen und entsprechend Geld verdienen. Dieser Überflusssektor sollte entweder ganz oder gar nicht privat oder kooperativ sein und natürlich frei von Steuern und staatlichen Eingriffen. Strebe der Mensch nach Macht und Einfluss, könne er dies in der Politik, Kultur oder anderen Bereichen tun. Ihm schwebe vor, dass jeder Mensch etwa mit dem 35. Lebensjahr die Möglichkeit haben sollte, aus dem Reich der Notwendigkeiten in das Reich der Freiheiten hinüberzuwechseln.
Der Sozialdemokrat. Nationalökonom Gunnar Adler-Karlsson, Frankfurter Rundschau, 7.12.1977
ITALIEN. Die KPI-orientierte Gewerkschaft CGIL hatte kürzlich in Neapel große Schwierigkeiten. Einer der lokalen Sekretäre kann von und zur Arbeit nicht ohne den Schutz von drei kräftigen Leibwächtern gehen. Seine camera di lavoro wurde am 24. Jan. von 200 Arbeitslosen heimgesucht (es gibt in Neapel 150.000 Arbeitslose von 1,25 Einwohnern). Die Meinung über den Regierungseintritt der KPI ist klar: Es würde schlechter werden, schlechter als heute, wir würden sogar das Streikrecht verlieren.
Der Spiegel, No.6/78
Wenn die Sklaven, die in den unterirdischen Schächten gekrümmt zugrunde gehen, sich aufrichten und ihre Hüften strecken ... und es wirklich wollen, dann fragen sie die mickrigen Lamendaims nicht um Rat.
Zo d'Axa.
Anmerkungen zum internationalen Bergarbeiterkongress in London
Der Wille zur Macht ist stärker als alle Theorie. Am Anfang entsteht die Führung und der Apparat des Programms wegen; dann werden sie von den Inhabern um der Macht und Beute willen verteidigt, wie es heute schon ganz allgemein der Fall ist, wo in allen Ländern Tausende von der Partei und den von ihr vergebenen Ämtern und Geschäften leben, und endlich verschwindet das Programm aus der Erinnerung, und die Organisation arbeitet für sich allein.
Oswald Spengler, Der Untergang des Abendlandes, 1922
Die 5. Kolonne im Gepäck der hierarchischen Entfremdung.
Alle Versuche der gewerkschaftlichen Erneuerung bleiben gefangen in dem, was das Wesen der gewerkschaftlichen Existenz ist: Partizipierende Verteidigung des Lohnsystems als Anerkennung des ganzen Rests.
Jene Wächter über den Klassenkampf, von den Gewerkschaften bis zur Politik der Parteien, sehen sich in der Situation letzter Schutzleute der alten Ordnung, weil sie allein der wirkliche Schutzwall vor der revolutionären Sturmflut sind - fünfte Kolonne im Gepäck der hierarchischen Entfremdung.
Seit den Aufständen der Jahre 1918-1924 bis zum Zusammenbruch der bürgerlichen Ordnung im Faschismus, den vorausgegangenen Niederlagen des Proletariats innerhalb der russisch-asiatischen Zonen, sind die Arbeiter ihrer Operationsfähigkeit nicht nur weitgehend beraubt - bis auf die lokale Aktion -, sie wurden auch tief in die Konsumtion eingegliedert, was den Sozialisten vom Schlage eines Blancs 1848 noch misslang. Die Teilnahme am Warenverkehr hat alle gleichgemacht und den wirklichen Traum von 1789 erfüllt.
Dieses fast vollständige Scheitern der proletarischen Organisationsversuche hat die soziale Revolution mitverhindert, und die weitreichende Blockierung der autonomen Aktion durch die umgedrehten Überbleibsel aus den frühen Tagen der Arbeiterbewegung, dieser Alpdruck auf dem Leben, bindet sie wie Kugelketten an eine Tradition, die gänzlich ihr Feind geworden ist. Ein guter Gewerkschaftler ist immer ein guter Polizist. Alle Kämpfe, ob nun lokale oder nationale, sehen sich diesen Laufgräben der Ordnung gegenüber. Die Internationalität des Klassenkampfes und die Notwendigkeit, diesen auch so zu führen, ist auf den Standpunkt eines nationalen Burgfriedens reglementiert.
Während der wilden Streikwelle zur Jahreswende 1978/1979, so stellte ein Unternehmer fest, sei die englische Ökonomie nicht durch die Gewerkschaften und auch nicht von den Shop Stewarts bedroht, sondern von den Arbeitern selbst - die Gewerkschaften müssten ihren Mitgliedern hinterherrennen, um nicht ganz ihre Macht ausserhalb der Büroetagen zu verlieren. Hier zeichnet sich das Patt der letzten gesellschaftlichen Kontrollinstanz ab, nicht als neuartige Erscheinung, sondern jenseits eines nebelhaften Mythos von gewerkschaftlicher Militanz, die von Land zu Land als unterschiedlich angesehen wird, um nie in Verlegenheit zu geraten, die Gleichheit des ganzen gewerkschaftlichen Wesens zu erhellen.
Kronstadt hat ein Beispiel gegeben. Es ist zum Schrecken der Gegenrevolution von rechts und links geworden. Was hier begonnen hat, ist eine Revolution. Gegen die dreijährige Tyrannei und Unterdrückung der kommunistischen Autokratie, die den dreihundert-jährigen Despotismus des Zarentums in den Schatten gestellt hat, haben wir uns erhoben. Hier in Kronstadt wurde die Dritte Revolution begonnen. Sie wird die Befreiung der Arbeiter vollenden und einem schöpferischen Sozialismus den Weg bahnen. Die Massen im Osten und Westen werden auf sie hören und sie zum Beispiel nehmen; sie werden lernen, dass der Sozialismus mit dem, was bisher in Russland im Namen der Arbeiter und Bauern geschehen ist, nichts zu tun hat (...). Die Arbeiter und Bauern gehen voran, und sie lassen die Konstituante mit ihrer bürgerlichen Herrschaft ebenso hinter sich wie die Diktatur der Kommunistischen Partei mit ihrer Tscheka und ihrem Staatskapitalismus.
Das Blatt hat sich gewendet. Die arbeitenden Massen werden jetzt endlich ihre Sowjets selbst wählen, frei und ohne Furcht vor der Parteipeitsche. Die Gewerkschaften und Bauernorganisationen sind keine Marionetten der Regierung mehr; sie werden sich zu freiwilligen Assoziationen der Arbeiter, der Bauern und der Intelligenz umbilden. Der Polizeiknüppel der kommunistischen Autokratie ist endlich zerbrochen.
Kronstädter Iswestija No. 6 vom 8. März 1921
Die Kontrollmacht der internationalen Bürokratie über die kommunistische Weltbewegung macht ebenfalls eine Krise durch, die sich nur verstärken kann. Es ist kein Zufall, dass ihre Anfänge mit dem Anfang der Krise innerhalb unseres Lagers und mit den ersten antibürokratischen Revolutionen in Polen und Ungarn zusammenfallen. Der Kampf gegen die Diktatur der Bürokratie hilft der Arbeiterbewegung in der Welt, sich von deren Vormundschaft zu befreien. Die siegreiche antibürokratische Revolution wird dieser Vormundschaft ein Ende bereiten; sie ist der natürliche Verbündete der revolutionären Bewegung der Welt.
Jacek Kuron/Karol Modzelewski
Offener Brief an die Polnische Arbeiterpartei, 1967
Am 2. Juni 1962 ist es in der rund 168 000 Einwohner zählenden Industriestadt Nowotscherkassk im Gebiet Rostow am Südlauf des Dons zu einer Erhebung und blutigen Zusammenstößen mit den Staatsorganen gekommen, bei denen 70 bis 80 Menschen ums Leben gekommen sein sollen.
Anlass der Erhebung waren die Bekanntgabe einer Verordnung über eine Erhöhung der Fleisch- und Butterpreise sowie eine am selben Tag vorgenommene Senkung der Lohnsätze bis zu 30 Prozent im Elektrolokomotivenwerk von Nowotscherkassk. Die Arbeiter des Werks reagierten am 1. Juni, einem Freitag, mit Arbeitsverweigerung und einer Versammlung auf diese Maßnahmen. Sie wurden zusätzlich dadurch aufgebracht, dass ihnen der Werksdirektor auf die Frage Wovon sollen wir jetzt leben? antwortete: Werdet halt in Zukunft Marmelade statt Fleisch essen. Frauen sollen die Gleise der Bahnlinie Moskau-Rostow besetzt, Männer sollen damit begonnen haben, Schienen abzumontieren und Sperren zu errichten. Auf dem Werksgelände tauchten angeblich die Parolen auf Nieder mit Chruschtschow! und Chruschtschow durch die Wurstmaschine!.
(...) die Arbeiter anderer Betriebe der Stadt schlossen sich dem Streik an. Auf Beschluss einer Versammlung im Lokomotivenwerk bewegte sich ein immer größer werdender Demonstrationszug in die Stadt, um die Freilassung der verhafteten Arbeiter zu fordern. Aus dem Gebäude der Miliz wurden die Demonstranten mit Pistolenschüssen empfangen. Auf dem Platz vor dem Gebäude des Stadtparteikomitees herrschte großes Gedränge.
(...) Das Parteigebäude war leer. Arbeiter hielten vom Balkon aus Ansprachen an die Menge.
Gegen Mittag besetzten in immer größerer Zahl eintreffende Truppen Postamt, Rundfunksender und die Bank. Die Stadt war von Armee-Einheiten eingeschlossen. Panzer rollten durch die Stadt und gaben, als Jungen die Sehschlitze verstopften, blinde Schüsse ab. Das Parteigebäude wurde von Militärs besetzt. Mit Maschinenpistolen bewaffnete Schützen, bei denen es sich um nichtrussische Soldaten gehandelt haben soll, versuchten, die Demonstranten abzudrängen.
Frankfurter Rundschau, 15.11.76
Die Zeit des feuchten Privilegs / Ist Marx sei Dank vorbei. / Bei uns trinkt heute das Volk den Sekt, / Wir sind nun mal so frei. / Wir füllen uns die Gläser / Einander bis zum Rand / Und trinken auf den einzigen / Auf uns, den Ersten Stand: / Das Volk trinkt, was dem Volke schmeckt. / Was trinkt das Volk? Das Volk trinkt Sekt, Sekt, Sekt ... Der Sekt ist für den Klassenkampf / Der beste Alkohol, / Schampanskoje, Schampanskoje / Mit Schwarzbrot, Speck und Kohl. / Denn unsre Feinde stöhnen. / Weil uns heut keiner schafft. / Das liegt an unsrer Politik / und ihrem Kräutersaft. / Das Volk trinkt, was dem Volke schmeckt. / Was trinkt das Volk? Das Volk trinkt Sekt, Sekt, Sekt.
Text eines Liedes, das die Gruppe Karls Enkel beim 9. Festival des politischen Liedes in Ost-Berlin vortrugen.
In den Straßen von Radom standen einige Dutzend Barrikaden. Zur Teilnahme an den Demonstrationen und zum Kampf gegen die Miliz feuerten Rentner die Jugendlichen an. Man hörte sie sagen: Jetzt oder in zwei oder in fünf Jahren - ihr werdet sowieso gegen die da antreten müssen! Also, los! In den Kampf!
Spiegel, Nr. 47/1976
An alle Länder dieser Welt. (...) Die Presse berichtet, 21 Personen seien getötet worden, aber sie irrt sich mindestens um eine Null. Die Verwundeten wurden auf unmenschliche Weise behandelt. Die Polizisten sagten, dass Banditen ruhig verrecken können, und es sei nicht nötig, sie in Krankenhäuser zu transportieren. Daraus ergibt sich, dass ein Arbeiter in Polen, im Begriff der sogenannten Volksregierung, ein Bandit ist.
Die Arbeiter der Pariser-Kommune-Werft, des Hafens und der übrigen Werke, Flugblatt, Gdansk, Dezember 1970
Als am 7. August in den beiden bestreikten Hafen schließlich 173 Schiffe mit 1,15 Millionen Tonnen Ladung auf das Löschen warteten und weder Ermahnungen noch Drohungen die Schauerleute wieder auf Trab brachten, setzte Parteichef Gierek Militär ein - doch diesmal nicht wie bei den Arbeiter-Revolten vom Dezember 1970, um auf Streikende und Demonstranten zu schießen. Polens Armee rückte diesmal als Streikbrecher an.
Spiegel, 2.9.74
Ausgelöst wurde die Erörterung über Vor- und Nachteile der Arbeitslosigkeit von sechs Betriebsmanagern eines ungenannten polnischen Großunternehmens. In unserem Betrieb - und wohl in vielen, ja vielleicht allen Betrieben unseres Landes - stoßen die technisch-wirtschaftlichen Programme bei ihrer Verwirklichung auf zahlreiche soziale Schwierigkeiten. Wie kann man den Fortschritt fördern, wenn ein nicht geringer Teil der Belegschaft die primitivsten Gesetze der Arbeitsdisziplin missachtet?! leiteten sie gedämpft ihr Schreiben ein.
Doch dann kam der politische Paukenschlag: Wie soll man die Arbeitseffektivität steigern, wenn die Abwesenheit von der Arbeit zunimmt? Diese Fragen stellen sich nicht nur Meister und Leiter, sondern auch Direktoren und sogar Minister, aber niemand hat den Mut, offen zu antworten. Wann finden wir endlich den Mut, die Dinge beim Namen zu nennen und laut die Frage zu stellen, ob es nicht besser wäre, auch bei uns eine schmale Schicht von Arbeitslosen zu schaffen, die allein durch ihr Vorhandensein die Arbeiter zu größter Genauigkeit und Pflichterfüllung zwingen würden?
Frankfurter Rundschau, 25.1.79
Das Staatsmonopol der Veröffentlichung und die vorbeugende Zensur haben einen besonders schwerwiegenden Einfluss auf die gesellschaftliche Bedeutung der Literatur und der Künste. Es ist von wesentlicher Bedeutung, dass es den Gewerkschaften sowie den Verbänden von Künstlern, Schriftstellern sowie religiösen Vereinigungen möglich ist, ihre eigenen Veröffentlichungen herauszubringen.
Jacek Kuron, 1977
Der Weg, der zur Auferstehung Russlands führt, ist auch der, auf dem die Menschheit einen Ausweg aus der Sackgasse finden kann, ihre Errettung von der sinnlosen Hast der Industriegesellschaft, dem Machtkult, der Finsternis des Unglaubens. Wir sind als erste an jenen Punkt gelangt, von dem aus dieser Weg als der einzig mögliche zu erkennen ist, von uns hängt es ab, ihn zu betreten und den anderen zu zeigen. Die vergangenen fünfzig Jahre haben uns um Erfahrungen bereichert, die kein anderes Land der Welt besitzt. So also ist die Lage Russlands, es ist durch den Tod gegangen und kann nun Gottes Stimme hören.
Igor Schafarewitsch, 1976
Die Hochschulstudenten sind keine einheitliche Masse ohne innere Widersprüche und Differenzierungen (Beispielsweise haben viele bis vor kurzem nachzuweisen versucht, es gäbe keinen Unterschied zwischen "bewusster" technischer Intelligenz und nicht-bewusster" humanistischer ...) Aber sie werden doch durch etwas charakterisiert, was ihnen gemeinsam ist: durch das aktive Streben, kritisch auf Mängel hinzuweisen, zu deren Beseitigung beitragen und so an der Schaffung einer modernen, wirklich demokratisch und sozialistischen Gesellschaft teilzunehmen.
F. J. Kolar, Universitätszeitung UK, CSSR, Oktober 1967
Ende des vergangenen Jahres und im ersten Quartal dieses Jahres kontrollierten die Staatsanwaltschaften in den Wojewodschaften und Regionen die Beachtung der Rechtsvorschriften in 57 sozialisierten Betrieben. Aus ihren Erhebungen geht hervor, dass in vielen kontrollierten Betrieben die Arbeitsdisziplin nicht beachtet wurde. So z.B.:
im Landwirtschaftlichen Bauunternehmen in Lubaczow verließen von insgesamt 559 Beschäftigten 63 die Arbeit und blieben an 391 Arbeitstagen unentschuldigt fern; in drei Fällen betrug die nichtentschuldigte Abwesenheit eines Arbeiters 20 Tage und mehr;
im Landwirtschaftlichen Bauunternehmen in Radymno (412 Beschäftigte 1975) versäumten die Arbeiter unentschuldigt mehr als 2000 Arbeitstage ...;
in der Abteilung für öffentliches Verkehrswesen in Grojec gingen im zweiten und dritten Quartal 1975 nur zwei Arbeitstage verloren infolge unentschuldigter Abwesenheit. Wie jedoch die Kontrolle der einzelnen Arbeitskarten durch die Staatsanwaltschaft zeigte, sind allein im dritten Quartal 1975 491 Arbeitstage vergeudet worden. In derselben Region haben im September 1975 21 Arbeiter unentschuldigt 13 bis 23 Arbeitstage geschwänzt, im Oktober 15 Arbeiter 12 bis 16 Arbeitstage;
in den Fleischereibetrieben
Perspektywy Nr. 50, Warschau 1976
Die feudalsozialistische Lüge
Der osteuropäische Feudalsozialismus verlängert seine Existenz durch die Zuflucht innerhalb einer Ausdehnung von Gefängnisinseln des Konsums, den neuen Toren der Lubjanka.
Der Einmarsch von Ordnungstruppen des Warschauer Pakts in die CSSR übte eine totale Polizeiwirkung auf die gesamte staatskapitalistische Zone aus. Diese repressive Aktion der Macht beseitigte nicht nur das vage Feld eines freieren öffentlichen Klimas, in dem sich sofort die ersten Zeichen eines neuen Selbstverständnisses bemerkbar machten, sondern vor allem die Illusionen einer Modernisierung der bürokratischen Macht durch sich selbst. In diese setzten zugleich verschiedene von der Macht ausgeschlossene, aber dennoch gesellschaftlich privilegierte Gruppen und ein großer Teil des offiziellen Funktionärskörpers ihre Hoffnungen, auf eine Erneuerung ihrer Macht.
Die CSSR wäre zum Modell eines modernisierten staatskapitalistischen Staates geworden, auf den sich jene heutige Garde der Eurokommunisten hätte beziehen können. Statt der mit dem stalinistischen Kainsmal belegten UdSSR die technokratisch erneuerte CSSR. Die Auflösung der Ideologie als Übergang zur Gesellschaft mit kybernetischer Selbststeuerung, eine Welt ohne besondere Idee.
Dieser globale Reformismus, der die ideologische Basis der Gesellschaft nicht schont, bleibt der Macht nach dem pazifizierenden Feldzug in der CSSR versagt, und wie der tzaraistische Selbstkleptomane hat sie sich ihrer letzten Waffe, der illusionären Evolution, beraubt. Osteuropa ist der Kritik der Revolution unterworfen, die die Kronstädter Matrosen 1921 einleiteten.
Die hysterische Steigerung des Staatsapparates nach den polnischen Aufständen, das Opfern bestimmter Funktionsträger und das gleichzeitige Wüten der Repressalien gegen die Arbeiter, die Allgegenwart von Unruhen in der UdSSR selbst zeigen, dass die Macht nicht dem moralischen Chartisten als zersetzende Bedrohung gegenübersteht, sondern sie blickt direkt ihrer eigenen Metapher ins Gesicht: dem Proletariat, und ist entsetzt, weil es existiert.
China als letzte Bastion für eine militante bürokratische Macht ist seit dem Untergang ihres ultraradikalen Flügels in einen schnellen Marsch verfallen, den Anschluss an diese Entwicklung herzustellen. Die bürokratische Macht tritt aus ihrem archaischen ideologischen Produktivismus ins Stadium einer modernen, konsumorientierten ökonomischen Planung. Der Maoismus zeigt sich als das, was er seinem Kern nach nie verleugnete - eine den unterentwickelten Bedingungen angepasste Methode des Staatskapitalismus zu sein. Den Übergang darzustellen, der innerhalb des Leninismus nicht ausgeprägt war und erst unter Stalin eine Lösung erfuhr. Die chinesische Bürokratie geht nun denselben Weg, den auch die russische Bürokratie einschlagen musste, den einer auch äußeren Hegemonialmacht. Ihr erster Feldzug gegen Vietnam war das Eintreten in dieses neue Stadium ihrer Existenz. So ist es auch nicht eine ferne Zukunft, dass sich innerhalb einer Politik der friedlichen Koexistenz die beiden bürokratischen Blöcke trotz ihrer nationalistischen Fehde annähern, wie es sich unlängst durch die Aufnahme neuer Verhandlungen über ökonomische Beziehungen abzeichnete. Das große Schisma innerhalb des einheitlichen bürokratischen Lagers ist durch die Herausbildung eines zweiten Zentrums beendet, von nun an geht es den sich verschieden entwickelnden Bürokratien darum, ihren Gleichklang zu verteidigen.
Übrig bleiben nur Restenklaven des ideologischen Produktivismus: Albanien und Kuba. Die eine als Erbe des Maoismus und die andere als rostende bürokratische Militärdiktatur, die sich nur künstlich innerhalb eines Partisanenmythos eine besondere Ausprägung der bürokratischen Macht bewahrt. Kuba ist die gelungene Kreuzung zwischen dem bürokratischen Paradies nach russischem Muster und dem maoistischen Militantismus. Es beherbergt neben Kim il Sun und Enver Hodscha den letzten dieser bürokratischen Maximo Lider, die in den zentralen Regionen der bürokratischen Macht verschwunden sind innerhalb einer zunehmenden technokratischen Blässe.
Die CSSR bleibt ein letzter grossangelegter Versuch der Macht, sich zu reformieren, die neue technokratische Struktur durchzusetzen und die ganze Gesellschaft zu erneuern, im Gegensatz zu der reinen Erneuerung des wirtschaftlichen Sektors.
Zum Verhängnis wurden diesen Machttechnikern, dass damit eine augenblickliche Schwächung der Macht verbunden ist und keine Garantie dafür übernommen werden kann, die Explosion der bisher unterdrückten Leidenschaften mit einigen Feiertagsfreiheiten zu besänftigen; allein diese Legitimationslücke forderte die Hegemonialmacht zum Eingreifen auf. Die Wahrheit der Bürokratie ist, entgegen Trotzki, nicht die einer Entartung, sondern die einer um ihre ständige Macht ringende Klasse.
Während in den Zonen der spektakulären Warenwirtschaft die Revolution sich mit einer aufgelösten Macht konfrontiert sieht, die dadurch ein integrierendes Vakuum hervorgerufen hat, stehen die Revolutionäre des Ostens einer sich panzernden Macht gegenüber, die zugleich eine Technokratisierung des wirtschaftlichen Sektors fördert und gleichzeitig auf der globalen Kommandogewalt beharrt. Die bürokratische Macht stellt so ein Bild feudalistischer Struktur her. Alle Reformen stehen deshalb auf demselben Niveau wie der europäischen Restaurationszeit, den Rückstand an eine lange Leine legend, um ihn je nach Notwendigkeit aus oder in die Gegenwart zu ziehen. Durch diesen antihistorischen Zustand bewirkt die Bürokratie ein wirkliches Ende jeder Illusion und trägt am besten zur Desillusionierung über die vorgestellten gesellschaftlichen Hoffnungen bei.
Die bürokratische Macht muss zwischen weiteren Zugeständnissen an die technokratische Steuerung oder der Reaktivierung des stalinistischen Terrors wählen. Sie selbst ist immer nur mit dem eigenen Ende beschäftigt. Auf die eine oder andere Weise hat sie ihren Anspruch verloren, Garant für die gesellschaftliche Entwicklung zu sein. Die Bürokratie kämpft, ohne das Netz einer utopischen Verheißung, wie jede untergehende Klasse um ihr Überleben, sie sieht die Arbeiter damit beschäftigt, die Seile zu kappen, auf denen sie tanzt.
Die Proletarier des ganzen feudalsozialistischen Kontinents wissen, dass Lenins Idee von den Köchen und ihren zukünftigen Regierungskünsten eingelöst wurde, indem er als erster die Revolution zusammen mit den Köchen abschaffte und durch die Magerkost des bürokratischen Eintopfs ersetzte. Durch diese Abspeisung haben die Proletarier eine Mentalität des Humors entwickelt, indem sie den leninistischen Witz von 1917 auf ihre Art beantworteten, nämlich durch die Behandlung der Ökönomie als großes Spiel.
Sie überlassen dadurch der Bürokratie allein die Verwaltung des Mangels, den die Arbeiter geschickt bewirken, so wie es zugeht, wenn die Köche ausgeschlossen sind, aber dennoch die Suppe versalzen können, weil sie dieselbe zu kochen haben. Nur die Proletarier sind es, die den Humor hervorbringen, der fälschlicherweise immer den überbürokratischen Auswüchsen zugesprochen wird, weil es die Arbeiter sind, die das auf diese Art umsetzen, was die Bürokraten in aller Ernsthaftigkeit planen.
Von den Intellektuellen, sowohl als offizielle Repräsentanten der Bürokratie wie auch als Dissidenten, wird keine Aktion ausgehen, die generell eine neue Perspektive prägt. Die Bürgerrechte sind denen gleich, die 1848 gefordert wurden: das Recht der Gewerbefreiheit unter Einschluss einer Gedankenfreiheit.
Vielen der verstoßenen Intellektuellen kommt es nur darauf an, ihre Bilder ausstellen und ihre Bücher veröffentlichen zu können. Das Proletariat aber ist die Auflösung eines Zustands der Trennungen, in denen jene zuhause sind. Die Arbeiter müssen das Elend ihrer Hand abschaffen, die Intellektuellen bestätigen, indem sie das Elend ihres Kopfes garantiert haben wollen, das gesamte Elend der ökonomischen Determination. Die Menschenrechte - wir kennen sie zu gut, als dass sie uns bewegen könnten.
Dies erklärt die Verachtung besonders der russischen Dissidenten gegenüber den Arbeitern als ein Erbgut ihrer ehemaligen Herren, denen sie nicht nur dienstlich verbunden, sondern deren Status ihnen vor ihrer Vertreibung aus dem Paradies eigen war.
In der UdSSR haben sie in ihrer Verachtung der Arbeiter zu dem Bild des Muschiks zurückgefunden und sind weiter von den Volkstümlern entfernt, als diese zu ihrer Zeit dem Bauern gegenüber. Sie haben zur feudalistischen Sentimentalität, wie auch zu dem darin gelagerten Zynismus zurückgefunden, dem sie in ihrer Zeit als Teilhaber der Macht noch durch die utopische Brille der Berufsrevolutionärs zu sehen gewohnt waren.
Die Verstoßung des Intellektuellen innerhalb der staatskapitalistischen Zone und der schleichende, fast parallel verlaufende Abfall des westeuropäischen Fellow-travellers rührt aus der Verdrängung durch die technokratische Elite her, in der die Dominanz des Denkers - den neuen Gedanken der Macht zu erarbeiten - eingegangen ist und durch diese als nüchterne Praxis präsent ist. Das Mandat der Intellektuellen ist abgelaufen. Daher auch dies nicht zwielichtige Einvernehmen zwischen Leuten wie Solschenizyn und Glucksmann.
In Biermann hat eine extrem veraltete Linke ihren Sänger, wie sie in Havemann, Heym, Bahro und Harich die Denker gefunden hat, die ihrer intellektuellen Lage würdig sind.
Dem Intellektuellen bleibt nur der Transit in den Westen, als Reiseziel, denn nur dort können sie ihre Anerkennung als Sinnproduzenten wiedererlangen, sogar mit einer - wenn auch bescheidenen - Teilnahme an der Macht. Sie werden hier die treuen Hüter der kulturellen Ware, von deren Produktion eine rückständige Macht sie so lange ausschloss.
Das Proletariat des feudalsozialistischen Kontinents ist ganz auf sich angewiesen, es hat keine mitreisenden Freunde, sondern nur Feinde. Es muss den Ural durchbrechen, hinter den es die bürokratische Macht von seiner eigenen Geschichte verbannt hat. Das Proletariat quittiert diesen Verrat des Leninismus durch strikte Abwesenheit den Belangen des Staates gegenüber, durch den eine Gesellschaft des Hohlraumes entstanden ist, die einzig durch eine Phrasensphäre vor ihrer Implodierung gesichert ist. Die Proletarier werden sich nur für ihre eigenen Interessen schlagen, wie sie es durch ihren Absentismus, ihren Aufständen und Streiks gegen die bürokratische Macht demonstriert haben.
Selbstverständigung der Zeit über ihre Kämpfe und Wünsche. Dies ist eine Arbeit für die Welt und für uns.
Karl Marx
Wir können die Hegemonie der Arbeiterklasse - die gestern eine große Realität und gleichzeitig ein großer politischer Mythos war - nicht mehr als Parole geltend machen, die als vereinheitlichendes Moment auch innerhalb der Parteigliederungen funktionieren kann.
Biagio De Giovanni, 1978
... (die KPI war) die einzige Institution, die als solche überlebt hatte und gleichzeitig gesellschaftlich verankert und fassbar war; ich würde sogar die Behauptung wagen, die einzige unter diesen Bedingungen zu erwartende und gebieterische Form des republikanischen Staates. Man braucht sich in der Tat nicht darüber zu wundern, dass unter diesen Bedingungen der neue Antikommunismus darin Nahrung gefunden hat, dass wir uns gegenüber den Versuchen der Organisation der gesellschaftlichen und studentischen Desintegration als Vorposten des Systems präsentiert haben; mit dem ... zusätzlichen Handicap, nicht einmal über jene Instrumente staatlicher Macht zu verfügen, unseren politischen Diskurs zuende entwickeln und auch praktizieren zu können.
Alberto Asor Rosa, Die zwei Gesellschaften, 1978
Wenn sich diese Zeit ..., die sich dem Ende des zweiten Jahrtausends unserer christlichen Ära nähert, uns als eine Zeit großen Fortschritts offenbart, so erscheint sie uns andererseits auch als eine Zeit vielfältiger Bedrohungen für den Menschen ... Die Situation des Menschen in der heutigen Zeit scheint in der Tat noch fern zu sein von den objektiven Forderungen der Gerechtigkeit und mehr noch von der sozialen Liebe ... In der Tat besteht schon eine wirkliche, erkennbare Gefahr, dass der Mensch bei dem enormen Fortschritt in der Beherrschung der gegenständlichen Welt die entscheidenden Fäden, durch die er sie beherrscht, aus der Hand verliert ... und selbst Objekt wird von vielfältigen Manipulationen ... Der Mensch kann nicht auf sich selber verzichten, noch auf den Platz, der ihm in der sichtbaren Welt zukommt, er darf nicht Sklave der Dinge, Sklave der Wirtschaftssysteme, Sklave der Produktion, Sklave der eigenen Produkte werden ...
Papst Johannes Paul II. Redemtor hominis (Erlöser des Menschen)
Vor allem unterstreicht Berlinguer den Charakter der KPI als Partei für alle Rassen, religiöse Überzeugungen und philosophische Grundhaltungen. Fr wiederholt seine Ablehnung der ideologischen Intoleranz in den osteuropäischen Ländern und stellt den katholischen Schulen und Krankenhäusern in den roten Regionen im Rahmen der gesetzlichen Ordnung uneingeschränkte Betätigungsmöglichkeiten in Aussicht. Zugleich bezeichnete Berlinguer die Religion als einen möglichen stimulierenden Faktor auf dem Weg zu einer sozialistischen Gesellschaft.
Frankfurter Rundschau, 14.10.77
Wie der Mensch in der Religion vom Machwerk seines eigenen Kopfes, so wird er in der kapitalistischen Produktion vom Machwerk seiner eigenen Hand beherrscht.
Karl Marx, Das Kapital
Die kulturelle - und zwar auch Massen-Basis der Verwaltung der Krise besteht in der Entdeckung, dass die Krise unvermeidlich und in gewissem Sinne unabwendbar ist, und dass in der aktuellen Phase die Verwaltung des kapitalistischen Systems nichts anderes bedeutet als ... seine Krise zu verwalten.
Alberto Asor Rosa, LSD, 1978
Es geht darum, Zigtausende junger Leute, die am Grundkonsens unseres Grundgesetzes zweifeln, in diesen Grundkonsens zurückzuholen.
Frankfurter Rundschau, 7.2.78
Der Aufbau einer Gegenkultur muss bei uns einen festen Platz einnehmen.
Gerhard Schröder, Bundesvorsitzender der Jusos auf deren Bundeskongress, 30.3.79
Wir wollen eine etwas gerechtere Gesellschaftsordnung, ohne jemandem weh zu tun.
Georges Marchais, Vorsitzender der KPF.
Mit mehr als einer halben Million Mark fördert die Stiftung des Volkswagenwerks eine siebenbändige chinesisch-deutsche Ausgabe von Mao-Texten aus den Jahren 1949 bis 1976. Die beiden ersten Bände sind jetzt erschienen. Wie die Stiftung am Donnerstag in Hannover mitteilte, handelt es sich um Auszüge aus Pekinger Partei- und Regierungsarchiven, die zunächst nur im kleinen Kreis der Führungskader bekannt waren und erst während der Kulturrevolution in Umlauf gekommen sind. In die Sammlung aufgenommen sind stenographisch oder mit Tonband festgehaltene Beiträge Mao Tse-tungs bei Sitzungen des Zentralkomitees, Gespräche mit in- und ausländischen Besuchern sowie einzelne Dokumente über die Entstehung des chinesisch-sowjetischen Konflikts und den Aufstieg der Viererbande. In China selbst seien die zugrundeliegenden Texte nur in wenig verbreiteten Abschriften oder in der Regionalpresse erschienen, erklärte die Stiftung.
Frankfurter Rundschau, 4.5.79
Das Publikum, das war es, das aufmerksam zuhörte, wurde aber leider in eine totale Konsumhaltung gedrängt und das meiner Meinung nach mit voller Absicht. Denn, wie ist es sonst zu verstehen, dass nach vollendeter Selbstdarstellung der Tunix-Macker das Publikum aufgefordert wurde ohne einen Satz von vorheriger Diskussion doch jetzt das Taverne-Fest zu besuchen? Ist das die Art von an ernsthafter Diskussion interessierten Linken? Die Schlussveranstaltung schlug für meine Begriffe dem Fass den Boden aus. Die Veranstalter sonnten sich in ihrem quantitativen Erfolg, kokettierten mit technischen Pannen, Kein Wort von Internationalem Austausch, kein eigenes Hinterfangen, kein Wort von Perspektiven oder Misserfolgen, kein Wort von Strategie oder Prioritäten, keine Kritik. Eine total in die herrschenden Verhältnisse integrierbare Pepp-Show! Eine entlarvende, beschämende Talk-Show, in der nichts anderes demonstriert wurde, als die eigene Unfähigkeit und Ohnmacht gegenüber diesem System.
Radikal No. 33, Februar 1978
Und trotzdem stimmt alles nicht mehr ... Diese schäbigen Reste einer der ersten alternativen Kneipen der Revolte ... war sie der Krieg unserer Generation? Ich gehe und weil ich gehen muss, sehe ich diese Reste herrschaftlicher Gesten: schäbig in schäbigem Rahmen, kindliche Greise und frühzeitig vergreiste Kinder, zwieträchtig geeint in kritischer Kultur - aus verschüttetem Bier, Resten Arbeiterbewegung und möglichst versunkenen Paradiesen - Laub des Surrealismus. Verwaltungsbeamte einer
Revolution, die nie drohte.
Herbert Nagel, Homage à Jules Valles, 1978
In Tunix vereinigt sich Raum und Zeit zu einem Zustand. In Tunix wird das Wegsacken nach schräg unten als Lustprozess gefeiert (...) Niemand darf, ohne Lügner genannt zu werden, behaupten, er wüsste nicht, was Tunix ist. - Eine andere Frage ist, ob Tunix denn tatsächlich stattgefunden hat.
Informationsdienst zur Verbreitung unterbliebener Nachrichten, Februar 1978
Wir gehören zur Generation derjenigen, die von dem Hetzbild der radikalen Studenten fasziniert waren, sich mit den steineschmeissenden Horden identifizieren, dann aber die Wirklichkeit viel harmloser vorfanden. Die Übertreibung der Medien haben uns hochgerissen, uns Mut gemacht. Die Wirklichkeit bat uns enttäuscht. Das war die erste Desillusionierung. Weitere folgten Schlag auf Schlag.
Autorenkollektiv, Zum Tango gehören immer zwei..., 1978
Gewalt ist in Verruf geraten. Das haben nach einer Phase teils vorsätzlicher, teils fahrlässiger Verharmlosung des Gewaltbegriffs, in der manche die Argumente frei Haus geliefert bekamen, um ihre Militanz zu rechtfertigen, letzten Endes wohl die Terroristen erreicht. Zu registrieren ist eine größere Distanz zur Gewalt bei jüngeren Menschen. Zu beobachten ist ein Zerfall jener Gruppen, die immer nur auf Schlachtfeldern ihr Süppchen kochen wollen. Zu hoffen bleibt, dass solche Trends Realität werden und Gewalt nicht erneut die Köpfe vernebelt.
Frankfurter Rundschau, 19. März 1979
In einem der militantesten Arbeitskämpfe in den letzten Jahren sabotierten und zerstörten fast 100 Techniker (press operators) der Washington Post jedes Teil der Druckmaschinerie im Druckereigebäude, und zwar kurz bevor sie um 5 Uhr am 1. Oktober in den Streik gingen. Die Direktion der Post beschrieb die Sabotage als zügellosen Vandalismus, gab aber zu, dass es geplant und synchronisiert aussah.
Liberation News Service, 15.10.75
Ich glaube, dass ein großes Maß an Freiheit wichtiger ist als gute Manieren und Achtung vor dem Gesetz ... a) stimmt, b) unsicher, c) stimmt nicht. Weil es nicht immer möglich ist, Dinge schrittweise durch vernünftige Methoden zu erledigen, ist es manchmal notwendig, Gewalt anzuwenden ... a) stimmt, b) dazwischen, c) nein. Ich schätze ein schönes Mädchen höher als ein präzises Gewehr ... a) ja, b) unsicher, c) nein.
Einstellungs- und Interessen-Fragebogen des Hamburger Hochschulamtes, verteilt an 20.000 Studenten bei der Immatrikulation 1973
Traurige Glückseligkeit
Das Werk der Arbeiterorganisationen ist die Aufhebung der gesellschaftlichen Distanz zum proletarischen Feldlager vor den Toren der Gesellschaft. Sie vermochten in ihrer Geschichte nur ihre Geschichtslosigkeit auszudrücken, eine muffig enge Gegenwelt schaffend, in der alle Werte durch eine einfache Umdeutung erhalten oder aufs neue eingeführt wurden und so eine Brücke zur Gesellschaft schlugen, wodurch dies Niemandsland dieselbe Positivität erhielt wie diese selbst. Diese Werteproduktion verkannte das Proletariat als etwas vollkommen allen bisherigen gesellschaftlichen Erscheinungen entgegengesetztes, als die negative Macht, die an die Tore schlägt, um endgültig Schluss mit dieser Welt zu machen, und versuchte sie zu einer Macht zu entwickeln, die in politische Konkurrenz zu den gesellschaftlichen Mächten tritt. Die Einführung des politischen Spiels und die Ausprägung einer proletarischen Kultur bilden die Einführungsriten in die Zeit der Bourgeoisie. Zurück bleiben heute separate Polizeiapparate, die sich kaum von den klassischen Überwachungseinrichtungen unterscheiden, die die Bourgeoisie hervorgebracht hat.
An den ungerufenen Apokalyptikern soziologischer oder romantisch mystischer Art beweist sich die Dialektik der Geschichte als der Zustand, in dem alle Illusionen aufgelöst sind. Die Fremdheit des Proletariats ist heute nicht mehr soziologisch fassbar, die Entfremdung ist in einer Zeit, in der diese zur wahren Natur geworden ist, nicht mehr im distanzierenden Verhältnis von Mensch und Maschine eingeschmiedet, sondern überhaupt das Verhältnis der Welt zu sich, als eines fremdartigen Zustandes, in den wir versetzt sind. Das Proletariat ist einzig die Klasse des Bewusstseins, das um sich selbst weiß und nicht eines irgendwie gearteten Pauperismus.
Die heutige Atemnot entsteht aus der Wiederholung, der ständigen Altkleidersammlung, die zur einzigen materiellen Veranstaltung geworden ist, deren sich diese Zeit befleißigt. In der hierin auf Hochtouren laufenden Rekuperation ersticken die treuen Knechte der Ordnung alles mit ihren aus dem Müll hervorgezogenen Pyjamas, um ihre unkenntlich gewordene Karrikatur zu schützen. Aus den Etagen der sozialdemokratischen, sozialistischen und den gewerkschaftlichen Zentralen dröhnen die so gewonnenen verschiedenen Schlagworte vom alltäglichen Leben und der gesellschaftlichen Vermenschlichung. Während so eine reideologische Aufblähung stattfindet, um die lange technokratische Leerheit anzureichern, steigert sich die zerschundene kommunistische Parteilandschaft in einen lächerlichen Lutherismus, indem sie an allen Klotüren ihre Euro-Thesen anschlägt. Den stalinistischen Kohlgeruch, der ihren ganzen widerwärtigen Heroismus parfümierte, möchten sie vergessen machen - vor allem, dass es diesen Geruch jemals gab. Ihre Welten teilen sich in weiche und sentimentale Stalinisten, und wie immer sind sie mit der ihnen eigenen besonderen Schwachsinnigkeit am Werk.
Rasende Glückseligkeit
Begeistert davon sind, neben den Redakteuren der Le Monde oder schweißfüßigen Lektoren mit ihren Kubikmetern Diskussionsbänden, vor allem die Scharen von Fellow-travellers, die nun aus ihrem harten Gewerbe entlassen sind, Berichte über die italienische Stahlproduktion im Vergleich mit der UdSSR für die Zelle Gas zu verfassen, oder dauernd ihre Werke auf den neuesten Stand des Personenregisters zu bringen. Die alten und neuen Ketzer, die so viel riskiert haben, sei es auch nur den Verlust einer gewissen Bekanntheit in den kulturellen Einrichtungen der Partei, die treuen Söhne, die nur ihre treue Anhänglichkeit zum Rausschmiss brachte.
In den Hofstreitigkeiten zwischen Moskau-Peking-Albanien, mit ihren Exkommunikationen und Gegenexkommunizierungen, bis zum Rasseln einiger Panzerketten auf den ehemaligen Schlachtfeldern für moralische Vergrößerung in Asien, auf dem der Schlick fremdgesteuerter Entäußerung abgelagert wurde, finden diese Kanaillen ihre groben Beschäftigungen. Zweitrangig dabei ist, ob in der Zwischenzeit die Fronten sich verschoben haben oder nur die Ansichten, was diesen neuen künstlichen Ausnahmezustand rechtfertigen könnte. Indem es ein Erstaunen darüber gibt, dass das staatliche Denken unter einer rotlackierten Laterne keinen anderen, externen Gesetzen gehorcht, als denen unter einer wie auch immer drapierten Fahne Monacos. Sie beweisen wirklich, über den Geist einer Feder zu verfügen.
Tote Glückseligkeit
Die Fußangeln des subjektivistischen Monologs sorgen dafür, dem individuell erlebten Unbehagen nichts entgegenzuhalten als eine weiße Fahne, doch alles Herumgefuchtele vermag nicht den schwindenen Boden dieser Arten nachkapitulativen Verhaltens festzuhalten. Weder durch die individuelle Selbsterniedrigung noch durch die Angestellten der Straßenwacht sind die Spalten des letzten Erdbebens, das alle gesellschaftlichen Fundamente sprengte, zu schließen. Der Glutofen unserer Erhebung gegen die spektakuläre Gesellschaft ist nicht dadurch erloschen, dass ein Diskurs von Vielheiten von denen propagiert wird, die eine Masse an Schwachheiten kultivieren möchten. Dieser diskreditierte Bankrott ist der Bankrott einer diskreditierten Praxis.
Die unsichtbaren Boten erscheinen nur deshalb an der Randzone einer unverzögert bewussten Aufnahme, weil die Orthodoxie in ihren verschiedenen Ausprägungen von einem stalinoid inspirierten Literaturzirkus bis zur modernistischen Aufladung durch den Anarchismus einen Raum der positiven Abwesenheit geschaffen hat, eine Ersatzoase für den verschwundenen Positivismus der Warengesellschaft, in der man augenblicklich ein verlorenes Paradies sucht. Diese Brücke, zwischen einer zusammengebrochenen Vergangenheit und dieser nicht mehr lebbaren Gegenwart, ist der Minipass, mit dem die Leidenschaft, die Revolution nicht zu machen, spazieren geht. Die Abschaffung der Revolution oblag in der vergangenen Epoche noch dem Bild einer in Waren aufgelösten Leidenschaft, von nun an obliegt sie den Konsumenten selbst, besonders den kritischen.
Doch dieser Zustand einer traurigen Glückseligkeit unterliegt derselben negativen Zersetzung; der Irrtum, über ein separates Raum-Zeit-Paradies zu verfügen, in dem die Geschichte ein für alle mal verschwunden ist, brachte die Kunst, als letzten Träger eines solchen Monopols, in das Dilemma ihrer ständigen Wiederholungen. Der tranige Leichnam universeller Stellvertretung, die Politik, glaubt sich im selben Besitz einer solchen Lagune der Glücklichen. Daher rührt auch diese allgegenwärtige Verwirrung und Begriffslosigkeit, provisorisch von einer moralisierenden Letztendlichkeit stabilisiert, in der die Ereignisse immer als Gegenteil von dem verstanden werden, was sie dann in ihrem letzten Licht sind. Der erste Strahl genügt schon, um anzunehmen, er gelte den
eigenen Überzeugungen, weil der zweite sofort offenbart, dass keinerlei mehr vorhanden sind. Daraus eine Theorie zu machen, ist in der Gegenwart ein solider Sport geworden.
Diese Situation bringt es mit sich, dass alle zusammen, die stolz darauf sind, sagen zu können, sie wüssten nicht mehr weiter, von Meister Ekkehards aufgetauter Leiche bis zur Aufblähung des kybernetischen Denkens durch Leute wie Deleuze und Guattari, an den einmal zugeschmissenen Türen der Vergangenheit rütteln.
Geschichtliche Nebenrollen
Die globale Konterrevolution, durch enttäuschte ideologische Dreckkübler verstärkt, arbeitet erneut daran, wie in den 60er Jahren, den Klassenkampf durch die Aufrichtung tradierter Werte zu stoppen oder innerhalb einer Theorie des Selfmadeirrationalismus aus dem Bewusstsein dieser Zeit zu säubern.
Die hektischen Gewaltdiskussionen sind eine vorweggenommene Sanktionierung des Polizeiapparates, der, weil er nicht mehr als besiegbarer Feind erscheint, zu einer beiläufigen mystischen Kleinheit oder, wenn nötig, zur Allgewalt wird. Die Brandmauern zur Verschließung der Gesellschaft vor den Feuersbrünsten der sozialen Gewalt, deren Rauchnasen so beunruhigend am Horizont stehen, bilden die Hysteriker der Gewalt und Gewaltlosigkeit. Terrorismus oder Pazifismus, zusammenhängende Leuchtfeuer, das als ideologische Verdrehung über die Bewegung des Sozialen gleitet.
Dieser ganze aufgeblähte Polizeiapparat, der sich vom Nordkap bis Gibraltar ausgebreitet hat, ist nur im unruhigen Halbschlaf auf einige Rotarmisten zurückzuführen, wie er auch genausowenig auf eine Linke zielt, deren Selbstmitleid eine Mutlosigkeit hervorgebracht hat, die ausreicht, sich selbst in Schach zu halten. Die polizeiliche Aufrüstung entspricht einzig dem gesellschaftlichen Zerfall, dem sie als sichtbare Ordnungsmacht entgegentreten soll.
Am Sonntagmorgen führt im Hessischen Rundfunk eine Sendung des Happening-Künstlers Wolf Vostell zu einem Chaos. Rund 1000 Anrufer ersuchen um Auskunft, Polizei und Landesregierung werden alarmiert. Der Einsatzleiter im Polizeipräsidium schickt vier Streifenwagen zum Funkhaus, um festzustellen, ob es sich wirklich um eine Sendung handelt, oder um eine Besetzung.
Der Spiegel, 6.7.1969
BERLIN-TIERGARTEN 1800 UHR
Kunst, die Schlagzeilen macht
Kunsttage Berlin '79 vom 26. April bis zum 6. Mai. Elf Tage voller Inspiration und Provokation,Vergnügen und Anregung. Mehr als 100 Galerien und Museen zeigen ihre wichtigsten Ausstellungsstücke; George Rickeys meterhohe Skulpturen, die letzten verkäuflichen Max-Ernst-Grafiken in Europa oder Cy Twornbleys berühmte Lithos. Thema In diesem Jahr ist auch Berlin's Kulturexport in alle Welt. Die Ausstellungen »Berlin Now« in New York, »Paris- Berlin« im Centre Pompidou, »The Seventies meet the Twenties« in London machten Schlagzeilen. Jetzt bringt die Akademie der Künste noch einmal eine Dokumentation über Berlins lebendige Selbstdarstellung. Kunst findet in dieser Stadt ganzjährig statt, täglich mit 80 bis 100 verschiedenen Ausstellungen. Mehr über das kulturelle Angebot in Berlin erfahren Sie vom Presse- und Informationsamt des Landes Berlin 13/79, Rathaus Schöneberg, 1000 Berlin 62.
erleben in Berlin
Ein riesiger Schuttberg soll Bremens Studenten ein neues Lebens- und Kunstgefühl vermitteln. Inmitten bis zu acht Meter hoher Trümmer- und Abraumberge sollen sie auf einer Fläche von vier- bis sechstausend Quadratmetern buddeln, schaufeln, Steinchen werfen oder - ganz nach Lust und Laune - Bäume und Gestrüpp pflanzen dürfen... Rund 165.000 Mark lassen sich Bremens Wissenschaftssenator Horst Werner Franke und Bausenator Stefan Seifriz, beide SPD, den Schuttberg und le Roys Mithilfe kosten. Der Landesbeirat für Kunst im Öffentlichen Raum stimmte dem Projekt jetzt zu... Auch der Gedanke, frustrierte Studenten könnten die Trümmeridee weiterentwickeln und Trümmersteine als Wurfgeschosse in Rektoratsrichtung nutzen, beschäftigte die Kunstexperten des Beirats. Man kam dazu, so ein Sitzungsteilnehmer, dies als Teil des Experiments in Kauf zu nehmen.
Süddeutsche Zeitung, 9.4.1979
Günter Grass hat in einer Hörfunksendung für den Norddeutschen
Rundfunk vorgeschlagen, den Schriftsteller Siegfried Lenz zum
Bundespräsidenten zu wählen.
Frankfurter Rundschau, 4.5.79
Im Kunstmuseum wird ein Bild von Peter Paul Rubens durch Säure mutwillig schwer beschädigt.
Düsseldorf, 24.8.77
Ehrlich, ich bedaure es nur wenig, dass wir dieses Gesicht nun nicht mehr in das kleine rot-schwarze Verbrecheralbum aufnehmen können, das wir nach der Revolution herausgeben werden, um der meistgesuchten und meistgehassten Verbrecher der alten Welt habhaft zu werden und sie zu öffentlichen Vernehmungen vorzuführen. Ihn nun nicht mehr - enfant perdu...
Ein Göttinger Mescalero, Buback-Nachruf
Was sind das nur für Typen gewesen, die samstagnachmittag in der TU waren und ihre Ärsche nicht in Bewegung brachten, als ein paar Typen in die TU gerannt waren und erzählten, die Bullen prügeln munter drauflos, und sie fragten, ob diese Typen ihre Veranstaltungen nicht unterbrechen könnten, um denen da draußen auf der Straße zu helfen.
Nein, da war nichts von linker Solidarität zu sehen. Ich finde, es war der Hammer gewesen, als eine Frau erstmal die Frage geklärt haben wollte, von welcher Seite denn die Straßenschlacht ausgegangen sei. Natürlich durfte da in diesem Zusammenhang auch die obligatorische Abstimmung nicht fehlen, ob man/frau nicht doch noch auf die Straße gehen sollte.
Info-BUG, No. 185/1007
Da wir eine Gesellschaft wollen, in der beispielsweise Menschen verstehen, anstatt sie zu verurteilen, dürfen wir nicht prinzipiell von Polizisten als Schweine reden. Wenn wir das tun, können wir sie nicht in ihrer Lage verstehen und können damit erstens nicht positiv auf sie Einfluss nehmen, dass sie wirklich mal die Uniform ausziehen und überlaufen und rutschen zweitens damit in eine Hassstimmung rein, die uns ganz generell ein Stück Empfindsamkeit raubt... das klingt alles recht theologisch, ich weiß, aber ich kann's im Zeitdruck nicht besser formulieren.
Ich halte es deshalb auch für schlecht, wenn man bloß aus Bullenhass bei der Tunix-Demo Steine gegen Bullen wirft, diese Steine treffen uns letztlich selbst.
Info-BUG, No. 185/1007
Die Künste, die militarisierte Phantasie als Zufluchtsstätte, bildeten vor dem Mai einen Ort illusorischer Freiheit, der sich mit der Abwesenheit revolutionärer Bewegung legitimierte und durch dieses Alibi am Leben erhalten wurde. Die Negativität erschien hier als pseudohafter Nebel von Happenings und Galerieskandalen. Sie sind der Bereich der Gesellschaft, in dem Geld und Hoffnung zugleich gemacht werden unter dem reinen Himmel einer überlieferten Freiheit, die sonst überall verloren und hier wie überall, wo diese Abart der reinen Idee zu Hause sein soll, am wenigsten vorhanden war. Das wirkliche Feld der Täuschungen und das Feld, das am meisten Täuschung nötig hat. Selbstverständlich war diese Freiheit für alle diejenigen vorhanden, die allen Grund besitzen, daran zu glauben - nicht aus übertriebener Dummheit, sondern weil jede Gesellschaft ihr Museum benötigt, in dem das Quälende ihrer wahren Existenz die weihevolle Aufhebung erlebt.
Das Wiederauftauchen der Revolution zerstörte diese letzte reibungslose Idylle, diese Enklave eines eingebildeten tauschfreien Raumes. Als Glanzstück der Heruntergekommenheit, sie im letzten Moment noch abzustützen, wurde versucht, neben der Lüge von einer bloßen Jugenderhebung, diese zu einer kulturellen Revolution umzumodeln, um nicht nur einem Sektor, sondern der ganzen spektakulären Gesellschaft eine Rechtfertigung der Entfremdung zu geben. Das ist gründlich misslungen. Die neu aufgegriffene soziale Frage stellt sich unmittelbar, ohne künstliche Vermittlung. In dieser diffusen Zone, durch das verfälschende Gesabber über einige Randaspekte aus den Müllbergen am Rande der Sorbonne gespeist, entstand die Parallelidee zur herrschenden Kultur. Die gelungene Umdrehung vom Zustand einer Macht ohne Phantasie zu einer Phantasie ohne Macht. Diese von nun an verschiedenartig firmierende Idee - Gegenkultur, Subkultur, zweite Kultur ist heute genau an dem Punkt ihrer gehobenen Eingliederung in den vollständig versiegenden Bereich der kommerziellen Kultur - im Aufweichen der Pseudogrenze zwischen schnell und weniger schnell verwertbaren Kulturgütern liegt die Dynamik dieses Prozesses.
Hinter der hoffnungsvollen Lüge von einer zweiten Kultur, in der sich Protagonisten und Glotz einig sehen, steht neben der so aufwertbaren Bescheidenheit, mit der sich einige darin geborene Nachwuchskräfte zufriedengeben, die erlahmte Integrationskraft des Spektakels. Die erste Wahrheit und zugleich die letzte des kulturellen Sektors als Ort ideeller Ausbeutung ideeller Werte liegt in seinem hohen Grad von Aufnahmefähigkeit. Durch den so organisierten Verzicht einer globalen Kritik breitet sich aufs neue eine Ästhetisierung aus, die eine subjektivistische Sklavenmentalität schafft, um eine neue Unschuld ins entfremdete Leben einzuführen. Es bestehen weder bei den Produzenten noch bei seinen Kunden Illusionen darüber, mit irgendeinem kulturellen Produkt die Gesellschaft zu schockieren, und man findet sich damit ab, nur noch einem mit hohem Prestige beladenen Beruf nachzugehen oder eine skandalträchtige Vergangenheit, etwa Dada, zu bewundern, damit das armselige Gas gegenwärtiger Ergebnisse besser wirkt. Gegenkultur, zweite Kultur u. ä. stehen hierbei für diese vergangene Radikalität ein, um eine historische Rolle am Leben zu halten, die für einen globalen gesellschaftlichen Nachwuchs sorgt. Die Stilisierung der Gegenkultur als Lebensweise ist nicht von größerer Originalität als die Idee einer Totalkunst, Ideenkunst oder anderer ähnlicher banaler Berufsbilder, zu denen die künstlerische Sterilität Zuflucht nahm, mit dem Unterschied einer nicht fassbaren Breite aus der Vergrößerung des Gettos. Der Glaube an authentische Anwesenheit ist von den Schwellen der kleinen Galeriewelt in die breiten Schnellstraßen getreten, auf denen alles zur Reformierung einer künstlichen Welt dient.
Die kulturellen Waren spiegeln eine ungeheure Dominanz der Niederlage wider, sie zeigen in ihren Filmen und Büchern auf, wie die Niederlage einem nicht-gelebten Leben gegenüber zu verteidigen, wie ein glückliches Auskommen in solch einer Situation zu finden ist.
Dies ist die Stülpform für gelatiniertes ätherisches Öl, in die das Getto eingegossen ist, dem keine Trivialität zu flach und keine dieser billigen Waren zu teuer ist, als dass sie nicht ein ganzes Lehen wert wären.
Hemmungslose Kraftlosigkeiten, zwischen Kult und Selbstmitleid pendelnd, sind das degenerierte Wesen einer Linken, die ihr ganzes Selbstverständnis aus ihren Niederlagen zieht. Parallel zum Gasofen des Faschismus ist die jämmerlich zubruchgegangene humanistische Phraseologie, deren Pflege immer zwischen den verschiedenen Exzessen neojakobinischer Kommissare einsetzte, erkaltet, und ihre verschiedenen Helden wie Märtyrer lebten nur so lange fort, weil ihnen niemand sagte, dass keiner mehr an sie glaubte. In dem mythologischen Rückgriff, dem Aufwärmen dazugehöriger utopistischer Bilder und der Bewunderung des romantischen Paradieses, liegt die Mischung von Verklärtheit, die man der gesellschaftlichen Organisation ihrer Kulissen abgesehen hat. Nicht in der Besetzung geschichtlicher Nebenrollen liegt eine Schwierigkeit, sondern in der Hauptrolle.
Inmitten dieser katatonen Erbärmlichkeit ereignet sich Geschichte, vollzieht sich die Aneignung deshalb auch so inkohärent. Dieser Prozeß eines Erleidens der Geschichte, bis zur bewussten Flucht in die durch Dissertationen ... einen Spalt weit geöffneten Türen der Romantik, geht dem Erlebten und Gemachten voran oder hinterher, so wie jetzt. Die geschichtlich wirkliche Aktion entwickelt sich kategorisch gegen diese imaginäre Zeit mit ihrer universellen Relativität, in der sich Sensationen ablösen, weil sie im selben Stillstand stehenbleiben wie er in Einsteins Fahrstuhl während des freien Fall herrscht. Nur keiner bemerkt, dass die Seile schon seit langem gekappt sind, was einen solchen freien Fall der Dinge erlaubt, und dass nie wieder die Welt eine künstliche Einheit haben wird, nachdem sie ihre göttlich-mystische im Mittelalter verlor.
In der Vergangenheit war die terroristische Handlung als die primitive und infantile Äußerung der revolutionären Gewalt in rückständigen Situationen oder als die auf dem Gebiet der gescheiterten Revolutionen verlorene Gewalt nichts anderes als eine Handlung der partiellen Weigerung, die dadurch schon im voraus rekuperiert war: die Verneinung der Politik auf dem Gebiet der Politik selbst. Im Gegensatz dazu drückt in der aktuellen Situation gegenüber der heranwachsenden neuen revolutionären Periode die Macht selbst durch die Tendenz ihrer totalitären Behauptung auf spektakuläre Weise ihre eigene terroristische Negation aus.
Brennt der Reichstag? Flugblatt der italienischen Sektion der Situationistischen Internationale, 12. Dezember 1969
Dagegen stellt die RAF - ihrer eigenen Sache so sicher, wie die Völker der 1. Welt, weil sie deren Führungsanspruch anerkennt, weil sie weiß, dass der Kampf nur mit der Härte geführt werden kann, wie die ihn führen.
Die Aktion des Schwarzen September in München
Stadtguerilla ist insofern die Konsequenz aus der längst vollzogenen Negation der parlamentarischen Demokratie durch ihre Repräsentanten selbst, die Antwort als der unvermeidlichen auf Notstandsgesetze und Handgranatengesetz, die Bereitschaft, mit den Mitteln zu kämpfen, die das System für sich bereitgestellt hat, um seine Gegner auszuschalten.
Das Konzept Stadtguerilla
Rote Armee Fraktion, April 1971
Dregger: Meine Damen und Herren, um was geht es eigentlich in dieser Debatte? Nach der eindrucksvollen Mordserie - Zwischenruf Emmerlich: Grauenvoll, nicht eindrucksvoll! - so ist es, nach der grauenvollen Mordserie, die unser Land erschüttert hat...
Debatte des Anti-Terror-Pakets, 1978
Wir leben im 3. Weltkrieg. Es ist der Krieg des US-Imperialismus gegen die Menschheit. Es ist der Krieg einer kleinen radikalen Minderheit und ihrer Söldner gegen die Völker der Welt. Es ist der Krieg einer sich zunehmend internationalisierenden Weltbourgeoisie - der Kennedy-Onassis oder wie sie alle heißen - gegen die Weltarbeiterklasse, das Weltproletariat. Ziel des Imperialismus ist die Beherrschung der Welt, um weiter auf Kosten der übrigen Menschheit leben zu können...
Unser Hauptfeind ist die herrschende Clique in den USA. Sie hat in Westdeutschland ihre Hauptstützpunkte...
Westdeutschland ist der US-Subimperialist in Europa...
Rolf Pohle vor Gericht in Athen, September 1976
Tripolis. Libyen wird deutsche Terroristen, die in dem Mittelmeerland Station machen wollen, sofort festnehmen und an die Bundesrepublik ausliefern. Diese Zusage machte Libyens Innenminister Junis Belgassim vor deutschen Journalisten in Tripolis. Alle Grenzkontrollstellen und Polizeibehörden sind nach seinen Angaben mit Fahndungsunterlagen des Bundeskriminalamtes ausgestattet worden. Zwischen dem BKA und den libyschen Sicherheitsbehörden finde ein ständiger Informationsaustausch statt, teilte Belgassim weiter mit.
Mannheimer Morgen, 20.12.78
Beirut. Der Chef der Palästinensischen Befreiungsorganisation, Arafat, hat die Roten Brigaden aufgefordert, Moro freizulassen. Arafat appellierte im Namen des palästinensischen Volkes und seiner Revolutionäre an die Roten Brigaden, Moro sofort freizulassen, um die Einheit des italienischen Volkes und die Demokratie in diesem Land zu retten. Moro müsse schon deshalb freigelassen werden, damit die Feinde der Freiheit und des Friedens seine Haft nicht ausnutzen.
Süddeutsche Zeitung, 8.5.78
In Hanoi hingen Photos von uns an den Straßenzäunen, weil der Anschlag in Heidelberg, für den die RAF die Verantwortung übernommen hat, den Computer zerstört hat, von dem aus US-Bombeneinsätze gegen Nordvietnam berechnet und dirigiert worden sind.
Interview im Spiegel, 20.1.1975
Der Terrorismus ist der wirkliche Star der Warengesellschaft.
In ihm findet sich das rituelle Opfer als Garant für das Glück der anderen.
Seine ideologische Rechtfertigung waren zunächst entweder die nationalen Befreiungsbewegungen in den Dritten Zonen, die zu revolutionären Kriegen gegen den Imperialismus gefälscht werden, wo tatsächlich nur ein nationales Territorium an eine andere Schlagader der Warenzirkulation angeschlossen wird, oder der ebenso als antiimperialistisch behauptete Widerstand gegen die Unterdrückung der staatlichen Autonomie einzelner Provinzen oder Volksgruppen in Europa; beides auf der Grundlage eines vergilbten, plakativen Vorkriegsimperialismus.
Tatsächlich gibt es auf diesem Planeten kein einziges vom Kapitalismus befreites Gebiet.
Nirgendwo hat die Guerillastrategie Siege errungen. Sie ist nicht die Niederlage per se, aber sie ist die exklusive Niederlage. In dem Maß, wie der antikapitalistische Terrorismus sich am staatlichen orientiert, aus diesem und dessen nichtgelösten inneren Widersprüchen seiner ideologischen Bezugssysteme seine Legitimation und seine Kraft zieht, wird sein Scheitern die Exklusivität, die seine Praxis für sich in Anspruch nimmt.
Der Gegner bestimmt die Strategie - in der Strategie des Gegners liegt die Rechtfertigung. Eine offene Kumpanei, ein sich gegenseitig schaffendes, erhaltendes und verstärkendes Verhältnis.
Die Weiterentwicklung der gescheiterten, von Kuba exportierten Guerilla in den Dschungeln Südamerikas zur Stadtguerilla war das organisatorisch-ideologische Modell für den sich selbst zur Metropolenguerilla erklärenden Mangel, der das vorweggenommene Ergebnis ist, wenn die konkrete Existenz des globalen Gegners zum abstrakten Bild des US-Imperialismus mystifiziert wird.
Der moderne Terrorismus ist ein einziger moralischer Gemeinplatz.
In der Folge der Geschichte ergab sich eine Annäherung zwischen den palästinensischen Guerillaorganisationen und europäischen bzw. japanischen Gruppen, so dass das Ende des Vietnamkrieges auch mit einer Änderung der ihre Aktionen legitimierenden Ideologie zugunsten der Palästinenser zusammenfiel.
Die nicht regional-separatistischen Gruppen des Terrorismus spielten die Rolle des Kettenhundes der arabischen Staaten des Nahen Ostens - was lange, bevor die authentischen Belanglosigkeiten der halbamtlichen Existenz Klein dem Spiegel zu einer Titelgeschichte verhalfen, bewiesen war - gemeinsam mit den von ihren Führungsorganisationen eingezwängten und kontrollierten Palästinensern, die in der Rolle eines Knochenträgers für verschiedene Reaktionäre eine variable Größe, eine Söldnertruppe im Dienst einer panarabischen Politik sind, die sie benutzt, um ein Terrain staatlicher Strategie zu besitzen. Diese Art Zusammenarbeit zwischen arabischen Staaten und den nicht-arabischen Gruppen funktionierte, bis die allmähliche internationale Anerkennung der Forderung nach einem palästinensischen Staat eine gewisse Distanz notwendig machte, um die nun erreichte Seriosität des Verhandlungspartners zur Schau zu stellen.
Die arabischen Staaten des Nahen Ostens verweigerten also die Aufnahme bekannter Terroristen, und die PLO erklärte durch ihren Vorsitzenden das Ende der Ära der Flugzeugentführungen. Die letzte Spaltung der palästinensischen Guerillas teilte sie in die anerkannte Fraktion der spektakulären Politik unter der Führung Arafats und die traditionalistische Fraktion der terroristischen Spektakels Habaschs, die ihre Aktionen wieder gegeneinander richteteten, rivalisierend um die Vorherrschaft im zu-künftigen Staat, zu einer Zeit, wo die orientalischen Arbeiter beginnen, die ersten Schritte ihrer eigenen Geschichte zu machen.
Die arabische Szenerie wird schließlich irreversibel tragisch-komisch: Arafat richtet einen Appell an die Entführer des italienischen Staatspräsidenten Moro, diesen doch freizulassen, schickt danach noch einen Kranz zur Beerdigung Moros und spricht sich dabei gegen den Terrorismus in Italien aus, während Lybiens Staatspräsident Ghaddafi die Mitglieder der RAF als Geisteskranke denunziert und ein Auslieferungsabkommen mit der BRD trifft. Und selbst Vietnam, für dessen Unterstützung bei der Befreiung vom US-Imperialismus durch Angriffe auf amerikanische Militäreinrichtungen in der BRD einige Mitglieder der RAF in Deutschland zu langen Gefängnisstrafen verurteilt wurden - und in diesen Prozessen kam jener Unterstützung Vietnams eine zentrale Bedeutung in der Verteidigung der Gefangenen zu - weigerte sich, im Falle eines Austausches von Gefangenen der RAF gegen Schleyer, jene aufzunehmen.
Die Bundesrepublik werde weder ... durch Terrorismus oder Extremismus bedroht, noch seien Freiheit und Rechtsstaatlichkeit gefährdet. Die Bundesrepublik sei zu einem Schlachtfeld der rivalisierenden Halluzinationen geworden.
Uwe Thaysen zitiert James Fenton, 1979
In diesen Wochen ist sichtbar geworden, dass die Deutschen noch ein Volk sind, und nicht nur eine Wohlstandsgemeinschaft, und dass die Bundesrepublik Deutschland ein Staat ist und nicht nur ein Dienstleistungsunternehmen. Diese unter Leiden gewonnene und mit dem Lebensopfer von Mitbürgern besiegelte Staatsqualität wollen wir festhalten.
Dregger, Debatte des Anti-Terror-Pakets, 1978
...Dem dürfen wir uns nicht verschließen, und kein Mensch - auch kein Terrorist -, der noch für die Menschlichkeit zu retten ist, darf aufgegeben werden. Aber insgesamt versteht der harte Kern der Terroristen nur die Sprache rechtmäßig geübter staatlicher Gewalt; die Sprache, die in Mogadischu gesprochen wurde und die besagt, dass das Risiko der Gewalt nicht einseitig verteilt ist, ...
Justizminister Vogel, Debatte des Anti-Terror-Pakets, 1978
Die Dialektik von Revolution und Konterrevolution ist die Dialektik der Strategie des antiimperialistischen Kampfes: dass durch die Defensive, die Reaktion des Systems, die Eskalation der Konterrevolution, die Umwandlung des politischen Ausnahmezustandes in den militärischen Ausnahmezustand der Feind sich kenntlich macht, sichtbar - und so, durch seinen eigenen Terror, die Massen gegen sich aufbringt, die Widersprüche verschärft, den revolutionären Kampf zwingend macht.
Reden der Gefangenen aus der RAF
im Baader-Befreiungsprozess, 1974
Der Terrorismus ist auf sich selbst zurückgeworfen.
Der Terrorismus ist ein freier Mitarbeiter der Medien, durch die seine Existenz die unmittelbare Berechtigung des Zuschauers ist, weit entfernt von sich selbst zu sein und dennoch nahe am Geschehen - ein Zuschauer, dessen Beeinflussung für ihn in der richtigen Wahl des Mediums liegt. Im Terrorismus liegt keine exemplarische Tat mehr, seitdem alles in der Passivität des Zuschauers gefangen ist.
Durch ihn erhält der Staat die göttliche Salbung, letzter und erster Hort einer Stabilität zu sein, unter deren Ägide eine verunsicherte Lebensweise selbst genügsamer Knechtschaft eine letzte Rettung erfährt. Die Gesellschaft nimmt im selben Maß ab, wie der Staat zunimmt.
Der Terrorismus zerstört, ohne besiegen zu können.
In der Tat besteht die Haupttätigkeit der Roten Brigaden und einiger deutscher Gruppen seit einiger Zeit darin, in einem nihilistischen Preisschießen Polizisten, Anwälte, Staatsanwälte, Richter und Gewerkschaftsfunktionäre zu erschießen oder anzuschießen und zu versuchen, ihre gefangenen Mitglieder zu befreien; die RAF geht so auf das Schema der von ihr als exemplarisch definierten Aktion und den dadurch bestimmten Beginn der Metropolenguerilla in der BRD, der Befreiung A. Baaders 1970, zurück.
Die Zerstörung der Dialektik durch die Reduktion auf eine Folge von Kausalitäten nach dem Schema wenn ... dann zerstört sie selbst in ihren spektakulären Kamikazeaktionen.
Die antiimperialistische Aktion zerstört die Symmetrie von Selbstdarstellung des Systems plus Manipulation und Massenloyalität, provoziert es zum Eingeständnis der Wahrheit, zu der die Menschen noch allemal sagen: das hätten sie nicht gewollt.
Die Aktion des Schwarzen September in München
Da wir die politische Kriminalität möglichst im Keim ersticken wollen, geht unser Bestreben in erster Linie dahin, die Gesellschaft zu immunisieren, nämlich in der Abwehr von Hysterie und Psychose, in der ruhigen und entschlossenen Behauptung des Normalzustandes.
Willy Brandt, Bundeskanzler
Wichtig ist, dass es Patrioten gibt, die bereit und entschlossen sind, wie einfache Soldaten zu kämpfen - je größer ihre Zahl, desto besser.
Handbuch des Stadtguerillero, Carlos Marighela
Es geht aber nicht nur darum, die Meinung der Stadtguerilla zu veröffentlichen, sondern über den Mob auch den Leuten die Möglichkeit zu geben, die abseits der Kräuterwelt fantasievoll Widerstand leisten und leisten wollen, sich zu äußern und damit den Mob auch zu tragen.
MOB - Frankfurter Zeitung Nr.1
Wenn die Völker der III. Welt die Avantgarde der antiimperialistischen Revolution sind, das heißt: die objektive, große Hoffnung der Menschen in den Metropolen auf ihre eigene Befreiung, dann ist es unsere Aufgabe: Den Zusammenhang herstellen zwischen dem Befreiungskampf der Völker der III. Welt und der Sehnsucht nach Befreiung, wo immer sie in den Metropolen auftaucht.
Die Aktion des Schwarzen September in München
Das Wesen des Terrorismus ist die Restauration.
Die exemplarische Aktion eines Ravachol scheitert in der spektakulären Gesellschaft an der gelungenen Steuerung des Schocks, durch die subtilen Kanäle der Vermittlung, in der alles zur gleichmäßigen Berieselung gebracht wird. Der Schock ist unmöglich geworden, seitdem er nicht mehr erlebt werden kann, ohne dass er vorher vermittelt wurde. Der Zuschauer ist das globale Modul, durch das die Erschütterungen zu beruhigenden Erschütterungen des Schlafes werden.
Der Blick innerhalb der Perspektive der Macht vermag den Gegner nur in der gleichen Gestalt wahrzunehmen, wie die der eigenen Organisation und umgekehrt.
Während die japanischen Gruppen für das Glück der anderen kämpfen, innerhalb eines totalen Militantismus der Kamikazetradition isoliert, haben die Palästinenser demgegenüber eine wirkliche soziale Basis - die Möglichkeit des Sieges, die Zurückdrängung auf eine staatliche Politik lassen sie aber das Spezifische der Guerilla verlieren, nämlich keinen lokalisierbaren Ort zu haben. Die Revolutionären Zellen fungieren eher als Aufsaugebecken, wo mehr mit der Ideologie als mit den Waffen gearbeitet wird, eine Hobbyguerilla für jedermann. Das Dynamit erhält die Weihe der Phantasie.
Die ihnen eigene Hierarchie der Mittel findet ihren Ausdruck in der Hierarchie innerhalb der einzelnen Gruppen und der Gruppen untereinander - so gibt es eine Hierarchie der Entschiedenheit; Sympathisant - Revolutionäre Zelle - Bewegung 2. Juni - Rote Armee Fraktion - Palästinensische Guerillagruppen - Japanische Rote Armee.
Ihre Tätigkeit ist die spezialisierte Antwort auf die spezialisierte Organisation des gesellschaftlichen Scheins, die Praxis des antistaatlich-staatlichen Denkens, ein Kampf, der günstigstenfalls den Einsatz, ihr Überleben, zum Gewinn hat.
Dagegen ist die Voraussetzung einer - unabdingbar - weltweiten Revolution der proletarische Aufstand in den industriellen Zonen, nicht die von Bankrotteuren erklärte Revolution in den Dritten Zonen; lokale sozialistische Palastrevolutionen entwickeln die weltweite Abhängigkeit von der Ware weiter, lassen die Realität von Produktion, Konsumtion und Tausch unangetastet und vermögen nur den speziellen Rückstand einzelner Territorien aufzuheben, den Anschluss an die moderne Welt herzustellen (wie etwa in Angola, wo der Streik der Hafenarbeiter durch die Revolutionsregierung niedergeschlagen wurde - jede dieser Revolutionen schafft sich ihr Kronstadt).
Der Terrorismus ist die selbstmörderische Ignoranz der Verschmelzung lokaler Unterschiede der totalitären Spezialisierungen der gesellschaftlichen Sprache und Verwaltung auf der Ebene der Gesamtfunktion des Systems zu einer weltweiten Teilung der Aufgaben im Spektakel.
Die Revolution hat ihre Ärmel hochgerollt und bearbeitet den ökonomischen Tag.
Novi Lef 1928
Der Vormarsch des Computers ist allgegenwärtig. Keiner von uns ist gegen die Technik, sagt Gerhard Haag über sich und seine Kollegen, aber jeder wird verstehen, wenn wir ein bisschen Schiss vor ihr haben. Und er weiß von einem Kollegen zu berichten, der zwei Jahrzehnte mehr auf dem Buckel hat als er und schon große Schwierigkeiten beim Mithalten hat. Der geht, sagt er, geistig kaputt hei diesen ganzen neuen Sachen. Tage- und nächtelang beschäftigt er sich damit und kommt doch kaum zurecht. Einen Ausweg aus dem Dilemma zwischen Fortschrittsbejahung und Angst vor der Bedrohung durch stetig steigende Anforderungen weiß auch er kaum. Anders als sonst schwingt bei ihm Resignation mit, wenn er über die Gefahren der technischen Entwicklung in seinem Bereich sagt: Das kann ja nicht der Sinn des Fortschritts sein, dass die Menschen unter ihm leiden.
Frankfurter Rundschau, 3.2.79
Es ist ein erfülltes menschliches Leben denkbar, das nicht mehr kosten muss als das soziale Leben des Menschen heute, aber wesentlich mehr Sinn und Befriedigung bietet.
R. Dahrendorf, Die Zeit, 22.9.78
Die aktive Betätigung daheim wird sich auf ein Minimum beschränken. Do-it-yourself in anstrengender handwerklicher Weise wird trotz teurer Fremdleistungen selten betrieben werden. Das schließt nicht aus, dass die Haushalte kostspielige Geräte und Werkzeuge, wie z.B. Elektrobohrmaschinen und Heimwerkergarnituren, nach wie vor anschaffen werden. Diese Geräte wird man für den Eventualfall (z.B. zum Dübeln) parat haben wollen, ebenso Kameras (Dia und Schmalfilm), Projektoren, Tonaufnahme- und Wiedergabeapparaturen. Allein dieses Parathabenwollen wird zur wesentlichen Komponente der Kaufentscheidung werden. Der Mensch wird sich mit den ihn umgebenen Apparaturen, die er jederzeit verwenden kann, aber nicht muss, frei und unabhängig fühlen.
F.W. Fickel, Freizeit, Marktdaten und Tendenzen bis 1985
Nicht nur der Gegenstand der Konsumtion, sondern auch die Weise der Konsumtion wird daher durch die Produktion produziert, nicht nur daher objektiv sondern auch subjektiv. Die Produktion schafft also die Konsumenten. Die Produktion liefert dem Bedürfnis nicht nur ein Material, sondern sie liefert dem Material auch ein Bedürfnis. Wenn die Konsumtion aus ihrer ersten Naturrohheit und Unmittelbarkeit heraustritt - und das Verweilen in derselben wäre selbst noch das Resultat einer in der Naturrohheit steckenden Produktion - so ist sie selbst als Trieb vermittelt durch den Gegenstand. Das Bedürfnis, das sie nach ihm fühlt, ist durch die Wahrnehmung desselben geschaffen. (...) Die Produktion produziert daher nicht nur einen Gegenstand für das Subjekt, sondern auch ein Subjekt für den Gegenstand.
Karl Marx, Zur Kritik der politischen Ökonomie, Einleitungsfragment
Nach dem Börsenkrach schlugen einige New Yorker Redakteure vor, dass Hearings veranstaltet werden sollten zum Thema: was hat die Depression wirklich verursacht? Sie wurden in Washington abgehalten. Wenn man zurückblickt, ergeben sie die komischste Lektüre. Die führenden Unternehmer und Bankiers sagten aus. Sie hatten nicht einen blassen Schimmer, was passiert war. Wenn Sie heute eine Kopie des Protokolls von damals lesen, sind Sie einfach verblüfft, dass sie so ahnungslos sein konnten. Es war zwar ihr Geschäft, aber sie verstanden die wirtschaftlichen Zusammenhänge nicht.
Der Journalist Carey McWilliams in einem Gespräch mit Studs Terkel
Die Millionenstadt Cleveland musste am Wochenende ihre Zahlungsunfähigkeit erklären. Die größte Stadt des US-Bundesstaates Ohio war nicht in der Lage, an vier Banken fällige Schuldzinsen in Höhe von 15,5 Millionen Dollar (rund 29,5 Millionen Mark) zu bezahlen. Cleveland ist die erste größere Stadt der USA, die seit der Weltwirtschaftskrise in den 30er Jahren ihre Zahlungsunfähigkeit eingestehen musste. Der Gouverneur von Ohio wie auch die Bundesregierung in Washington lehnten vorläufig finanzielle Hilfe ab. Der endgültige Bankrott droht der Stadt im Februar, wenn die letzten Geldquellen versiegen.
Frankfurter Rundschau, 18.12.78
Weiter wird betont, dass durch die Werbung der Horizont der Massen erweitert werden kann.
Frankfurter Rundschau, 23.3.79
Bestens bewährt sich nach Angaben aus China das in der Volksrepublik angewandte Lohnprämiensystem. Wie die Pekinger Volkszeitung am Montag meldete, werden dem Staat hohe Mehrausgaben erspart, und alle seien glücklich.
Frankfurter, Rundschau, 14.11.78
Als die Bediensteten der Kommission der Europäischen Gemeinschaft einmal streikten, requirierte der Präsident die 200 unentbehrlichen Angestellten, mit denen sich dann auch wesentlich effektiver arbeiten ließ als mit den 5000.
R. Dahrendorf, Die Zeit, 22.9.78
Es trifft uns als Gewerkschaften doch besonders hart, weil wir gerade dabei waren, aus Maloche Arbeit zu machen, die Humanisierung der Arbeitswelt per Tarifvertrag in den Griff zu nehmen. Im übrigen haben wir als Gewerkschaften den Standpunkt längst überwunden, wobei nur mehr Freizeit dem Menschen das bringen kann, was man ihm am Arbeitsplatz bisher verweigert, nämlich die Selbstverwirklichung. Bei einer humaneren Organisation der Arbeit und vor allem, wenn Roboter unangenehme, gefährliche und schmutzige Arbeiten übernehmen, ist Arbeit zu einem Wert an sich geworden und nicht nur lästiger Zwang zur Existenzsicherung. Gerade deshalb ist es ja für uns ein so großes Anliegen, dass jeder wieder Arbeit bekommen kann.
Heinz-Oskar Vetter, Frankfurter Rundschau, 25.6.77
Tatsache ist aber, dass Personen die kreative und produktive Aktion und Interaktion (das ist die Arbeit) verweigert wird. Ihnen wird verweigert, an dem Selbstentfaltungsprozess ihrer selbst, der Gesellschaft und der Natur teilzunehmen. Die falsche Organisation der Arbeit wendet ihre Folgen gegen die Menschen.
Jochen Steffen, Frankfurter Rundschau, 2.8.77
Zunächst einmal wird Arbeit in weiter abnehmendem Maße sogenannte produktive Arbeit sein. Westaustralien ist Symbol und Symptom für eine solche Gesellschaft: 40.000 Bergarbeiter (über
Tage, versteht sich) ernähren die lebendige, geschäftige 700.000-
Einwohner-Stadt Perth.
R. Dahrendorf, Die Zeit, 22.9.78
Von den 25,8 Mill. Erwerbstätigen der BRD arbeiten im Bereich:
Herstellen 28,4 %
Dienstleistungen 21,8 %
Bürotätigkeiten 12,0 %
Warten, Reparieren 9,4 %
Handeltreiben 9,4 %
Transportieren 6,6 %
Leiten 5,2 %
Planen, Konstruieren 4,2 %
Kontrollieren 1,5 %
Frankfurter Rundschau, 19.7.78
Klose sagte: Wie immer man diesen Staat in seiner Funktion qualifiziert: Wir intervenieren vielfach zugunsten der Wirtschaft, was im Ergebnis heißt, dass wir uns ziemlich handfest als Reparaturbetrieb des Kapitalismus betätigen. Eine reine Marktwirtschaft gäbe es nicht. Der Staat interveniere doch unentwegt, um Arbeitsplätze zu erhalten.
Frankfurter Rundschau, 30.11.78
Über welche legalen Mittel verfügen wir, gegen die Drückebergerei vorzugehen? Der Schuldige muss eine Strafe zahlen, er verliert seine Monatsprämie und sein 13. Monatsgehalt. Er muss vor der Arbeiterversammlung Rechenschaft ablegen, wird in der Presse denunziert... Wir schlagen vor, auf Abteilungsebene und in der Vollversammlung gewählte Mannschaftsräte zu bilden, die im großen Ganzen aus Kommunisten zusammengesetzt sind. Und wenn das alles nichts nutzt? Weder der Rat, noch die Vollversammlung, noch die finanziellen Sanktionen? Dann scheint mir, müssen diese Leute sich einer strengen medizinischen Behandlung unterziehen, oder sich vor der Justiz wegen Arbeitsverweigerung verantworten.
Prawda, 4.12.73
Hohe Produktionskultur, Arbeitselan, vollständige Austauschbarkeit und sparsamer Materialverbrauch - das sind die Komponenten, aus denen sich der Erfolg dieser Brigade der kommunistischen Arbeit zusammensetzt.
Neues Leben, hg. von der Prawda, Zentralzeitung der sowjetdeutschen Bevölkerung, 11.10.78
Überkapazitäten waren nicht mehr selten anzutreffen, und Preisverfall kennzeichnete eine Reihe von Branchen. Die 70er und 80er Jahre werden im Bereich der materiellen Güter - weniger dagegen bei den Dienstleistungen - bei einer zunehmenden Zahl von Märkten durch das Phänomen der Marktsättigung charakterisiert sein. Die vorhandenen Überkapazitäten oder der Wachstumszwang zwingen... zu einer betriebswirtschaftlich gebotenen Rationalisierungsinvestition. Diese Rationalisierungsinvestition ist jedoch in der Regel von einem erheblichen Kapazitätserweiterungseffekt begleitet, so dass die Situation der Überkapazität in der Branche noch verstärkt wird. Die Wirtschaftlichkeit einer einzelnen Rationalisierungsmaßnahme stößt hier an die Grenzen des Marktwachstums.
Manfred Timmermann, Wirtschaftlichkeit an der Grenze des Marktwachstums und steigendes Investitionsrisiko
1. März 1978: Der Dollar sinkt unter die 2 DM-Grenze.
14. März 1968: Ende des USA-Obligos, Dollar in Gold tauschen zu müssen, der freie Goldpreis entsteht.
15. Aug. 1971: Weigerung, Dollar auch von Nationalbanken zu wechseln; chronische Auszehrung in Fort Knox, der freie Goldpreis steigt.
Sie sagen, es werde keinen privaten Besitz geben, nicht einmal private Parzellen wie in China, berichtete Bjork. Er fügte hinzu: Das gesamte Land gehört dem Staat oder sogenannten Genossenschaften. Die neue Verfassung besagt, dass es keine Unterschiede zwischen Reichen und Armen geben soll, und gewiss sind die reichen Leute arm geworden. Es gebe kein Geld, keine Löhne, kein Telefon, keine Telegrafie und wenig Verkehr und nur wenige Zeitungen.
Über Kambodscha, Frankfurter Rundschau, 8.3.76
Arbeit erleichert soziale Kontrolle. (...)
Die Sorge um die Arbeit, die uns ausgeht, ist auch eine Sorge um den Zusammenhalt von Gesellschaft.
R. Dahrendorf, Die Zeit, 22.9.78
Der Unternehmer hatte in seiner Fabrik für Modeschmuck und Dekorationsartikel im Einvernehmen mit den Beschäftigten die Vier-Tage-Woche mit täglich zehn Stunden Arbeitszeit eingeführt. (...) Bichet teilte mit, er würde sich nun bemühen, die Arbeitszeit auf neun Stunden täglich oder 36 Stunden wöchentlich zu verringern. 40 Stunden pro Woche ist angesichts der Produktionsmittel, über die wir heute verfügen, viel zu viel. Der Sinn des Lebens ist nicht die Arbeit, sondern das Leben. Seinen Heizölverbrauch habe er wegen der Vier-Tage-Woche um 15 Prozent senken können.
Frankfurter Rundschau, 12.12.78
Im Lauf von ein oder zwei Generationen werden sie die begrenzte Arbeitszeit als ganz natürlich empfinden... Es mag vielleicht bei Knechten und Mägden eine zeitweilige Ratlosigkeit auftreten, aber die Routine wird sich bald als gewöhnliche Disziplin des Alltagslebens einbürgern.
A. Redfort, Über die Anpassung der britischen Freibauern an die Industrialisierung, 1926
Keine andere Technik der Lebensführung bindet den einzelnen so fest an die Realität als die Betonung der Arbeit, die ihn wenigstens in ein Stück der Realität, in die menschliche Gemeinschaft sicher einfügt... Und dennoch... die große Mehrzahl der Menschen arbeitet nur notgedrungen, und aus dieser natürlichen Arbeitsscheu der Menschen leiten sich die schwierigsten sozialen Probleme ab.
Siegmund Freud, Das Unbehagen in der Kultur, 1930
Bonn, 19. Dezember. Die Zahl der Arbeitslosen in der Bundesrepublik wird bis 1990 auf fast 2,5 Millionen steigen, wenn nicht mit einschneidenden Maßnahmen wie Arbeitszeitverkürzungen und der gezielten Schaffung von Arbeitsplätzen gegengesteuert wird... Die bundesdeutsche Wirtschaft, so ergaben die Modellrechnungen auf der Basis aller wichtigen Daten der ökonomischen und Bevölkerungsentwicklung, wird diese 2,5 Millionen Menschen zwar dringend als Konsumenten, nicht aber als Erwerbstätige brauchen.
Frankfurter Rundschau, 20.12.77
Aus der Fülle der Rechnungen, aus dem Kostenwert der Nichtberufstätigen, aus dem Ertragswert der Berufstätigen, aus den Zuschlägen für immaterielle Werte, aus der Verzinsung und der Abschreibung ermitteln die Kölner Nutzen/Kosten-Analytiker die folgenden Durchschnittspreise:
28584 Mark für Kinder von 3 Jahren
155754 Mark für Kinder von 13 Jahren
273800 Mark für junge Leute im Alter von 20 Jahren
239580 Mark für Nichterwerbstätige im Alter von 30 Jahren
205360 Mark für Nichterwerbstätige im Alter von 40 Jahren
171140 Mark für Nichterwerbstätige im Alter von 50 Jahren
102700 Mark für Ruheständler im Alter von 70 Jahren
68480 Mark für Ruheständler im Alter von 80 Jahren
121649 Mark für nichterwerbstätige Frauen allgemein
138725 Mark für nichterwerbstätige Männer allgemein
366714 Mark für vollzeitbeschäftigte Frauen allgemein
657199 Mark für vollzeitbeschäftigte Männer allgemein
ein fürsorglich aufgerundeter Durchschnitt von 408000 Mark für
jedes Menschenleben.
ADAC Motorwelt, 11/78
Mit der Marktwirtschaft... stehen wir gegen eine Wand. Wir müssen für möglich halten, dass unsere Gesellschaften künftig den Mangel verwalten.
R. Augstein in Not lehrt treten (Ölkrise), Spiegel, 19.11.73
Nichts funktioniert ohne Opfer.
Walter Scheel, Die Welt, 22.5.78
SCHLECHTE UNENDLICHKEIT!
Keine andere Wissenschaft, keine andere Ideologie hat wie die Ökonomie vermocht, jenes vertrauliche Geplapper einiger Millionen zu erzeugen, wo die Fremdheit durch die Vielzahl der Begriffe aufgelöst ist in der Wirklichkeit der Atemnot, die sie schafft.
Von dem großen Traum der Freiheit, der Machbarkeit des individuellen Glücks in der falschen Gesellschaft, ist nur noch die Faszination eines burlesken Zahlenspiels geblieben. Die Menschen verhalten sich zueinander wie Dinge, und es sind die Dinge, die ihre Sprache sprechen. Der Kapitalismus hat keinen einzigen menschlichen Fortschritt zustande gebracht; selbst seine ehedem sich selbst schaffende Dynamik, die darüber hinwegtäuschen sollte, dass auch sie das Resultat geschichtlicher Kämpfe war, ist nicht mehr glaubhaft zu machen. Niemals kann ein derart langweiliges Leben frei sein von den Fesseln des Zwanges der ständigen Begründung.
Die Unterhöhlung des Wertes hat der Ökonomie ihren einzigen wirklichen Wert genommen: ein Denken über eine Welt zu sein, das so zur herrschenden Wirklichkeit geworden ist, dass es kaum von ihr zu unterscheiden, dass eine andere Wirklichkeit kaum vorstellbar ist.
Die Ökonomie herrscht, aber sie regiert nicht.
In die Warenform, mit ihren Momenten des Gebrauchs und der Tauschbarkeit, hat der Wert die gesellschaftliche Abstraktion der menschlichen Arbeit aufgenommen, alle Dinge begannen sich nur noch als ein Gleiches aufeinander zu beziehen und verloren in dem Prozeß, auf den es ankam, der Bewegung des Austauschs, der Bewegung der ständigen Ausdehnung der Warenwelt, ihre tatsächliche Konkretion. Dieses durch die industrielle Revolution zu einer allgemeinen Wirkung gebrachte Denken hat in den verschiedensten Vernebelungen versucht, seine geschichtliche Vergangenheit abzustreifen: entweder, um die erzwungene Übereinkunft als quasi naturgesetzlich zu legitimieren und sie als die glücksbringende Kraft der gesellschaftlichen Dreieinigkeit - Reichtum, Wohlstand, Fortschritt - zu verkünden, oder, um die Tatsächlichkeit seiner Wirkungsweise in allerlei hypnotischem Bemühen jedes einzelnen um einen imaginären Zweck zu verklären.
Die Entfremdung war nie innerhalb der Fabrikmauern stehengeblieben. In einer ihrem Wesen nach der Warenausbreitung gleichen Aggressivität hat sie sich ständig verallgemeinert, bis sie schließlich ihren Produzenten, die Ware, angriff, da sie deren Träger zu zerstören begann.
In derselben Bewegung wurde für die Ware wahr, was seit Marx über die Arbeit bekannt ist: der Inhalt des konkreten Gebrauchs, die Seite des Gebrauchs ist zurückgetreten hinter die abstrakte Gebrauchbarkeit und die Gebrauchbarkeit im allgemeinen Tausch. Der Tauschprozess hat sich mit jedem möglichen Gebrauch identifiziert. Er ist das sich selbst nachjagende Ziel mit gefräßiger Ausdehnung ins Unendliche, er begleitet eine Wirklichkeit, die die Organisation seiner Durchsetzung, ein Prolongationsversuch der Herrschaft der toten Arbeit, der toten Dinge, ist.
Der schwarze Freitag ist das Datum des grandiosen Zusammenbruchs des ganzen Kartengebäudes, der die ehemaligen Trümpfe genauso erkennbar macht, wie sie sind: dem Wesen nach der Scheinhaftigkeit der Ökonomie gleich. Er ist das Ende des naiven Traums, der sich selbst verstehenden und sich selbst genügenden kapitalistischen Dynamik, die nicht um die Geburtsstunde ihrer Antriebe weiß und in eine unerwartete Krise der Legitimität geworfen ist, von der sie sich nie mehr erholt hat. Die faschistische Liquidierung, der New Deal und die stalinistische Kolchosivierung trugen dem auf unterschiedliche Weise Rechnung. Das in den Zweiten Weltkrieg transportierte Trauma des Wertzerfalls war die Probe der exzessiven Wertlosigkeit. Die großen Kapitalvernichtungen und der orchestral organisierte Produktivismus (die Arbeit als der einzige Wunsch und als die einzige Wirklichkeit) sind Stufen der Etappen von der auferlegten entfremdeten Produktion zur zusätzlichen Verpflichtung des entfremdeten Konsums.
Der bewussten Übernahme der Steuerung und der Verfeinerung der Ökonomie geht eine Phase voraus, die eine anarchistische Organisationsform des Geldes, der sich selbst überlassenen Verhältnisse des Tausches ist. Mit dem Sieg der autonomen Wirtschaft ist die wirtschaftliche Notwendigkeit durch die Notwendigkeit der endlosen wirtschaftlichen Entwicklung ersetzt, der auf der anderen Seite eine ununterbrochene Erzeugung von Pseudobedürfnissen entspricht.
Die Gläubigen des Wertes sind allesamt zu Gläubigern des Wertes geworden.
Die Antworten auf die Absatzschwierigkeiten des infantilen Cola-Reiches nach dem II. Weltkrieg eröffnen die Periode, in der die Krisenstrategien im ständigen Wechsel und im Nebeneinander von den Spatzenhirnen eines Keynes oder eines Samuelson zu Zwischenstationen produktiver Erneuerung umformuliert werden, ohne dass es gelingen könnte, der einer Expansion der Produktion folgenden Überproduktion, die einen neuerlichen Stillstand heraufbeschwört, anders auszuweichen, als durch eine neuerliche Expansion, d.h. Überproduktion.
Die Produkionsverbreiterung und die internationale Konzentration haben die Mitsichselbstgleichheit der Ware realisiert und sie im Weltmaßstab durchgesetzt; gibt es auch noch lokale Unterschiede im Stadium der Produktionsentwicklung, so gibt es keine lokale Abwesenheit der Ware.
Eine Welt, die sich scheinbar die Produktivität auf ihre Fahnen geschrieben hat, erweist sich als ein absolut unproduktiver Zustand, der für all den Verzicht, den er dem Menschen abverlangt, nichts zu bieten hat als die Ware, die konkrete Form der gesellschaftlichen Illusion.
Während der subjektive Traum der Freiheit von stumpfsinniger Arbeit durch die Automation eine Generation in grundlose Euphorie versetzte, hat die Automation auf kybernetischer Grundlage als revolutionäre Produktionsweise - deren revolutionärer Gehalt ebenso groß ist, wie der eines HiFi-Gerätes - nur den automatisierten Stumpfsinn für den gesteigerten Warenausstoß hervorgebracht, der die Voraussetzung für die Verkürzung der Arbeitszeit ist, eines dieser grandiosen Ergebnisse der Gewerkschaftspolizei bei ihren Versuchen, die Zerstörung des Menschen zu vermenschlichen.
Tatsächlich ist die Arbeit innerhalb und durch den Kapitalismus und seine bürokratischen Varianten, den entfremdeten Arbeiterparadiesen, nur abzuschaffen, indem der Mensch selbst beseitigt wird, da in dieser Welt jede menschliche Tätigkeit, ganz gleich, ob bei der Produktion oder beim Konsum, zur Arbeit verkommt.
Die Verbesserung der Automation hat ein stetiges Anwachsen der Zahl derer verlangt, die sie überwachen, programmieren und warten, sodass die Organisation der Arbeit mehr Bedeutung zu erlangen beginnt, als die Arbeit selbst. Was dabei entstanden ist, sind die muffig-staubigen bis neonberöhrt-klimatisierten Verwaltungszentren, die ihrerseits den Traum der privilegierten Arbeit hatten und der nur in der Form der Bestechungsgelder seine Versprechungen halten kann. Dort, wo einmal die Lobpreisungsarmee der spektakulären Welt angesiedelt sein sollte, besteht heute eher das verwaltete Entsetzen über die Akkumulation der Sinnlosigkeit.
Als menschliche Existenzform unter der Ware hat die Organisation der Ordnung begonnen, die Verwaltung der Ordnung abzulösen.
Der Staat tritt bei den ökonomischen Krisenzyklen aus seiner stützenden Rolle heraus, um direkt potenter Akteur zu werden, dem ein ganzes Arsenal unbrauchbarer, nur kurzfristig wirksamer, lächerlich-tödlicher und ihn immer selbst gefährdender Waffen wie Kriege nach außen und innen, Investitionssteuerungen, Steuern, Kartellgesetze, Geldpolitik zur Verfügung stehen, um die potentiell wirkliche und wirklich potentielle Stagnation im Wechsel von Inflation und Deflation aufzufangen, um die Organisation der Herrschaft der Ware und um das Bewusstsein über die Organisation zu übernehmen. Seine ganze Zwiespältigkeit im ideologischen Wetteifern der Begründungen zeigt die Dunkelheit, in der Gegenwart und Zukunft liegen. Er gibt nur noch die imaginäre Garantie des Gesellschaftlichen.
Auch die zentrale Planung in den bürokratischen Metropolen kann sich, ganz abgesehen von den ihr immanenten Mängeln und Schwächen, nicht der globalen Krise der Ökonomie entziehen, weil ihr die Arbeit, das Geld und der Tausch - somit alles, was die Ware ausmacht - mit der kapitalistischen Ökonomie gemeinsam sind.
Das Wesen aller Krisenstrategien ist also die Ausdehnung der Produktion und die Stabilisierung des brüchigen Wertes. Gerade dies sind die letzten Probleme der Ökonomie, an denen sie verzweifeln wird, da durch ihre weltweite Ausdehnung kein Raum mehr bleibt für eine weitere quantitative Entwicklung und schon Stagnation ihr Ende bedeutet, denn die akkumulative Ausdehnung ist die einzige Bewegung, zu der das Kapital fähig ist - die einzigen Quellen ihrer Plausibilität werden zerstört, sichtbar wird das Verlogene, die Falschheit eines Denkens, das dieses von seinen frühen Anfängen an beständig auch vor sich selbst zu verbergen suchte.
Der proletarische Aufstand im Mai '68 markiert das Ende jener Zeit, die geprägt wurde von der Überlagerung der Krise des Sozialen durch die ökonomischen Krisen und deren Management; seitdem waren die ökonomischen Krisen nur noch Folgen der sozialen Krise, was einen eindeutigen, wenn auch umgekehrten Ausdruck in der spektakulären Betrachtung der Gesellschaft durch sich selbst findet, indem sie sich selbst als negativ und zerstört beschreibt. Es ist in diesem Moment gelungen, der Bedeutungslosigkeit der Ökonomie praktische Wahrheit zu verleihen, indem durch einen revolutionären Ausbruch die Existenz der sozialen Krise aufgedeckt und ihre Aufhebung in der Revolution angedeutet wurde. Damit war der Traum des tief schlafenden stalinistischen Kadavers und seiner munteren Euro-Rudimente vom zwangsläufigen Übergang einer ökonomischen Krise zur sozialen und von da aus über eine Revolution schleunigst zum Sieg ihrer Partei ein für allemal besiegelt: sie werden nie mehr aufstehen.
Das Denken der Ökonomie muss die seit einem Jahrzehnt und in seiner Zukunft fortwährenden Krisen des Tauschmittels, der Arbeit und der Ökologie in sehr vielschichtiger und sensibler Weise reflektieren, da sie viel mehr das Ergebnis als die Voraussetzung einer sozialen Krise waren, die keine Begrenzung mehr durch dieses Denken selbst gefunden und die Unannehmlichkeit dieser Welt an jedem Punkt ausgedrückt hatte, ohne auch nur einen Flecken der Erde auszunehmen.
Dem objektiven Wertverlust und dem Wertverlust dieser Gesellschaft entspricht die Wertlosigkeit des höchsten Wertes - dem allgemeinen Äquivalent. Die Bewegungen zu seiner Stabilisierung (Auf- und Abwertungen der Stützwährungen, das Sparen und das Verausgaben, internationale Zahlungseinheiten) signalisieren die tatsächliche Krise des Geldes oder jedes allgemeinen Tauschmittels: Tauschmittel zu sein für Dinge, derer es sich nicht lohnt; Dinge, die in einem solchen Überfluss bestehen, dass ihr Wert fraglich, weil der Tausch ideell und ohne Reiz ist - Tauschmittel zu sein für eine negative Welt, das spektakulär negative Tauschmittel. Daneben existieren noch zwei andere, allerdings wenig bedeutende Versuche, der Krise des allgemeinen Tauschmittels Herr zu werden: einmal in einer Art orientalischen Kommunismus der ölfördernden Scheichtümer des persischen Golfes, der möglich wird durch den Überfluss an Geld aus den industriellen Zonen; und der andere in Kambodscha und Lybien, der darin besteht zu versuchen, das Geld einfach abzuschaffen.
Die Gefahr durch die Krise der Arbeit liegt nicht so sehr in der sozialen Bedrohung durch die Arbeitslosen, als mehr darin, dass die Arbeitslosigkeit in einer Gesellschaft in der der einzelne nur durch die Arbeit existiert, eine Gefährdung der Ideologie der Arbeit darstellt. Die moderne Gesellschaft produziert eine Serie von Bildern des Fortschritts, die das elende Zugrundegehen, das Verhungern weitgehend aus der Realität verbannt haben und ist daher gezwungen, in einen paradoxen Widerspruch zu einer ideologischen Grundlage dieser Welt zu treten: Individuen existieren, ohne zu arbeiten.
Diese morbide Welt hat sich nicht mehr von dem Schock erholt, den sie schlagartig '68 erlitt, als unübersehbar wurde, dass die soziale Frage tatsächlich nicht beantwortet war, gar mit größerer Entschiedenheit als in der Vergangenheit gestellt war und dass sie lange nicht mehr so gute Aussichten hatte, vollständig durch die soziale Revolution gelöst zu werden.
Die Folge ist ein bis heute andauernder Zustand, der deutlich die Züge des Patts trägt: Weder war es den negativen Kräften gelungen, den vollständigen Sieg über die Welt der Ware zu erringen, noch gelang es, der Revolution eine vernichtende Niederlage zu bereiten; der proletarische Aufstand bricht seitdem in einer Kette von Erhebungen an ständig wechselnden Plätzen über die ganze Welt hinweg nicht mehr ab. Eine sich aus diesem historischen Unterschied der Zeit vor '68 und danach entwickelnde Strategie der Konterrevolution ist die neuerliche Propagierung des Verzichts auf allen gesellschaftlichen Ebenen.
Mit dem Recycling der Parolen des Verzichts gelangte eine Ideologie zu Wirksamkeit, die unterschiedlichen gesellschaftlichen und ökonomischen Auflösungserscheinungen begegnen kann:
Sie ist zunächst die Verschleierung der Tatsache, dass die Voraussetzung und das Produkt jeder Ökonomie immer der Verzicht ist, also eine Antwort auf den wachsenden Mangel an Wirksamkeit des Denkens der Ökonomie selbst.
Der Appell an die Vernunft des modernen Menschen, die nun im Prozeß von Produktion und Konsum wirken soll, auf die Revolution wegen zu großer Verschwendung im Blick auf die drohende apokalyptische Krise zu verzichten.
Sie ist verwendbar als Mittel zur kurzfristigen Drosselung der Produktion, zur momenthaften Stabilisierung der Ökonomie und zur Begründung ökonomisch notwendig gewordener Beschränkungen oder Rücknahmen von monetären Sicherungen der Produzenten.
Und sie ist (und das kann vor allem auch ihre zukünftige Aufgabe sein) eine Konterstrategie gegen die fehlende Begeisterung am Konsum, da es an wirklichen Neuerungen in dieser Welt fehlt; der Reiz läßt nach, der Konsum der Welt wird alltäglich.
Die verzweifelte Stimmung entsprang der Enttäuschung, die sich einstellte, als die Hoffnung, die man auf Wissenschaft und politische Reform gesetzt hatte, sich überraschenderweise nicht verwirklichten; sie ließ die Vorliebe für das Erhabene im Sinn des achtzehnten Jahrhunderts von neuem aufleben.
Francis D. Klingender, Über das Zeitalter der Verzweiflung in der Epoche der Industriellen Revolution
Dieses Projekt (eines Straßen-Schienen-Wagens) ist bereits völlig produktionsfertig, und auch andere Sachen sind schon als Prototyp entwickelt wie eben dieser Straßen-Schienen-Wagen. Über den gibt es schon Filme. Das sind alles Projekte, die auf gesellschaftlichen Nutzen abgestellt sind und erst in zweiter Linie auf Profit, die aber in ihrer Mehrzahl auch durchaus mit Profit produziert werden könnten. Aber eben zu anderen Zwecken und von anderen Leuten. Diese Produktion zielt eben auf den Gebrauchswert.
A. Sohn-Rethel, Frankfurter Rundschau, 5.5.79
Zur Zeit sind die vielfältigen Ansätze zu alternativen Lebensformen in den USA und auch bei uns noch zersplittert und stehen kaum in Erfahrungsaustausch untereinander. Als Schrittmacher sozialer Erneuerung sind sie daher gegenwärtig noch ohne große unmittelbare Wirkung. Ihre Bedeutung besteht vielmehr darin, dass sie modellhaft-stellvertretend neue Lebensformen erproben, die angesichts der drohenden Selbstzerstörung unserer gesellschaftlichen Superstrukturen Möglichkeiten eines menschenwürdigen Überlebens darstellen. Viele Menschen sind überrascht, dass meine Argumente sich auf traditionelle Einsichten aus Wirtschaft, Technik und politischer Ökonomie stützen. Ich behaupte, dass die weiche Technologie billiger, schneller, der Umwelt und der Gesellschaft besser angepasst, weniger risikobehaftet, vernünftig ist...
Glauben Sie, dass die Entwicklungsländer aus dem Experimentierkasten mit der sozialen Energietechnologie einiges abbekommen?
Umgekehrt. Die Industrieländer können bei den Entwicklungsländern sehr viel lernen, dort nämlich ist man mit der Erforschung und Anwendung der weichen Technologie, dem Gebrauch der am Ort im Überfluss vorhandenen Hilfsmittel zur Befriedigung der Grundbedürfnisse wesentlich weiter...
Die weichen Energie-Technologien haben fünf besondere Kennzeichen: sie sind dezentralisiert, erneuerbar, verhältnismäßig einfach im Gebrauch, in den Dimensionen und der Energiequalität dem tatsächlichen Energieverbrauch angepasst...
Inzwischen investieren viele Menschen ihr Geld und, was wichtiger ist, ihre Talente in weicher Technologie, denn diese Form kann, im Unterschied zur Großtechnologie, von einzelnen verstanden werden. Einzelne können beträchtliche Beiträge leisten. Viele tun es. Und es gibt, so weit ich weiß, im ganzen Universum nichts, was mächtiger wäre, als 4 Milliarden Köpfe, die sich mit einem einzelnen Problem beschäftigen.
Ein Interview mit Lounis, Das Problem der 4 Milliarden, Forum Vereinte Nationen, 1978
In einem Leserbrief aus Domebook II heißt es: Etwas auf Seite drei in Domebook I über industrielle Produktion billiger Häuser macht mich ganz krank, und ich muss an noch mehr Stadtrandsiedlungsverschmutzung denken und an Domes am Seeufer, Domes in den Wäldern und in Skisportgebieten - wow, sie sind hübscher als Spitzdächer, nicht wahr?! Mein lieber Mann, die sind so reizend und bauen sich einen Dome als Skihütte - hoffentlich passiert sowas nie. Hoffentlich welkt die korrupte Industrie dahin und erfährt niemals etwas über Domes und darüber, dass der neuentstandene Lebensstil auftaucht als Drop-out des hochgestochenen New Yorker Extravaganz-Bau-Business. Ich hoffe wirklich, dass die Sache nicht wieder in die Hose geht. Mit Liebe, Chico Drake.
AG SPAK,
Zur Alternativen Ökonomie I
In Zielsetzung und Zusammenhang, in Struktur und Strategie waren die Bürgerinitiativen jedoch so heterogen, dass von einer Bewegung nicht gesprochen werden kann, nicht einmal, wenngleich dort noch am ehesten, im Umweltschutz. Es waren tatsächliche Repräsentationsdefizite, die notwendigerweise Bürgerinitiativen auf den Plan riefen. Bürgerinitiativen sind wesentliche Bestandteile des pluralistischen Vorsorgestaates. (...) Die Gefahr des pathologischen, weil lernunfähigen Verhältnisses zwischen Bürgerinitiativen und Parteien war ... durchaus gegeben. Gleichzeitig begannen die Parteien jedoch, der ökologischen Bewegung mit einer zunehmenden Zahl von Gesetzen zum Umweltschutz das politische Wasser abzugraben (...). Der Ölpreisschock von 1973 verbreitete das Bewusstsein der Umweltschützer, an einem historischen Wendepunkt zu stehen. (...) Auch einzelne Parteifunktionäre und Abgeordnete formulierten dieses Bewusstsein von einem Zeitalter der Grenzüberwindung zu einem Zeitalter der Grenzbestimmung, von einem Zeitalter der unbegrenzten Möglichkeiten zu einem der möglichen Begrenzung, von einem Zeitalter partiellen Überflusses zu einem Zeitalter, wo wir erkennen, was überflüssig ist.
Uwe Thaysen,
Politik und Zeitgeschehen, 19.5.79
Immer deutlicher enthüllt sich dem geringsten Arbeiter der Erde das Dilemma, in dem das menschliche Tun steckt:
- entweder geht das Leben keinem Ziel zu, das seine Arbeit aufnimmt und überhöht, und dann ist die Welt absurd, selbstzerstörerisch, verurteilt von dem ersten reflektierenden Blick, den sie unter ungeheurer Anstrengung hervorgebracht hat, und das bedeutet Revolte, nicht nur als Versuchung, sondern als Pflicht.
- oder etwas (Einer) ist da, in dem jedes Element nach und nach in seiner Vereinigung mit dem Ganzen die Vollendung dessen findet, was sich in seiner Individualität an Erhaltbarem zusammengefunden hat, und dann lohnt es sich, sich unter die Arbeit zu beugen, ja sogar sich ihr zu weihen, und zwar in einem Bemühen das die Form einer Anbetung annimmt.
Pierre Teilhard de Chardin,
Das psychische Wesen der EvolutionDEAD VALLEY
Am Ende des gefräßigen Tunnels, durch den der Wert gegangen ist, um im wertlosen nihilistischen Niemandsland zu verschwinden, eröffnet sich eine neuerliche Stabilität für die verblassende Ökonomie, der Ökologismus.
Die Ökologie ist die Wiedereinführung des Scheins von Vernunft. Ein Neuerwachen im Unvernünftigen, sie wird in diesen Verhältnissen von Notwendigkeiten und Vergangenem den Platz des vernünftigen Unvermögens einnehmen, der seit dem deutlichen Zusammenbruch des Begriffes vom Fortschritt zu veröden scheint.
Durch das Filterbild eines umgedrehten Bewusstseins wird die Kritik der politischen Ökonomie auf dem durch Utopismus getränkten Boden eines durch die Ökonomie geschaffenen Denkens gesehen und taucht am Ende seiner Reise in verschiedenen Stationen interpretativen Ansehens als ökonomische Kritik erneut auf. Die Verneinung der Ökonomie wird zur doppelten Bejahung.
Im ökologischen Denken ist die Archaik von Ökonomie und Vernunft wiedergefunden. Rousseau und Owens sind nach 200 Jahren vereinigt. Ihre Utopie reicht nicht weiter in die wirkliche Bewegung als bis zum reformistischen Hebel, der von neuem das Rad in Gang setzt, was vorgeblich gestoppt wird. Die Ökologen führen die Wärme in die Eiszonen der Entfremdung.
Die Ökologie erweist sich als geschundenes Herz einer Humanität innerhalb der Dinge, als das Herz der Dinge durch die Vernunft des Gebrauchs. Vor dem durch die entfremdete Produktionsweise ausgelösten Verlust bleiben die Ökologisten stehen, in der Hoffnung, das gänzlich Sinnlose mit einer moralischen Anstrengung zu reinigen. So sind die Saint-Justes unserer Tage pazifistische Windmühlen, deren falsches Pathos die Rückkehr zu den heiligen Schlachthöfen der Tugend ankündigt. Am Ende der Sonnendämmerung wechselte das Mittelalter durch die Guillotinen in die Neuzeit noch mit dem lebendigen Glauben, die Welt im Blut reinigen zu können. Heute spielt sich dies auf umgekehrte Weise ab, durch ein Nadelöhr von Hoffnungslosigkeiten zwängt sich ein blutiger Leichnam, der die Unschluld nur zu spielen vermag, ohne sie zu sein. Zur Reinigung des blutigen Zustandes im lebendigen Glauben fehlt jener Fanatismus, den die Geschichte verbraucht hat, und die Gleichgültigkeit, in der sich diese Epoche einhüllt, tut ihr Bestes, dies zu beweisen.
Im Ökologismus ersteht jene Johanna, die das Heer von Symbolen der Arbeit anführt, um der Gesellschaft zurückzugeben, was ihre einzige materielle Sicherheit ist, von deren Basis sie einzig alle Wirklichkeit abzuleiten vermag. Nach dem Untergang des Spektakels als Spektakel des Untergangs aller Werte ein unkompliziertes Zurückfinden in die kybernetische Sicherheit: an der schmählichen Kreuzung von toter und lebender Arbeit, wirklichen und unwirklichen Bedürfnissen; das gestorbene Erbe der Vernunft in letzter Stunde und letztem Gefecht. Das Tausend und eine Nacht von Vergangenem.
Die zugrunde gegangene Verheißung des industriellen Zeitalters, die Opfer dieses Fortschritts, die außerhalb der Kontrolle geratenen Geister des Spektakels sind zum Fieberlager aufgeschichtet, auf dem sich der Ökologismus wälzt, geschüttelt von apokalyptischen und paradiesischen Schauern.
Die industrielle Welt ist zu Ende. Die Ökonomie entbehrt ihrer Rechtfertigung über sich selbst hinaus. Am Rande des zerstückelten Bewusstseins dieser Welt keimt eine Klarheit darüber, dass die Bedingtheit des Ökonomischen bar jeder Dynamik ist, ein erkaltendes Herz, für das die Ökologie verheißungsvoll jener heiße Puls ist, der für das 18. Jahrhundert die Dampfmaschine war.
Anstelle der Religion ist die Ökologie zum wahren Seufzer einer zerschundenen Seele geworden. Das Wirkliche einer gefälschten Welt, eine wahre Ahnung dieses Falschen und Verfälschten zugleich.
Als Verheißung ganz Gespenst der letzten Stunde, ganz Schattenriss eines Zustandes, in dem das Elend auf umgekehrte Weise als ökonomische Vernunft neu aufersteht, taucht die Ökologie als neuer Messias auf, dessen Reich genauso nahe ist wie das des Galliläers.
Die Ökologie als eine versuchte Einführung der Vernunft ist ein Stickstoffdünger im Humus der Warengesellschaft, und die ersten Früchte sind die Avokados einer eschatologischen Arbeitsmoral.
Die Ware hat den Planeten verändert, indem sie den Menschen in ihr Gegenteil verkehrte, es kommt nur nicht darauf an, diese verkehrte Welt umzudrehen, sondern sie zu beseitigen.
Oh, Ihr Gemäßigten aller Art, wie könnt ihr es in dieser verschwommenen Moral aushalten, euch in dieser Unklarheit gefallen? Ich weiß nicht, was mehr bewundern, eure Unparteilichkeit oder eure Dummheit.
Louis Aragon
Was am stärksten zur Hoffnung berechtigt, ist die wachsende Zahl alternativer Versuche in allen westlichen Industriegesellschaften, Ausbruchsversuche, die beweisen wollen, dass es auch anders geht: Gruppen eines alternativen Lebensstils, einer alternativen Technik, einer alternativen Landwirtschaft, einer alternativen Wissenschaft. Sie bilden vielleicht die Kristallisationskerne einer neuen ökologischen Gesellschaft, die sich nicht nur ihre Wandlungsfähigkeit bewahrt, sondern in der auch andere Werte des menschlichen Lebens besser aufgehoben sind als in der unsrigen.
Karl Friedrich Müller-Reißmann. Die schwindende Wandlungsfähigkeit der Industriegesellschaft, in: Frankfurter Hefte, Mai 1979
Ein Gespenst geht um in der Welt - das Gespenst der Studenten... Berkeley, Berlin, Tokio, Madrid, Warschau - die Studentenrebellion breitet sich aus wie eine Epidemie. Die Studenten sind zu einer großen Schlacht gegen die Mächte der Welt angetreten.
Cohn-Bendit, 1968
Ich verabscheue jegliches Handwerk. Meister und Gesellen, alle gemeines Bauernpack. Die Hand, die die Feder führt, ist nicht besser als die Hand am Pfluge. Was für ein Jahrhundert von Handlangern!
Rimbaud, 1873
Die andere (Perspektive) ist die von Leuten, die ein Ende der wirtschaftlichen Entwicklung ins Auge fassen. Dazu haben wir erste Ansatzpunkte, mehr nicht: alternative Technologie, Kunst, Christliches, Heidnisches, eine Ahnung von Stämmen, einen Dunst von Gartenbau, Umgehen mit Krankheiten, Erfahrungen mit Politik, Spuren von Lebensweisheit.
Informationsdienst zur Verbreitung unterbliebener Nachrichten, 17.2.1979
Glotz: Man darf sich nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Tu-nix-Treffen etwas Neues ankündigt, auf das man angemessen reagieren sollte.
Spandauer Volksblatt, 31.1.78
Es war gut, aktiv in diesen Zusammenhängen zu stehen, und viele von uns fühlten eine Art Gottesdienst, wenn wir uns mit Besuchern von auswärts beschäftigten. In das Projekt einbezogen werden, war leicht: man musste nur einen Hammer, einen Besen, einen Pinsel ergreifen, oder zu einer der informellen Arbeitsgruppen gehen, die das Gebäude durchfluteten. Man kam rein, wohin man passte, und blieb, solange man wollte. Die Klänge des Wachstums rundherum waren geradezu musikalisch: Das Heben von Lasten, das Surren von Metallsägen, die Rufe der Konstruktionsmannschaften schallten durch die Stiegenhäuser und Aufzugsschächte. Ein partizipatorisches Umfeld menschlicher Bedürfnisse und Fähigkeiten. Ein synergistisches System von Idealen und Muskelkraft, gebunden an ein mikrokosmisches Raumschiff im Sinne Buckminster Fullers. Das Vehikel des Überlebens nahm Gestalt an.
Die Kommune im Warenhaus, in: AG Spak, Zur Alternativen Ökonomie I
Billiger leben durch kollektive Organisation der Produktion (technische Geräte) und Verteilung (Großeinkauf), durch Eigenreparatur in den Werkstätten sowie durch Info-Büro (wo ist was am billigsten)...
unabhängiger machen durch Selbstorganisation; dazu ist zu sagen, es gibt schon viele auch erfolgreiche Versuche, repressionsfreie, alternative Produktionsstätten aufzubauen, in Form von kleinen Firmen, Werkstätten oder Produktionskommunen... Erst der Zusammenschluss von Werkstätten oder Produktionskommunen aus allen Bereichen kann eine qualitative Änderung bringen. Erst dann produziert man mehr für sich selbst und ist nur noch in geringem Maße von einer bestimmten Käuferschicht abhängig. Und erst dann produziert man auch direkter für sich, d.h. direkt Gebrauchsgüter für uns, statt für Kohle oder andere Tauschgüter.
Schwarzmarkt eröffnet - Versuch einer
Gegenökonomie, Informationsdienst zur Verbreitung unterbliebener Nachrichten. 28.6.1975
Und in der Einsamkeit in der nichts mehr für Sie leuchtet/Müssen Sie das tägliche Brot einer Existenz/Erwerben von der Sie nichts mehr erwarten.
Arthur Cravan, 1913
Die ganze Welt hielt den Atem an. Die Zeitungen aller Länder waren voll davon, Radio und Television verkündeten: "Sowjetrussland hat den 'Sputnik', einen künstlichen Mond, ins Universum geschossen. Mit diesem Erfolg war Amerika technisch und wissenschaftlich überflügelt. Die Regierung in Washington war aufgeschreckt. Riesensummen wurden vom Kongress gefordert und bewilligt, um den Vorsprung der Sowjets einzuholen. Fieberhaft experimentierten die besten Techniker und Wissenschaftler des Landes mit Unterstützung der Armeeleitung. Nach einigen Fehlschlägen gelang es endlich, einen kaum fußballgroßen, künstlichen Mond zu starten. Währenddessen aber hatten die Sowjets bereits ihren zweiten, tonnenschweren Sputnik ins All getrieben, und Staunen und Beängstigung ob dieses kaum mehr einholbaren Erfolgs der Russen ergriff die Welt. Jeden Tag brachten die New Yorker Zeitungen alarmierende Nachrichten.
Oskar Maria Graf.
Die Flucht ins Mittelmäßige
Aber dennoch gibt es die Arbeit. Sie ist auf Grund ihrer Natur in der Lage, in Wahrheit die Menschen innerlichst zu vereinen und dies gerade wegen ihres eigentlichen Sinnes und ihrer innerlichen Kraft.
Pius XII.
Das Arbeitsergebnis hängt ab von einem komplizierten Arbeitsprozess, dessen Organisation ebenfalls, wenngleich eine andere Arbeit ist: alle in der Gruppe müssen lernen, Motivation bei sich und anderen so zu schaffen, dass jeder Verantwortung übernimmt, ohne sich von den anderen verantwortlich gemacht zu fühlen. (...)
Arbeit also als gruppendynamisches Prinzip, als Therapie, als Droge? Als Erlöser von allen gesellschaftlichen Übeln, wie sie von der frühen Arbeiterbewegung gefeiert wurde? Na klar, von allem etwas. (...)
Das Tier muss nicht zum Objekt gemacht werden, damit man oder frau es schlachten kann. Im Umgang mit der Handvoll Tiere, von denen wir Mist, Milch, Wolle, Eier und Fleisch bekommen, bleibt möglich, was in Hühnerbatterien und Schweinemästereien von vornherein ausgeschlossen ist, nämlich dass die Interaktion mit ihnen subjektive Momente einfließen, wir uns jenseits des Nutzens, den sie für uns haben, an den Tieren freuen. Unsicher bleibt, ob das für die Tiere irgendeinen Unterschied bedeutet.
Leineweber/Schibel. Die Alternativbewegung, in: Autonomie oder Ghetto
FORMICARIUM
Die gesellschaftliche Bedeutung der Alternativbewegung liegt in ihrer Verwertung durch die Gesellschaft selbst.
Nach den verlorenen Kämpfen gegen die Sozialdemokratie der Pickelhauben von 1918 und die Sturmabteilungen von 1933 gab es nach dem Zweiten Weltkrieg für die offizielle Geschichtsschreibung keine Klassen mehr. Die gesellschaftliche Beteiligung an der Schichtarbeit des Wiederaufbaus der deutschen Warenwelt wurde in den 60er Jahren durch die internationale Verstärkung der proletarischen Aktion gebrochen, auch wenn versucht wurde, diese Bewegung als die der Jugend und Studenten soziologisch zu kategorisieren und integrieren.
Als Inkarnation dieser Kategorien füllten die Studenten die in ihnen begründete gesellschaftliche Beschränkung aus.
Solch eine Nebenrolle verlangt einen Hauptakteur der Geschichte. Die Kritische Theorie der Bockenheimer Anlagen, das Produkt der alleingelassenen Intellektuellen der 20er Jahre, hatte das Proletariat für tot erklärt. In der Niederlage geboren, konnte sie nur eine Salontheorie der Niederlage sein. Den Studenten blieben nur die Befreiungsbewegungen der Dritten Welt als Proletariatsansatz und ein Warten auf Guevaras Europafeldzug.
1968 mussten sie erkennen, dass trotz der Krise der Macht das studentische Element in den Straßenkämpfen die Macht nur erschrecken, nicht aber vernichten konnte. Die Macht der Studenten war nur ein Traum gewesen, die proletarische Revolution hatte das Schlachtfeld betreten.
Das falsche Verständnis, die permanente Ignoranz der Klasse des Bewusstseins, brachte verschiedene wirre Auswüchse der gescheiterten akademischen Avantgarde hervor, vom Marsch der endlosen Anpassung in den Institutionen über Interventionismus und Operaismus bis hin zur Dogmatisierung in der lächerlichen Parteidisziplin diverser stalinoider Truppen. In der bekannten Umkehr kam es den Studenten tatsächlich darauf an, glauben zu machen, es wäre interessant, was der eine oder andere unter ihnen dächte, und nicht darauf wozu sie letztlich gezwungen waren.
Die dauernde Desillusionierung innerhalb der Illusion und ideologisch-materielle Arbeitsplatzsorgen in einer sich modernisierenden Gesellschaft lassen Anti-Theorie und archaische Handwerkelei vom Romantizismus bis in eine muffig-bornierte Kleingeistigkeit sprießen. Getäuscht wie die deutsche Arbeiterbewegung im Faschismus zieht sich ein Teil der linken Opposition beleidigt und verbrannt auf ein deutsches Gebräu aus sozialdemokratischen Genossenschaftswesen und utopistischen Ideen zurück, als Nachfolger und Erneuerer einer isolierten Lebensform. Ihre Identität wird durch das Vorbild der amerikanischen Landkommunen abgestürzt, die Produktion auf die Herstellung der eigenen Öffentlichkeit ausgerichet, Marketing zur Multiplizierung der neuen ideologischen Kraft, und erfährt seit dem Schillern der Vollversammlung in Tunix auch von der Macht als Zweite Kultur integrierende Anerkennung.
Der Rückzug auf das geheiligte Positive bedeutet, dass die soziale Revolution nicht mehr von den politischen, sondern zusätzlich von den ökonomisch-emotionalen Ideologen bekämpft wird. Zwischen den Polen Flucht vor dem Kapitalismus und Kampf gegen ihn bleibt eine Ansammlung von Halbwahrheiten und Erfahrungen herumliegen, die infolge mangelnder Konsequenz zu einem Selbstbedienungsladen moderner Strömungen des Kapitalismus wird: Der Alltag wird wieder mit dem Überleben gleichgesetzt.
Auch wenn die Parolen mehr versprechen: Entfremdete Arbeit wird nicht abgeschafft, sondern zur Ausbeutung der eigenen Arbeitskraft, wobei der Mehrwert in ideologischer Münze ausbezahlt oder angeschrieben wird. Eine geisterhafte Solidarität nach Art des COMECON übertüncht die Konkurrenz zwischen einzelnen oder Produktionskollektiven. Während in der modernen Gesellschaft der Hierarchiebegriff in der differenzierten Organisation verschwinden kann, erklimmt der prototypische Alternativmensch als Halbgott die Spitze der alternativen Hierarchie. In dem Missverständnis, Hierarchielosigkeit sei Herrschaftslosigkeit, akzeptiert die Alternativbewegung ihre Machtlosigkeit in einer Welt der Macht. Der Traum, neben der herrschenden Ökonomie von ihr unabhängig zu werden, kennt nur das bittere Erwachen, in ihr gefangen zu sein.
Im Zuge der Bemühungen um die eigene Identität suchen die Alternativen innerhalb einer mystischen Aufladung das Einfache, Unberührte, Natürlich: Jäger, Sammler und Bauern und ihr ersatzgeschichtlicher Blick integrieren ihre Vorläufer aus den Zwanziger Jahren mit dem kläglichen Ende: Auflösung oder Gleichschaltung.
Die neuartig-altertümliche Produktionsweise ist zugleich die neuartig-altertümliche Produktion der ideologischen Werte: Arbeit, Politik und Familie.
Wie das Auftauchen des russischen Sputniks die erschrockenen Amerikaner mit der Entwicklung des Kreativitätstrainings ihr Land mit einem einzigen kontinentalen Brainstorming überziehen ließ, wird heute jeder Quadratmeter der Gesellschaft mit Angeboten zur Beteiligung bombardiert. Der Bankrott wird eingestanden, breiter als jede moralische Denunzierung der Linken es vermocht hatte. Der Regeneration dient die verordnete Selbstverwaltung: Wer könnte das Elend besser verwalten als die Elenden selbst! Zwischen den retrospektivischen Tagträumen und einer zukunftslosen Gegenwart ist der Platz für die vermittelte Beteiligung der gefälschten Kritik, Aufforstung des gesellschaftlichen Kahlschlages. Ein therapeutischer Umschlagplatz alternativer Ersatzteile.
Die alternative Ökonomie führt die Logik des Kapitals auf einer höheren Stufe wieder ein; zwar verhindern ihre unterentwickelten Produktionsmittel die Effektivität in der Produktion, aber die Vernunft kehrt ins Wesen der Arbeit zurück. Die spirituellen Werte der kapitalistischen Produktion tauchen wieder auf: Sinnvolle Produktion, Freude an der Arbeit und soziale Beziehungen mit selbstgezogenem Gemüse.
Selbst an den totalen Mantel gewöhnt, stellt der Alternativkosmos das ideale Laboratorium für Formen des gesellschaftlichen Verzichts dar, in dem unbeschwert die neue Verhaltensnorm Bedürfniseinschränkung und. Konsumverzicht propagiert wird.
Und auf diesem Liebeskonzil der Werte erntet die Alternativbewegung von ihrem Großen Bruder die Anerkennung, derer sie bedarf. Der Kampf um einen Platz in dieser Welt gebiert nach dem Politiker den syphilitischen Humanismus der Weltverbesserer.
Die Alternativbewegungen sind die Verwirklichung des retrospektivischen Denkens!
Der Naturmensch der Neueren ist ein widersinniges Unding, welches in keine mögliche Welt passt, außer etwa in die, wo Löwen Gras fressen, Tiger Lämmer hüten und Adler die jungen Täubchen füttern: das ist eine Welt des Widerspruchs, in der alles aufhört zu sein, was es ist.
Georg Forster über Rousseau und Freunde
Und dann passiert's - ich platze und meine Fetzen flattern mit einem Stück Papier zurück auf die Erde. Ich platze wie die Anti-AKW-Bewegung, die wie ein Luftballon sich aufbläht und an Höhe gewinnt und innen ganz hohl - vergessen hat, woher sie aufgestiegen ist - vergessen hat, was sie alles mitfliegen hätte lassen können und vor allem: wen -
Blatt No. 124, Juli 1978
Es soll ein Beben stattfinden, eine Explosion der Irren, Arbeiter, Dissidenten, Frauen, Schwulen, Musikanten, Militanten, Stadtindianer, Lesben, Kommunisten, Sozialisten, Makrobioten Ökologen, Beamten, Freaks, Künstler, Träumerinnen, Fantasten, Fortschrittsgegner, Kiffer, Kämpfer und Chaoten. Eine Explosion mitten im deutschen Sonntagsfrieden.
Aufruf aus Frankfurt, Sommer 1978
Irgendwie mussten wir ne Haltung finden, die es möglich macht, mit jedem einen Kontakt aufzubauen und zu verfolgen, zumindest dann, wenn klar ist, dass er/sie genau dieselben Vorstellungen von einer anderen Lebens- und Beziehungspraxis hat wie wir. Wir haben die Möglichkeit, jeden Konflikt bis an die Ursachen zu verfolgen und dann damit umzugehen (auch Antipathie z.B. ist zwar erstmal ein diffuses Gefühl, aber es läßt sich auch feststellen, worauf es sich begründet, und dann sieht vielleicht alles ganz anders aus ...)
Pflasterstrand No. 24
Zur realpolitischen Möglichkeit kam bei uns noch ein existentielles Bedürfnis hinzu. Die Perspektivlosigkeit, das Rumhängen, das Nichtwissen-was-tun wird immer unerträglicher. Die Luft im Ghetto ist zum Ersticken und die Wirklichkeit hat sich durch unseren Rückzug auf uns selbst auch nicht verändert. Was Wunder also, dass die Möglichkeit, realpolitisch endlich wieder etwas zu machen, mit anderen Leuten außerhalb der Ghettos wieder zusammenzukommen, zu organisieren etc., vielen wie ein Rettungsanker erschien.
Pflasterstrand No. 40, 1978
Die Durchsichtigkeit eines Projektes anderen Menschen gegenüber bestimmt die Qualität seiner Öffentlichkeit. Durch ihre Praxis wird Erfahrung sichtbar. Ein Kräuterladen ist für mich immer noch eine sichtbar bewusste Auseinandersetzung mit der vorprogrammierten Krankheit der kapitalistischen Gesellschaft...
Autonomie No. 11, 1978
Zwar sind die Grenzgängerinnen geblieben, aber wir wollen aus dem Niemandsland heraus in das Andere vordringen. Die Sphinx hat uns den großen androgynen Ballsaal geöffnet und ist in den See eingetaucht. Wir können sie nicht mehr finden. Wir stehen im Haus des Heiteren mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Das Geheimnis hat sich gelüftet. Wir genießen den Augenblick.
Metropolitan Women 1977
Der Republikaner Bob Bass will im Parlament von Texas eine Gesetzesvorlage einbringen, nach der Ehefrauen das Recht erhalten sollen, auf Freundinnen ihrer Männer zu schießen, wenn sie diese in flagranti mit dem Gemahl ertappen. Die texanischen Ehemänner haben seit langem das Recht, in vergleichbarer Situation von der Schusswaffe Gebrauch zu machen.
Süddeutsche Zeitung 13.1.1967
Ich bin für ein Hausfrauengeld, ohne mich als Opfer demütiger Arbeitsbedingungen zu fühlen. Denn das ist mein Leben, das ich mir aus freiem Willen geschaffen habe, für mich die natürlichste Form des Lebens überhaupt.
Emma, Juli 1977
Als Marlene Dietrich vor fünfzig Jahren als fesche Lola (dem Liebling der Saison) im Blauen Engel ihre inzwischen legendären Beine präsentierte, umschwirrten sie die Männer wie die Motten das Licht. Wer heute viel von seinen Beinen zeigen will, um damit bei einer Feuerzangenbowle, beim TÜV oder beim nächsten Rock-gegen-Rechts-Festival aufzutreten, der steckt sie am besten in hautenge Bluejeans (zum Beispiel Mustang).
Anzeige im Stern, August 1979
Wir identifizieren uns mit allen Frauen aller Rassen, Klassen und Länder auf der ganzen Welt. Die weibliche Kultur ist die Vierte Welt.
Manifest der Vierten Welt, 1971
Also lasst uns doch endlich damit aufhören, diese dahinsiechende Normalität retten zu wollen: Die heterosexuellen Beziehungen sind krank, denn alle beruhen sie auf Beziehungen von Macht und Ohnmacht. ... Die einzige Lösung für diejenigen von uns, die dennoch solche Art von menschlichen Beziehungen ablehnen, ist, ganz radikal mit der Welt der sogenannten Normalität zu brechen - nicht etwa aus Verdruss, Verbitterung oder aus Enttäuschung, sondern deshalb zu brechen, weil irgendwo in uns eine vollkommen verkannte, eine vollkommen unbekannte Dimension lebt: die Dimension der Beziehungen von Frauen mit Frauen.... Doch heute schon leben Millionen von Feministinnen alleine oder werden Lesben. Das ist eine einzigartige historische Bewegung.
Lesbenpresse, Februar 1975
Ich will als ehemaliges Mitglied (seit 1938) der Internationalen Antifaschistischen Front - und auch als Schwuler - versuchen, einige Freunde dazu zu bewegen, in Vorträgen und durch Presse und Rundfunk auch dieser Opfer zu gedenken. Die Zigeuner nehme ich mit den Schwulen zusammen, denn auch sie wurden von den meisten Komitees vergessen, und sie sind auch, wie wir Schwule, diskriminiert, verleumdet und ignoriert.
Carlo, Januar 1979
Samstag, den 24. Juni ein Gaywalk vom Karlstor zum Marienplatz, wo jeder so mitmacht, wie er gerade Lust hat, mit oder ohne Freund, Freundin, Fummel, Makeup, und dies und jedem. Im Laufe dieses Spaziergangs dann ein paar fotogene Happenings und Menschenaufläufe is ja wohl nicht illegal. Dann vielleicht ein Spaziergang (gemeinsam) zum Englischen Garten, in die herrliche Natur des Monopteros, oder des Turms, je nach Geschmack und Durst. Und abends ein lockeres Festchen...
Magnus, Blatt No. 123, 1978
Entweder: wir steigen offensiv in diese Wahl ein, d. h. konkret, Dany bleibt auf der Liste und wir versuchen, so viele antiautoritäre wie möglich auf die Liste zu bekommen. Begründungsvorschläge für diese Hegemonialpolitik: wir haben sowieso die radikalsten ökologischen und die revolutionärsten demokratischen Vorstellungen von einer nach menschlichen und natürlichen Gesichtspunkten zusammenlebenden Gesellschaft - und sehen die Grüne Liste und den Wahlkampf heute als den Kristallisationspunkt politischer Auseinandersetzungen sowie als gemeinsame (notwendige und daher aufzubauende) Front von Arbeiterbewegung, Frauenbewegung, Ökologiebewegung, Alternativbewegung, Schwulenbewegung und der radikalen Linken an (bei der Aufzählung habe ich garantiert eine oder mehre Bewegungen vergessen. Ich bitte die Betroffenen, mir eine Borniertheit und Ignoranz nicht allzu übel zu nehmen, zumal das Papier heute teuer und der PS ein sicher armes Blatt ist).
Laura Löwenzahn, 15.8.78
Ich dachte an eine Bewegung autonomer Gruppen, die angesichts von Kalkar und dem Deutschen Herbst, den Parlamentarismus zum Protest gegen das Modell Deutschland benutzt. Dieses Konzept ist gescheitert, sei es, weil autonome Bewegungen so gar nicht (mehr) existieren, sei es, weil autonome Gruppen eine Anbindung an traditionelle Politikformen fürchten. Was ist die Grüne Liste heute? Im Grunde eine von politischen Apparaten getragene ökogewerkschaftliche Superstruktur. Ein Proporz von KB, KPD, Sponti-Ökologiegruppe, AUD, Euro-Kommunismus, Bürgerinitiativen, Russel-Gruppe, Öko-Gewerkschaftlern, SB, freie Linke, freie Ökologen. Dieser Supra-Apparat ist von ökologischen Initiativen benutzbar. Er ist offen. Was wir bisher eingebracht haben, z.B. die Essentials und die Biblis-Demo, konnten wir auch durchsetzen. Wo wir uns nicht positiv engagierten, in der Programmfrage und im Wahlkampf haben sich traditionelle Politikvorstellungen durchgesetzt. Die Grüne Liste kann ein wichtiger Transmissionsriemen einer Öko-APO werden, die von libertären Ökologiegruppen über klassische Anti-AKW-Gruppen, klassische Bürgerinitiativen, traditionelle Umweltschutzverbände, alte Alternativbewegung und Grüne Aktion Zukunft bis zu Eppler reicht.
Pflasterstrand No. 39, 1978
Ich wollte zeigen, dass nicht nur Linke dagegen sind.
H. Gruhl in Bild vom 15.11.76
Eine Grüne Liste hat nicht die besseren Forderungen, sondern nur die besseren Fragen. Für uns läßt sich Ökologie staatlich nicht lösen. Also kein Programm, sondern die Formulierung von Problemen, Fragestellungen, Hoffnungen, Träumen. Unser Vorschlag anstatt eines Programms: ein Märchen.
Chaos bei den Grünen, Dany August 78
- Wenn man die Vorstellung der Revolution selbst aufgibt, was bleibt dann, nur Widerstand?
- Nicht nur Widerstand. Der Begriff des Widerstandes unterstellt Passivität, eine rein defensive Haltung. Man muss Widerstand leisten und rebellieren. Aber wie, ich weiß es nicht....
Interview mit B. H Leny, Politikon 1978
Die Logik der primitiven Gesellschaft ist also eine zentrifugale, eine Logik des Vielfältigen. Die Wilden streben nach der Vervielfältigung des Vielfältigen. Was hat diese Entfaltung der zentrifugalen Kraft nun für ein Ergebnis? Sie stellt der entgegengesetzten, der zentripedalen Kraft, der Logik der Vereinheitlichung, der Logik des Einen, eine unüberwindbare Barriere, das mächtigste gesellschaftliche Hindernis entgegen. Weil sie eine Gesellschaft des Vielfältigen ist, kann die primitive Gesellschaft keine Gesellschaft des Einen sein: es gibt mehr Zerstreuung als Vereinheitlichung.
Autonomie No. 8, 1977
Die Mütter, die Töchter, die Frauen dieses Landes verlangen, aus der Nation, die nur Unglück hervorbringt, entlassen zu werden. Der Ernst der Lage verbietet eine weitere Verschärfung des Ernstes. Deshalb nehmen wir das Recht des Lachens in Anspruch.
Aufruf an alle Frauen, Frankfurt 1977
... indem er in der regionalen Selbstorganisation von souveränen Stämmen und Kommunen die einzig gangbare Alternative der derzeitigen zerfallenden Industriegesellschaften sieht. Als Beleg für die Überlegenheit dieser Gesellschaftsstruktur dient die kulturelle und soziale Resistenz von Minoritätsgruppen aus anderen kulturellen Bereichen wie zum Beispiel der Basken, welche ganze Epochen von Fremdkulturen überstanden haben und auch heute kaum Zerfallserscheinungen zeigen.
Trikont, Anzeige für: We Talk, You Listen 1975
Frieder: Die Elsässer und die Badener haben sich bei der Besetzung in Marckolsheim wieder zusammengefunden.
Karl: Ja, das Blut hat wieder zusammengefunden.
Frieder: Da hat es sich wieder gezeigt, dass wir doch ein Menschenschlag sind, der ganz klar zusammengehört, das ganze Rheintal ist eine Verwandtschaft, sprachlich und so.
Nina: Aber wäre das auch vorstellbar, wenn es keine solche Verwandtschaft gäbe? Wenn es ein anderes Volk gewesen wäre?
Karl: Ja, das weiß man nicht, aber ich glaube nicht, weil die Sprache sehr wichtig ist.
Otto: Wir sind rein geschichtlich betrachtet ein Volk, wir haben dieselben Trachten, dieselbe Sprache, deswegen besteht schon ein starkes Bindeglied, ich will nicht sagen, dass nichts geschehen wäre, wenn es Franzosen gewesen wären.
Lieber heute aktiv als morgen radioaktiv 1976
Sie war ganz anders, als ich gedacht, ich hatte an einer großen Kampfhandlung teilgenommen, ohne einen Gegner zu Gesicht bekommen zu haben. Meine Nerven ließen mich restlos im Stich.
Ernst Jünger, Über die Kämpfe auf der Höhe von Combres
RÜCKZUGSEINHEITEN FÜR LEICHTE GEBRAUCHSMYTHEN
Das römische Reich zerbricht an seiner inneren Ausgelaugtheit, die Gegensätze zu vereinigen, die es ausmacht. Das Christentum zerfiel, als es dies Erbe antreten wollte. Diese Zeit zerfällt aus denselben Gründen, nachdem der proletarische Maulwurf von neuem diesen natürlichen Zerfall durch die Zurückführung des Bewusstseins beschleunigte. Die zentrale Sonne zerbricht, die dünnen Furnierungen der Werte, die die Ordnung ausmachen, geben nach. Die globale Einheit der künstlichen Welt ist in den Zustand globaler Bindungslosigkeit getreten.
Von neuem wetteifern die sich separat verhaltenden Splitter der alten Welt miteinander. Das Spezifische wird zum Allgemeinen und das Allgemeine spezifisch. Die verschwundene Globalität wird in der Bewegung der Minderheiten ersatzweise gefunden und reibt sich an den engen Grenzen auf, in denen sie nur gesehen werden kann. Die Globalität wird ein starres Schema von separaten Momenten und die Bewegung tritt unter umgekehrten Vorzeichen ein: der Weg reiner Vorstellungen von der Peripherie zum Zentrum, in dem sie verschwindet.
Die separate Kritik verhält sich selbst gegenüber separat, indem sie bewahrt, was eigentlich verzehrt werden sollte. Die Dialektik verkommt zur Analogie. Der Gegenstand der Kritik ist im wahrsten Sinne ein Zustand, der dieser bedarf, weil er ohne diesen nichts ist, mit der Kritik aber eine Identität erhält. Fixe Ideen erzeugen und beweisen sich selbst. Die Welt als isoliertes Phänomen verwandelt in eine isolierte Phänomenologie. Das Problem des ganzen Menschen wird durch die spezifische Eigenschaft abgelöst, die ihn in dieser Welt platziert. Die halbe Infragestellung birgt in sich einen Rhythmus, der die ganze Bejahung hervorbringt. Ein Geburtsort des Positiven, indem zuerst eine negative Abkapselung geschaffen wird, in der sich alles konzentriert, was an Unzufriedenheit herrscht, die dann als Spiegelfläche dient und eine neue positive Identität schafft. Reichtümelnde Welt kleiner Dummheiten, die aus dem großen Fundus einer verdrehten Welt gesammelt wurden. Am Ende gebiert sich ein Ort gettoisierter Ressentiments selbst.
Der Himmel und der Rest
In der Frau können sehr genau die Reste der Sklaverei erkannt werden: die unglaublichen Erniedrigungen, die den Menschen unter der Macht vom Wirklichen zum Unwirklichen transportierten. Die Frau kristallisiert global eine Rolle der Unterworfenheit. Solange die Welt eindeutige und genau definierte menschliche Charaktere hervorzubringen imstande war, gab die Frau das Szenarium für alle anderen Charaktergettos her.
Doch die Krise der feudalen Ordnung, in deren Folge die metaphysisch erscheinenden Werte als Träger der Welt durch die Wertproduktion des Kapitals verdrängt wurden, bringt auch die bis dahin unangefochtenen starren menschlichen Identitäten zu Fall. Die schwere Krise, der alle eher erscheinenden Werte von nun an ständig ausgesetzt sind, entzieht jener gesellschaftlichen Rolle ihre Statik, um die so viele andere gruppiert wurden. Die soziale Lage der Frau tritt wie die des Sklaven ins Stadium der Unhaltbarkeit.
Durch die Dynamik der kapitalistischen Produktionsweise wird die hierin liegende Symbolik starrer Produktivität verworfen, zurück bleibt die Frau als Zustand halb privater Despotie und Restenklave mythischer Werte, die unter dem Begriff Familie die Summierung des terroristischen Regimes der menschlichen Entfremdung sind.
Im Laufe des 19. Jahrhunderts bricht die gesamte fein ausbalancierte Identität in sich zusammen bis zur vollständigen Liquidierung bisheriger Werte, durch die diese auf künstlich geschützte Streifen des von nun an dynamischen Terrains der menschlichen Entfremdung gedrängt werden. Die Klassengesellschaft hebt zuerst einmal alle Differenzierungen in sich auf und scheidet abrupt. So verläuft der Vernichtungskrieg des Kapitals gegen das menschliche Leben synchron mit der eigenen Unterminierung ererbter Überlieferung. Die erste Form der Auflösung der ursprünglichen despotischen Unterworfenheit der Frau beginnt in der Fabrik, die die zweite nach sich zieht: die allgemeine Unterworfenheit unter der Herrschaft toter Dinge.
So ist die Frauenfrage untrennbar mit der gesamten Frage der Entfremdung und Unterworfenheit verbunden. Die Überreste knechtischer Despotie, innerhalb der der selbst Unterworfene ein Objekt eigener Unterwerfung kennt, sind weniger davon abhängig, wie weit eine eigenständige Befreiung der Frau existiert oder nicht, als vielmehr davon, wie weit das Bewusstsein der gänzlichen Vernichtung des menschlichen Überlebens unter entfremdeten Bedingungen geht. Die Frauenfrage für sich ist nichts als die reine Modifizierung einer bestimmten, historisch überfaulen Situation und unterliegt daher demselben Verlust an Sprengkraft wie die Frage der Sklaverei angesichts der aufkommenden maschinellen Baumwollernte.
Niemals wird der mythische Totalitarismus, der nach einer Veränderung des Passiven innerhalb der Situation der Frau übrigbleibt, mehr sein können als eine Identität aus der Ferne, die die befreite Sklavenmentalität in sich birgt: der Tag des herrisch gewordenen Sklaven.
Sexuelle Determination
Eine Welt ohne Leidenschaft bringt es nur zu der Leidenschaft, keine zu haben. Das Werk De Sades ist erhaben genug, dies ungehemmt beschrieben zu haben. Die Moral verschwindet ohne Widerstand, weil sie nicht existent ist. Für De Sade war die Bastille die Antwort, für die Homosexuellen ist dieses Gefängnis die gesellschaftliche Normalität. Doch obwohl die Normalität der Name aller Scheußlichkeiten eines leerlaufenden Lebens ist, birgt die Homosexualität nur den Exzess des Normalen in sich unter letztlich ablehnender Duldung der Gesellschaft. Wie jeder Exzess bringt dieser es auch nur zu einer glorifizierten Umkehr, die nach ihrer anfänglichen provokativen Sprengkraft zur gleichen leerlaufenden Normalität wird.
Das sich exzessiv gebende Milieu der Schwulen besitzt das frohe Opfer des frühen christlichen Mystizismus, wie die zuerst in Begriffen, dann im Auftreten hervorkommende schwule Identität zeigt, durch die das Schimpfliche, Stigmatisierte individualisiert und zum Selbstbewußtsein gebracht wird. Hier wird das künstliche Individuum geboren, das sich eine neo-ästhetische Verkleidung überwirft und dem Normalen das Verrufene zuführt.
Der Ausbruch aus dem umzingelten Eros endet mit der Wiedereinführung seines verfemten Teils, nun nach 2000 Jahren statt einer Geschmacksrichtung zwei kennen zu dürfen. Die Stabilisierung des Feindlichen kommt immer vom Gegner her, der in den Bedingungen seines Sieges nur die Bedingungen seiner Identität erblicken kann.
Wir kennen keine Abart der erotischen Leidenschaften. Wir kennen nur die Arten, die Leidenschaften zu töten, von denen diejenige am wirkungsvollsten ist, eine ausschließende Wahl zu lancieren.
Nachtgefechte
Die hitzige Bewegung gegen die atomare Technik, innerhalb der die Macht gezwungen wurde, ihren theoretischen Bankrott anzuzeigen, ist sich ihres Sieges nie bewusst geworden. Waren die massenhaften Angriffe auf das internationale Atomprogramm und die damit verbundene Kritik an der kapitalistischen Produktionsweise überhaupt ein verheerendes Stalingrad für die Macht, die ganz in die Defensive gedrängt wurde, so hat sich im Laufe der letzten zwei Jahre dieses Schlachtfeld total gewandelt. Die alten Mächte sind zum Gegenangriff übergegangen - nicht nur dadurch, dass verschiedene Manipulationsmanöver (wie die Ausnutzung der sogenannten Erdölkrise und dem sichtbaren Desaster der Ökonomie) betrieben wurden, sondern vor allem durch die teilweise Aneignung des Ökologismus und durch das, was die Macht am besten auszuspielen versteht: die Politik.
Die Bewegung brachte von Anfang an ihrer tatsächlichen Existenz gegenüber so wenig Verständnis mit, so dass ein anti-historisches Bündel an Konfusionismus zur Grundlage gemacht wurde. Die Intoleranz, die so viele dadurch vermeiden wollten, dass sie ohne Geschichte sich am sichersten fühlten, stellt sich nun durch die Zangenbewegung von Macht und repräsentativer Ohnmacht ein. Sie müssen nicht nur das Schwert, sondern sich selbst als Tributgewicht auf die Waage des Siegers legen.
Vom stalinistischen Rudiment bis zum parlamentarischen Kleinplasma wurde alles toleriert, so dass sehr schnell der Radikalismus dieser Bewegung innerhalb einer politischen Repräsentation aufgelöst wurde. Die einzige Spezifität war ein Ökologismus, dessen utopisches Schillern die billigsten Kerenskis hervorbrachte, die diese Welt benötigt, um eine schwierige Legitimationsklemme zu meistern.
Allerlei parlamentarische Hirngespinste mit den dazugehörigen Parteigründungen unter dem Begleitmarsch diplomatischer Cleverness sorgten für ein schnelles Ende der autonomen Kraft und eine glückliche Pause der bedrängten Macht. Heute ereifert die Welt sich ausschließlich in Alternativen von den Radioansagern bis zur recycling-bewussten Hausfrau - weil sie sich bewusst geworden ist, wie wenig Energie sie noch besitzt, um existieren zu können, und dass ihr primärer Kreislauf in der Nutzbarmachung der menschlichen Reserven liegt. Man konnte die Politik als Schimäre und die Schimäre als Politik erleben, auf die nun verschiedene Zahlenkolonnen folgen, in denen ein veraltetes diplomatisches Scharmutzieren stattfindet.
Marginalisierte Existenzen
Die rapide Fallkurve der ideologischen Werte, in der auch die neo-linken Schutzräume einbezogen sind, die als veralteter Bodensatz nach 1968 eine zeitlang ein idealer Nährboden für die Jahrhundertmikroben des Vergangenen wurden, hat zur Auflösung des künstlichen Zusammenhangs beigetragen. Die als überwunden betrachteten regionalen Gegensätze blühten hierdurch neu auf. In der stattfindenden Renaissance völkischer Identität liegt die Ersatzzone für den Verlust an historischer Identität. Die Indianer, Kelten, Friesen und Zigeuner sollen die Aufhebung des elenden Zustands sein, sie sind nur das Elend im Zustand seiner Auflösung. Neben der aufrechten Rehabilitierung des Unzivilisierten dämmert der antigeschichtliche Rückzug, indem der Wilde schnell zum neuen Helden wird, ohne die Spanne zwischen seiner Zeit und der Gegenwart anders zu überbrücken als im illusionären Taumel. Wie der Wilde auf den Leinwänden der Hollywoodepoche die geheime Bedrohung ausdrücken musste, wird er nun zur Kriegsbemalung für schlechte Flugblattpoesie. Man beschwört das Aroma und praktiziert die Posse.
Da der Mensch in der Zeit seiner Proletarisierung keine Heimat mehr hat, erfindet er sich eine. Nachdem das Disneyland dies nicht mehr sein kann, wird es die keltische oder Kreuzberger Region. Statt dem nicht mehr Fassbaren, dem erlebten Negativen nachzugehen und es erneut zu beherrschen und zu nutzen, weichen die kalten Schwärmer zurück in eine Welt, die das Medium einer entfremdeten Geschichtsschreibung geprägt hat - zu den Stoffen, aus denen die Träume erledigter Zeiten sind. Dabei erscheint eine Kette von Stichworten - Region, Zigeuner, Basken, Kelten, Indianer, Kinder, Schwule, Wilde, Irre, Beutelratten... -, die sich austauschend einen universellen Gleichklang haben sollen: das Unterdrückte zu sein, was Urgrund menschlicher Revolte sei und doch nichts ist als die Opferliste, die den Geschlagenen von heute einen idealen Kameraden ersinnt. Es geht bei diesen Operationen also nicht mehr darum zu siegen, sondern nur noch darum zu überleben.
An diesem Brennpunkt, wo viele in die Lumpen ihrer zerschlissenen Auffassungen Gehüllte sich wärmen, heizen sich von neuem die verschiedenen Ideologien an, die auf drastische Weise in diesem Jahrhundert niedergingen und entstanden: der christliche Kadaver - dessen stinkende Leiche aus seiner modernistischen Kloake heraussteigt, die seinen Niedergang tarnte - sowie die faschistische Brennschere - die für fast zwei Jahrzehnte Europa neue Locken legte.
Hier vermodert das Bewusstsein über die Möglichkeit einer Befreiung auf der Höhe der Zeit in dem gefährlichen Morast willkürlicher Erfindungen, aus dem die Gebrauchsmythen dieser Zeit lebendig hervorgehen werden, über die Körper ihrer Präzentoren schreitend. Eine ständig wiederkehrende Banalität beweist sich: der Mensch ist die einzige Region, in der sich alles findet, was fehlt.
Man könnte vielleicht ein Schiff voll Narren eine gute Weile vor dem Winde treiben lassen; aber seinem Schicksal trieb es entgegen, eben darum, weil die Narren dies nicht glaubten. Dieses Schicksal ist die Revolution, die uns bevorsteht.
Karl Marx
Das Poltern beim Zusammenprall der beiden Flugzeuge ist auf dem Band deutlich zu hören. Außer den beiden Piloten und dem Flugingenieur fliegen noch zwei PSA -Kollegen mit, dienstfrei. Einer der beiden, selbst Kapitän, schreit: Oh, Scheiße! Noch ein Fluch. McFeron: Langsam, Baby, langsam. Für den Bruchteil einer Sekunde ertönt der Kurschluss-Alarm. McFeron: Was ist das? Fox: Das ist schlimm! Hah? Wir sind gerammt, Mensch! Gerammt! Tower, wir stürzen ab! - und selbst angesichts des Todes fügt er automatisch hinzu, wer da überhaupt funkt: Dies ist PSA! Die Piloten sehen die Erde auf sich zurasen. Noch sechs Sekunden. Einer schreit: Bob! Bob Fox antwortet mit einem Fluch. Dann McFerons Stimme: This is it, Baby - das war's, Baby. Aus. Noch ein Aufschrei: He, Baby! und als Letzter der mitfliegende Kapitän: Ma, I love yah - Mutter, ich hab' dich lieb. Einen Atemzug später bleibt der Cockpit-Recorder' der das alles aufgezeichnet hat, stehen.
Die letzten 18 Sekunden im Cockpit, STERN, 11.4.79
Die Briten sind bemerkenswert anspruchslos. Wie aus einer am Mittwoch veröffentlichten Umfrage hervorgeht, haben nur wenige ernsthaft den Wunsch, reich zu werden. Die meisten wollen oder erwarten nicht sehr viel mehr Geld, und selbst wenn sie es bekommen könnten, ist die große Mehrheit offenbar nicht bereit, dafür härter zu arbeiten. Die Erhebung war von dem Magazin New Society (Neue Gesellschaft) in Auftrag gegeben worden. Die meisten der Befragten waren der Ansicht, dass wir nur so viel arbeiten, um ein angenehmes Leben führen zu können heißt es in der Studie. Es scheint ein neues Phänomen zu geben - die Revolution der zurückgebenden Erwartungen, denn noch vor vier Jahren seien die Ansprüche größer gewesen. Am zufriedensten mit ihrem Los waren ältere Menschen aus der Mittelschicht.
Frankfurter Rundschau, 28.4.77
Der Schüler weiß, dass die Schulleistung nicht viel mit der Lebensleistung oder gar dem Wert des Menschen zu tun hat. Dieser Widerspruch macht dem Schüler zu schaffen. Dennoch pflegt er nicht offen zu opponieren, denn er weiß, dass die Schule mit ihren Abschlusszeugnissen heute die bedeutsamste Platzanweiserin in unserer Gesellschaftsordnung darstellt. Er sitzt sie ab und schafft das Pensum so gut wie möglich, aber nicht mehr als nötig. Zum Widerstand ist er auch deshalb nicht in der Lage, weil die Erziehung der Schule zur Objektivität darin besteht, eine lange Serie von geschichtlichen Stilen, wissenschaftlichen Theorien, Lebens-auffassungen, Weltanschauungen, Zeiterscheinungen vor seinem geistigen Auge Revue passieren zu lassen und ihn zu Leidenschaftslosigkeit und Unparteilichkeit zu führen.
Dr. Ulrich Beer, das Verhältnis der Jugend zur Schule, 1960 (Familien- u. Jugendsoziologie, Neuwied, 1961)
Verzweifelte, aus Langeweile für den Selbstmord Empfängliche, hört auf gegen Euch selbst zu handeln! Richtet Eure Wut gegen diejenigen, die die Verantwortung für das Schicksal tragen, das man Euch aufzwingt! Steckt die Kirchen, Kasernen und Polizeireviere in Brand! Plündert die Kaufhäuser! Sprengt die Börse! Knallt die Justizbeamten, Bosse, Gewerkschaftsbonzen, Bullen, die eifrigen Chefs nieder! Nehmt Rache an denen, die sich für ihre Machtlosigkeit und ihren Knechtsgeist an Euch rächen!
Surrealistische Befreiungsgruppe 1968
Dago Lipke, 27. Vor ein paar Jahren wollte er noch mit flower power die ganze Welt verändern. Er war auf dem Trip von einem Pop-Festival zum anderen. Auf der Suche nach Gleichgesinnten. Weil er die Welt nicht ändern kann, hat er sich verändert. Er läuft nicht mehr mit, er ist Individualist. Was blieb ist die Erinnerung. Und die Liebe zu Songs und Jeans. Dago trägt Mustang Jeans und Jackets...
Mustang Werbung, 1979
Die Polizei rechnet vor, dass im vergangenen Jahr über 900 Jugendliche Selbstmord begangen haben, 115 mehr als im Vorjahr. Die meisten standen im Zusammenhang mit Schulproblemen, und fast immer waren sie Ausdruck eines persönlichen Protestes. Der Selbstmord ist heute ein Ersatz für die Studentenunruhen, sagt dazu ein Pädagoge.
Frankfurter Rundschau, 1.2.79
Alles muss einfacher werden: der Mensch, die Verwaltung, die Technik, der Verkehr. Nur dann bekommen wir wieder mehr Freiheit, weniger Konsumzwang und Leistungsterror, damit auch weniger Stress, Neurosen und andere Leiden.
Das grüne Manifest, Programm der GAZ, 1979
US-Präsident Jimmy Carter hat seine Landsleute dazu aufgefordert, sein schmerzliches und unpopuläres Programm zum Energiesparen zu unterstützen, weil die einzige Alternative dazu eine nationale Katastrophe sei. Mit Ausnahme der Verhinderung des Krieges ist dies die größte Herausforderung, der unser Land zu unseren Lebzeiten gegenübersteht", sagte Carter. (...)Carter räumte ein, dass die von ihm verkündeten Maßnahmen Veränderungen im Leben der Amerikaner hervorrufen würden. Das Energieprogramm werde zu einigen Teuerungen führen und für jeden größere Unannehmlichkeiten bringen.
Frankfurter Rundschau, 20.4.77
300.000 Menschen feierten in San Antonio bei Frühlingstemperaturen von 25 Grad den traditionellen Kampf der Blumen. Da schrie der 64jährige Ira Attebury: Was ist das für eine Gesellschaft.
Aus seinem Wohnwagen heraus feuerte der Wahnsinnige in die Menschenmenge. Zwei Frauen brachen tödlich getroffen zusammen. 47 Opfer wurden schwer verletzt. Als die Polizei den Wohnwagen nach 45 Minuten stürmte, war der Amokschütze selbst von einer Kugel getroffen - tot.
Hamburger Morgenpost, 30.4.1979
Um Leben und Tod geht es in San Diego: eine Sechzehnjährige ballert Schuldirektor, Hausmeister, einen Polizisten und einige Schüler nieder. Zu Weihnachten hatte sie ein Gewehr auf dem Gabentisch vorgefunden und mit diesem Geschenk wollte sie offensichtlich das Beste machen, was aus ihm rauszuholen ist. Ich tat es nur aus Spaß an der Sache, ich mag einfach keinen Montag. Ich tat dies, weil es ein Weg ist, um den Tag lebendiger zu machen. Niemand mag Montage. Von den Pigs würde sie gerne noch mehr treffen, verkündete sie und aufgeben wollte sie nicht, weil sie zu viel Spaß habe.
Informationsdienst zur Verbreitung unterbliebener Nachrichten, Nr. 267
(...) 68 war die Entdeckung der Spontaneität vom Zufall bestimmt, genährt von der Hoffnung und vom Wunsch nach Kampf und Veränderung. Jetzt sind wir alle völlig aufgelöst, voller Bitterkeit, Traurigkeit und Groll, denn unsere Arbeitslosigkeit und Emargination nimmt an Bedrückung ständig zu (...), und jetzt fühle ich mich wie der letzte Dreck und habe Angst, dass alles zu Ende geht und wir in wohlbekanntes Schweigen und Öde zurückfallen.
Eine Frau, die die Schnauze voll hat. Wandinschrift in Rom, 1978
DIE ISOTOPEN EINER IRREALEN WELT
Diese Welt ist nicht das geworden, was die Ökonomie versprochen hatte. Die Kluft zwischen Ökonomie und ihrer Verheißung ist sichtbar, unauffüllbar. Aus dem reinen Produktivismus entsteht nur die Entfremdung, diese produziert aber nur Spiegelbilder der Entfremdung. Dem Verlust der Einheit des Lebens, die in einer künstlichen Verschmelzung der abgetrennten Bilder in einem Denken des Scheins existierte, tritt die Versubjektivierung des Stillstandes gegenüber.
Die Retrospektive ist so wirklich das Erkennen des nicht mehr Steigerbaren. Die Kontinuität der Entwicklung der Produktivkräfte ist gestört, die dem Kapital eigene Kurzfristigkeit problematisch, sein wohlständiger Charme des besseren Lebens verflüchtigt.
Das vermehrte Überleben ist die reicher gewordene Entbehrung.
In ihrer Negativität zur Modernität dieser Epoche ist die Retrospektive zugleich rückständig als auch als moderne Produktivkraft tätig, indem sie Teil hat an der Auflösung der Geschichte, als einer Geschichte der Veränderung, und indem ihr eine Praxis der Belebung des Politischen, der spektakulären Beteiligung, entspricht.
Im Beleben der Tradition findet die Gegenwart Stabilisatoren. Die Vergangenheit ist die Identität der Gegenwart. Die Gegenwart und Zukunft erscheinen nicht mehr vorstellbar. Alles zerfällt, die Schatten der Vergangenheit nehmen zu.
Retrospektivische Bilder der Natürlichkeit und Echtheit des Erlebens (die es kulturell nur als das Unausgedrückte, unmittelbar Erlebte geben kann, und die im getäuschten Blick zurück immer der Trennung anheim fallen müssen) drücken den Wunsch nach dem einfachen Leben aus, die Unfähigkeit, die Gegenwart zu bewältigen, d.h. die Unfähigkeit zur Herrschaft über die Vergangenheit in der Gegenwart.
Der Einzelne verliert sich in der Traumatisierung seiner Verhinderung; gefangen in einem Historizismus seines ahistorischen Denkens seine Rolle suchend, um einen Ort der Identität zu finden.
In einem Zustand der Unkenntnis ist dieser Ort der Identität ein Ort der Ordnung. Die Ordnung ist das einzig Materielle der Erinnerung.
Das Denken über diese Epoche, das die abwesende Dichte und Einheitlichkeit in den Schemen der Vergangenheit wirklich findet, verdeckt und beschleunigt die Tatsache, dass es doch weitergeht. Spätestens der Widerstand, der der Verwirklichung des Alten entgegengebracht wird, macht deutlich, dass das Alte nicht mehr als das Alte gelten kann, sondern in seiner subjektiven Wendung der Krise ein Neues, eine neue spektakuläre Haltung ist, die ihren Inhalt scheinbar in der Sehnsucht nach dem Vergangenen hat und somit bekannt ist, doch zuallererst einmal die neuerliche Herrschaft der Ware, eine Fortentwicklung im Sinne einer Fortentwicklung der Organisation der Herrschaft, einer Organisation des Unerkannten ist.
Die Resignation macht sich die Ordnung, die Macht, als das immer perfektere, umfassendere Verhältnis dieser Gesellschaft zum Inhalt; insofern sie negative Kräfte nur als poröse Membran zu neuen Herrschaftsformen zu erkennen vermag, ist sie selbst rein positiv, die alles überdauernde Haltung, ist ihre Praxis allein die Suche nach ihrer Bestätigung - ist das Wahre ihrer Beschreibung auch stets ein Moment des Falschen.
Im Gegensatz zur Retrospektive, die sich in der Praxis des Zurückgewinnens der Überschaubarkeit der Ordnung des Vergangenen bemüht, kennt die Resignation kein selbstgesetztes Ziel. Was früher anders war, ist nur noch unerträglicher und unabwendbarer geworden. Die Macht scheint ewig.
Die Retrospektive nimmt ihre Kraft aus der individuellen Erinnerung, sie ist eng und kleinkariert, nur selten haben ethnoideologische Überlagerungen tatsächlich mehr als nur Hintergrundcharakter für die Beschaffenheit ihrer Bilder, die viel eher dem modernen medialen Zusammenhang (Film, TV, Werbung) entspringen.
Die Resignation entlehnt ihre Kraft aus dem subjektiven Scheitern, das in einer verfälschenden Geschichte als die Permanenz des Scheiterns des Menschen schlechthin verarbeitet wird. Die Wirkung der Entfremdung und Zerstückelung als das alltägliche Versagen und Leiden wird nicht als eine Zersetzung der Illusionen und der Ideologie positiv gewendet, und als das Getrennte, Trennende erkannt, sondern trägt in seinen rituellen Ereignissen, seiner Wirklichkeit die lineare Geschichte der Herrschaft zusammen.
Der Mensch der modernen Resignation ist arm. Sein Handeln nur die Vollstreckung quälender Zwänge oder die offene Aufeinanderfolge tausender Sinnlosigkeiten. Er lehnt diese Welt ab - allein, der Glaube fehlt. Das heißt, er ist sich selbst so weit entrückt, dass die Vitalität des Kampfes, die Kraft der Veränderung, die bewusste Tätigkeit zur theologischen Frage geworden sind. Läßt die kapitalistische Rationalität die christliche Verheißung des Paradieses verblassen, so erscheint ihm das Leben selbst als religiöses Gelübde.
In Zeiten der Abwesenheit einer sozialen Bewegung wird die Resignation zur permutierenden Kraft der Geschichte, eine Opposition gegen die Eskalation der Herrschaft, die in selbstzerstörerischer Weise das Menschenmaterial für ihren Gegner, die Kybernetisierung, vorbereitet.
Der Nihilismus ist die Diva der Ideologien, der Negation des Lebens - die Ideologie des Negativen.
Verdinglichung, die Akkumulation von Tauschwerten, die Wirklichkeit des Austausches zwingen dem Leben die Leere einer von Nichtigkeiten platzenden Fülle auf - die Ware ist die materielle Substanz eines objektiven Nihilismus geworden, vor dessen Unerbittlichkeit und Kälte der individuelle Nihilismus nur noch eine tragisch-komische Figur abgibt.
Bis dahin hatte die Entlarvung dieser im Laufe der geschichtlichen Entwicklung zwar immer klarer werdenden, aber den meisten noch nicht offensichtlichen und von der herrschenden Klasse verleugneten Negativität der angeblich positiven Welt die negativen Kräfte entstehen lassen, die unter der unvermeidlich zweideutigen Benennung von Nihilisten diesen Kampf dynamisch-positiv und erfolgreich führten.
Heute hat sich mit dem Übergang der bourgeoisen zur spektakulären Warengesellschaft die dem Kapitalismus eigene Herrschaft der toten Arbeit über die lebendige so vervollständigt und verallgemeinert, dass sie das gesamte menschliche Leben unterwirft. Der Nihilismus findet sich im Spektakel einer Welt wieder, die nicht nur das Negative geworden ist, sondern es nicht mehr verleugnen kann. Die Nichtigkeit dieser Welt wird heute von der geschichtlichen Wirklichkeit und von ihr selbst propagiert.
Nihilist ist also heute jeder, der sich in diese negative Welt einfügt und sich in seiner Denk- und Verhaltensweise den ihr innewohnenden Nihilismus aneignet. So ist zum Beispiel in der spektakulär negativen Gesellschaft der Strukturalismus die gedankliche Ordnung des Nihilismus.
Heute wie gestern aber muss jeder, der aus diesem ideologischen Nullpunkt hinaus will, um wieder an die Bewegung des Lebens anzuknüpfen, den menschlich unhaltbaren Boden des Nihilismus verlassen. Aus diesem unterentwickelten Bewusstsein, das nur die Bewegung der Auflösung wahrnehmen kann, muss er zum höheren Bewusstsein gelangen, das ihm eine Einsicht in die entgegengesetzte Bewegung der Verwirklichung der Geschichte ermöglicht.
In diesem Maß ist es heute wie gestern möglich, nicht nur den letzten Entlarvungskampf gegen die Inszenierung zu Rekuperationszwecken des eigenen Nihilismus durch die spektakuläre Warengesellschaft zu führen, sondern auch eine theoretisch-praktische Kritik der vom Grund aus nihilistischen, modernistischen alten Welt zu entwickeln, was die einzige Möglichkeit ist, zu ihrer revolutionären Abschaffung zu kommen.
Retrospektive, Resignation und Nihilismus sind drei gleichermaßen falsche Antworten auf die absolute Ablehnung des Individuums durch die Gesellschaft der Ware: Die Antwort der Retrospektive ist der sehnsüchtige Blick zurück, die Restauration in kleinen Schritten; die Resignation bemüht sich um die gleichmäßige Verteilung des Elends des Scheiterns innerhalb der Geschichte, sie erwartet sich keine Aufregung mehr, weder von der Vergangenheit, noch von der Gegenwart und Zukunft, das Scheitern ist verallgemeinert; der Nihilismus schließlich antwortet mit der ideologischen, absoluten Ablehnung der individuell-kollektiven Verwirklichung der Selbstmord ist Programm.
Indessen, diese Ideen besitzen eine Macht, die sich kaum über zwei Jahrhunderte - die der Parteipolitik - erstreckt. Sie werden zuletzt nicht etwa widerlegt, sondern langweilig. (...) Man gibt endlich nicht diese oder jene Theorie auf sondern den Glauben an Theorie überhaupt und damit den schwärmerischen Optimismus des achtzehnten Jahrhunderts (...). An seiner Stelle keimt heute schon aus Seelennot und Gewissensqual eine neue resignierte Frömmigkeit empor, die es aufgibt, ein neues Diesseits zu begründen, die statt der grellen Begriffe das Geheimnis sucht und es in den Tiefen der zweiten Religiosität auch endlich finden wird.
Oswals Spengler, 1922
Wir behaupten also, dass der Mythos eine entscheidende Kraft im politischen Gefüge darstellt, nicht nur Beiwerk, ästhetische Arabeske ist, sondern der notwendige Hebel, damit sich überhaupt etwas bewegt: gerade weil er irrational ist, weil er sich nicht kritisieren läßt, weil er nicht auf den Begriff gebracht werden kann (...).
Wir beginnen unseren Text mit dem Mythos: nicht um ihn zu widerlegen, sondern um ihn zu beleben. (...) Wir setzen unsere Werte selbst, als Ausdruck unserer schillernden Macht - wir setzen den Wunschmythos gegen den Staatsmythos, den Zigeuner gegen den Städter, die Hexen gegen die Priester, die Tänzer gegen die Advokaten.
Röttgen/Raabe, Vulkanzänzer
Neben Technik und Kunst steht für uns Religion. Ist es nicht Zeit, dass wir lernen mit der jüdisch-christlichen Tradition neu umzugehen?
Informationsdienst zur Verbreitung unterbliebener Nachrichten, 17.2.1979
Die Prima Materie der sittlichen Sklaverei
Wenn die Menschen ihre Zeit, ihre Vergangenheit und Gegenwart nicht mehr begreifen, wenn sie sich bar jeder Geschichte empfinden und ohne Empfindung ihrer Praxis sind, wird die Unsicherheit zur Geburtsstunde ewiger Sicherheiten.
Im Traum einer ideellen Antiwelt, als wahrnehmbare Opposition zur Wirklichkeit, staut sich vor dem tatsächlichen Handeln eine Zone starrer Bilder.
Auf der Suche nach dem positiven Schönen ist der Ausgleich mit dem Realen die Quelle aller Vorstellungen, aus der diese Welt gegen die Kraft der Kritik verteidigt wird; in einer Ästhetik des Irrealen ist die Negation das Übel schlechthin.
Als isolierte Hoffnung ist der Mythos die Rückfindung in eine Naturordnung des Lebens, die erklärt, dass ein Zusammenhang existiert selbst dort, wo die Vermutung einer dunklen Vergangenheit ihr Beweis ist.
An diesem Nullpunkt der vorgeschichtlichen Zeit kehrt der ganze Ethos des Weiblichen, der sprechenden Bäume und Kieselsteine, kehrt die ganze Prima-Materie der sittlichen Sklaverei zurück.
Der gesellschaftliche Mythos, als Verhältnis des Menschen zu den Dingen, ist in der Ware realisiert, die die soziale Frage mystifiziert.
Der rückblickende Mythos der künstlichen Einheitlichkeit der Welt kann sich in seiner letzten Erscheinung nicht anders realisieren, als durch die Ware selbst, die die Abwesenheit des Sozialen gesellschaftlich lebbar macht. Die Vergangenheit wird als Ware erlebt, die einen illusorischen Zusammenhalt der Zeiten produziert.
Weltuntergang als Notlösung?
Schlagzeile, Die Zeit, 9.3.79
Nach den Prognosen der Wiener Zukunftsforscher werden bis zum Ende unseres Jahrhunderts 85% der Ehen mindestens einmal geschieden sein. Bis zum Jahre 2075 wird sich die Todesrate bei Verkehrsunfällen um 200% erhöhen; die Selbstmordhäufigkeit bei Jugendlichen wird bis zum Jahr 2000 um 85% steigen; etwa 15% der Einwohner Europas werden 2075 durch Selbstmord sterben.
Frankfurter Rundschau, 30.12.78
Eigentlich hätte sich New York lange selbst zerstören müssen - durch Panik oder Feuer, oder Plünderungen, oder das Versagen irgendeiner der lebenswichtigen Versorgungsadern in seinem Kreislauf. Immer droht die Katastrophe.
E. B. White
Für einen Flug zu seinem Heimatort hat der amerikanische Präsident den 'Weltuntergangs-Jet' benutzt. Carter nannte den Flug eine ernüchternde Mahnung an die Notwendigkeit, auf eine generelle Abrüstung hinzuarbeiten und die Gefahr eines nuklearen Krieges zu verringern.
Mannheimer Morgen, 14.2.79
Inzwischen registrieren die Kinos der Vereinigten Staaten, in denen der Film 'The China syndrom' gezeigt wird, täglich volle Häuser. In diesem Film wird ein Unfall in einer Atom-Anlage beschrieben, der dem registrierten in Pennsylvania sehr ähnelt. Die Realität imitiert die Kunst, überschrieb gestern eine Tageszeitung ihre Besprechung des Films, dem vorgeworfen worden war, angstmacherisch und links zu sein, da er zeigte, dass die Besitzer des Werkes die bestehende Gefahr der Öffentlichkeit verheimlichen wollten.
El Pais, 31.3.79
Die Angst vor der Atombombe ist nicht so schlimm wie die Langeweile.
Ortega y Gasset
Schweres Wasser
Mit dem Ausgang des Mittelalters fällt das Bewusstsein einer naheliegenden Erlösung in sich zusammen; die Einführung des Christentums geht unter innerhalb einer Ordnung des Koexistentiellen. Die Fremde wird Heimat, ein Zuhause, das nicht mehr verlassen werden kann. Den Schrecken gilt es neu zu ordnen, und der Ordnung kommt es zu, diesen zu verwalten.
Aus dieser Unsicherheit tauchen die apokalyptischen Reiter als symbolische Bilder der Angst, in der von nun an die globale Trennung des Menschen zu sich und der Welt, die nie die seine sein sollte, lebhaft sich auszudrücken beginnt.
Die glücklichen Tage einer trüben Hoffnung sind der trübsinnigen Hoffnungslosigkeit gewichen.
Als verzerrte Summe der gesamten historischen Entfremdung, als globaler Alp, tritt die Apokalypse in den verschiedenen Epochen hervor, um nie anders einzutreten, als wie ein schlechtes gespenstisches Ende, mit dem jede Epoche angereichert ist.
So wie Harrisburg die Universalität der Bedrohung ausdrückt, so drückt sich in der Aufnahme dieses lokalen Ereignisses die Bereitschaft aus, die Bedrohung anzunehmen. Der apokalyptische Schauer wird umgekehrt; nicht mehr das Ende, sondern die Abwendung wird mobilisiert.
Die statistische Wahrscheinlichkeit ist die Projektionsfläche der schnell wechselnden Visionen ihrer angenommenen Bedrohung, in deren Synchronisierung das zum alltäglich gewordene Besondere als das besondere Alltägliche eingeblendet wird; die Durchsetzung der Bedrohung: der Eintrittspreis der modernen Stimuli.
Jeder hat die Möglichkeit, beim Aushub des eigenen Grabes zum Retter der letzten Tage erklärt zu werden.
Das Ende aller Zeiten wird zum Ende bestimmter Zeiten. Geschichtliches Bewusstsein, als Ausdruck der gemachten Welt, entzieht dem Apokalyptischen die geschichtslose Endlichkeit und verweist diese in den Zustand eines nicht mehr außerordentlichen, sondern allgemeinen Schreckens.
DAS ENDE DER VORGESCHICHTE
Leben von Minute zu Minute
Ein Tag wie jeder andere - warum ihn dann nicht ein bisschen versüßen? Lena ist 17 Jahre und 214 Tage alt. Lisa auch. Lisa mag Spaghetti carbonare, Creme-Hütchen, Chopin und Werner. Lena auch. Wo's geht, machen sie halbe-halbe. Lisa liest eben die ersten 347 Seiten vom Butt, Lena die nächsten.
Die beiden wissen, was sie wollen.
Der Baum, der reiche Früchte trägt
Das Vertrauen in die Zukunft ist wohlbegründet, wie man sieht. Für die Babies jedoch wird es später vielleicht gleichgültig sein, ob sie VW-Mitarbeiter werden oder anderswo in ihrem Lande gutes Geld verdienen. Für VW ist es nur wichtig, dass es ihnen gut geht. Denn nur dann können sie auch Autos kaufen.
Damit noch Generationen den Nutzen davon haben.
Der wahre Geschmack von Freiheit und Abenteuer
Bei uns war's wirklich Liebe auf den ersten Ton. Jetzt sind wir zu dritt. Wir haben es so gelernt und wir wollen es weiter so halten.
Lächelnd.
Unsere Tochter in Südamerika hat hübsche Kinder
Fotos sind Erinnerungen, halten Schönes fest und sagen mehr als tausend Worte.
Damit Sie immer stolz zeigen können, was Sie erlebt haben.
Wer baut, ist ein armer Mann
Was sollen wir sonst? 5 Traumreisen für jeweils 2 Personen nach Japan, Brasilien, Texas, Malaysia oder Ceylon; 2 Stereo-Anlagen und viele weitere attraktive Preise können Sie gewinnen.
Denn Möbel kauft man nicht alle Tage.
Die Aufgabe ist klar
Was ist eigentlich ein Kulturmensch? Woran erkennt man ihn? Gibt es keine Möglichkeit mehr, Eigenart und Stil zu entfalten zu dem, was man Kultur nennt? Es gibt sie.
Es wird sie immer geben. Der Mensch, dem es ein Bedürfnis ist, die Dinge nicht nur hinzunehmen und zu konsumieren, sondern sie zu erleben und wahrhaft persönlich zu erwerben, wird immer Möglichkeiten finden. Er wird das Erlebnis dort suchen, wo es den anderen verborgen bleibt. Er wird den Duft des feuchten Laubes genießen und die Kühle der Abenddämmerung auf der Haut, die wohlige Müdigkeit nach der Fahrt und die wohlverdiente Pause. Er wird Kultur entwickeln in den kleinen Dingen.
Die Lösung: eine Software, harmonisiert auf Ihre Probleme.
Der da, der bin ich
Wer nur ein einziges Mal das unbeschreibliche Gefühl kennengelernt hat, absolut unabhängig und frei zu sein, der ist diesem Rausch hoffnungslos verfallen.
Das ist der Grund, weshalb alle wichtigen Kaffeemaschinenhersteller ihre Geräte auf die Melitta-Filtertüte abgestimmt haben. Heute filtern Millionen Hausfrauen in mehr als 100 Ländern Tag für Tag mit den aromaaktiven Melitta-Filtertüten.
Selbsthören macht schlau
Ein Freund von uns ist audiophil. Dem konnten wir ganz schön was erzählen. Also, da gibt's die Dolby-Rauschunterdrückung im Recorder, den Spitzentuner mit vier Wellenbereichen, den Verstärker mit 250 W für die beiden Dreiweglautsprecher und dann sind da noch ... Aber was soll's?
Wir hören mit den Ohren, nicht mit dem Oszillographen. Wenn Sie Leistungsdaten interessieren, sehen Sie nach rechts ...
Je mehr sie erwarten, desto besser für uns
Ohne Wald wäre der natürliche Kreislauf der Natur gestört. Unsere Erde würde langsam versteppen. Aber Erdöl schützt nicht nur den Wald. Erdöl schützt auch unsere Ernten. Aus Erdöl werden heute schon Insektizide hergestellt, die sich selbst vernichten, nachdem sie die Schädlinge vernichtet haben.
Ohne Erdöl gäbe es keine Computer, die uns das Rechnen, Ordnen, Regulieren und Prüfen abnehmen. Erdöl ist eben mehr als Heizöl oder Benzin. Viel mehr.
Das falsche Essen - und die Folgen
Und abends mit Bettina und Wolfgang zum Chinesen ... das war ein schöner Tag!
Zur Unterstützung nehmen Sie vor dem Schlafengehen Bekunis.
Ich habe wieder versagt, beinahe hätte ich mich heute umgebracht.
- Ach ja ... gestern Abend. Wie spät ist es denn geworden? Ich muss sehr müde gewesen sein.
- Müde? Du warst scheintot.
- Aber wie bin ich denn ins Bett gekommen? Wie kommt überhaupt das Bett ins Wohnzimmer?
- Das ist die Couch, auf der wir gestern abend gesessen sind. So eine zum Aufklappen ... Solch neue Kunst- und Erfahrungsspiele, Fortsetzung der Happenings aus den 60er Jahren, finden zunehmend Anhänger...
Damit kein einziges Abenteuer schließlich abenteuerlich endet!
Einfall vom Khaiberpass
Wir stehen also immer noch im Nullpunkt unserer Vorgeschichte, allerdings mit den Erfahrungen einer schon ausgetragenen geschichtlichen Aktion, die uns nicht zu unmittelbaren Zeitgenossen Babeufs macht. Den Revolutionären dieser Moderne bleibt es trotz gegenteiliger Bemühungen erspart, alles noch einmal, ganz von vorn zu beginnen. Dieses Privileg lassen wir unangetastet denen, die immer ganz hinten waren in den geschichtlichen Augenblicken, mit Vorstellungswelten, die nie über einen vergangenen Anfang hinausgekommen sind.
Die Frage nach einer totalen Veränderung des Lebens, ausgehend von dem nicht mehr zurückzuhaltenden Wissen über die ungeheuren Möglichkeiten, die dazu zur Verfügung stehen, die konkrete Kritik am alltäglichen Leben also, das die Menschen wirklich führen, der Zwang und die Leere, die sich darin finden, ist zwar unter viel Druckerschwärze und Buntfarben der Werbeindustrie und intellektuellen Halbheiten, ja sogar unter dem Staub von Regierungsakten eines Ministeriums für die Lebensqualität begraben, nicht aber erstickt worden. Die falsche Apotheose, der ganze Dunstkreis von Utopismus, ist nicht zuletzt Resultat dieser begleitenden Manöver der Macht. Trotzdem lassen sich die authentischen Momente eines zu erfindenden anderen Lebens noch recht genau ausmachen. Die utopistische Sehnsucht, ein Modell zu finden, das hier und heute augenblicklich all die Positivität besitzt, die die tote Zeit ausscheidet, leidet daran, dass sie schon einmal die Schiffbruchslaterne war, mit der eine naive undialektische Welt unterging: War in der 48er Revolution noch ein Trotzen gegen die Zustände enthalten, so sind heute darin nur noch die trotzenden Zustände vorhanden: Der Utopismus ist schon damals endgültig gescheitert.
Das sinnentleerte und jeder Hoffnung beraubte Leben, das alltäglich und grau vor sich geht, das scheinbar kein Ende nimmt, wie es scheinbar genauso wenig einen Anfang hatte, ist unzweifelbar der Motor, der uns antreibt, gerade hier den Drehpunkt für unseren Hebel zu sehen, mit dem alles umzustürzen ist. Keine Modernität kann diesen Zustand des allgemeinen Elends und der kulturellen Betäubung abschaffen. Die Revolution als Transformation des Lebens ist untrennbar verbunden mit allen anderen Veränderungen der Welt. Sie spiegelt letztlich die tatsächliche Veränderung wider. Darin liegt von nun an der Unterschied und Scheidungsgrad zu allen vorhergegangenen Revolutionen. Keine revolutionäre Bewegung kann ohne den Kernpunkt des alltäglichen Lebens dem Anspruch eines emanzipatorischen Werkes mehr standhalten; hier liegt der Maßstab, dem alle anderen Maßnahmen untergeordnet sind.
Wer heute vom alltäglichen Leben redet, ohne von der Revolution zu sprechen, führt einen Kadaver im Mund.
Die Situationistische Internationale war in der Zeit der fünfziger und sechziger Jahre die zentrale Achsenmacht des aufständischen Bewusstseins. Sie blieb durch ihre Selbstauflösung nach '68 vor dem Fehler verschont, sich in einer möglichen Wiederholung zu erschöpfen, es gelang ihr sogar noch, dem aktiven Zuschauer, dem kontemplativen Situationismus, eine epigonale Legitimation zu entziehen. Gleichwohl zeigt sich in ihrer Selbstauflösung auch, dass die Erwartungen, den revolutionären Aufstand nach 1968 in einer dichteren Form weitergehen zu sehen und somit eine solche Bewegung wie die der Situationistischen Internationale darin überflüssig zu machen, übertrieben waren. Spätestens nach dem italienischen Herbst des Jahres 1969 und dem Reichstagsbrandgeruch der Piazza Fontana geriet die Offensivkraft der neuen revolutionären Welle ins Stocken. Nicht nur die falschen Vorstellungen falscher Siege, sondern vor allem das Wiederauftauchen der militärischen Kriegsführung durch die importierte Stadtguerilla schufen eine Reihe von Flutbrechern, deren vorgelagerte Position den ganzen Etatismus in der Tradition eines blanquistischen Konzepts der geschichtlich möglichen Befreiung entgegenstellte. Die bolschewistische Tradition konnte so kräftiger in Aktion treten und erscheinen, als sie wirklich noch war. Die Leninisten mit Knarre haben im entscheidenden Moment den Niedergang der spektakulären Vermittlung gerettet, indem sie diese militarisierten. Die Gesellschaft des Spektakels hat nachziehen können und verteidigt ihre Lüge durch eine militärische Zentrierung von neuem.
Jenseits aller Verklärung läßt sich sagen, dass die Auflösung der Situationistischen Internationale auch eine Krise der modernen proletarischen Revolution war, die ihrer Strategie und Taktik. Für uns ist ihre Auflösung, neben einer verständlichen polemischen Übertreibung durch die Vorgänge innerhalb der Organisation selbst, Ausdruck des Bruchs mit der Epoche, mit der auch eine negative Rückwirkung auf die Revolutionäre selbst einhergeht, in dem Moment nämlich, wo sich der Druck von Rückschlägen weniger stürmischer Tage einzustellen beginnt.
Die Situationistische Internationale ist bis zum Schluss ihrer Existenz sich selbst treu geblieben, sie hat an keinem Punkt ihrer Geschichte einen verlogenen Opportunismus zugelassen, in den fast alle verfallen waren, sie verstand es, einer Radikalität gerecht zu werden, die die ganze Radikalität unserer Zeit ist. Sie hatte recht, als sie 1963 sagte: Die Situationistische Internationale hat Wind gesät, sie wird Sturm ernten.
Die Aufgabe einer revolutionären Organisation liegt nun genau darin, jenseits einer Modellpräsentation als Ersatz für die zertrümmerte Tradition die Zugangskanäle, welche durch die Organisatoren des Scheins überwacht werden, so weit zu verbreitern, dass die Abschnürung von den weit vorgedrungenen revolutionären Elementen beendet wird. Die Aufgabe, vor der wir stehen, ist keineswegs kleiner als die Eroberung des Khaiberpasses. Das Bewusstsein über die Höhe der heute möglichen Befreiung muss zu denen gelangen, die allein über die Macht der Durchsetzung verfügen. Wir müssen genau ins Herz der Gesellschaft einfallen. Dazu ist eine globale revolutionäre Achse notwendig.
Die Ältesten von uns sind dreißig Jahre alt: trotzdem haben wir bereits Schätze verschleudert, tausend Schätze an Kraft, Liebe, Kühnheit, List und rauhem Willen; ungeduldig haben wir sie weggeworfen, in Hast, ohne je zu zögern, ohne uns auszuruhen, ohne Atem zu schöpfen ... Schaut uns an! Noch sind wir nicht außer Atem. Unsere Herzen kennen noch keine Müdigkeit, denn Feuer, Hass und Geschwindigkeit nähren sie! ... Das wundert Euch? ... Das ist logisch, denn ihr erinnert Euch ja nicht einmal daran, gelebt zu haben! Aufrecht auf dem Gipfel der Welt, schleudern wir noch einmal unsere Herausforderung den Sternen zu!
Marinetti 1909
Der erste Verdienst einer richtigen kritischen Theorie ist es, gleich alle anderen als lächerlich erscheinen zu lassen.
Guy Debord.
Vorwort zur vierten italienischen Ausgabe der Gesellschaft des Spektakels
... plötzlich aber, noch ehe er zu sprechen anfängt, ertönt aus der Menge der Deputierten eine klare, ruhige Stimme: Ich beantrage das Verhaftungsdekret gegen den Bürger Robbespierre! Alle Köpfe fahren herum. Wer hat da gesprochen? (...) Es ist der Bürger Louchet. Louchet, Louchet? Keiner kennt ihn. (...) Der Präsident muss erst in der Liste blättern...
Nie vordem hat man auch nur einen Laut aus seinem Munde vernommen. Aber heute spricht er diese acht Worte, die einen Sturm entfachen werden, so leidenschaftslos und bieder. (...) Ohne das geringste Anzeichen von Unruhe gibt er seinen Namen an, als der Vorsitzende den Antragsteller wissen will. Während dieser Namensangabe holt die Menge gewaltigen Atem. Und dann bricht der Tumult los. Alles springt auf, schreit durcheinander: Abstimmen, abstimmen - - abstimmen! Verhaften!! Es lebe die Freiheit weg mit Robbespierre! Thuriot muss abermals die Glocke schwingen: Wer ist dagegen? Keine Hand fährt hoch, nicht das geringste Zucken wird sichtbar. Der Antrag ist angenommen. Gendarmes! Die Sitzung ist geschlossen.
Hans W. Wahlberg,
Acht Worte beenden die Terrorherrschaft Robbespierres
Der Wille zum Leben! Ich würde dem hinzufügen: jetzt sofort! Die persönliche Emanzipation. Und der Kampf aus Freude am Kampf und am Ungehorsam. Ein giftiges, aber vielleicht fruchtbares Beispiel. Auf alle Fälle: leben! Aufsässig und nicht auch von der Zukunft betrogen.
Zo d' Axa
... hat man einmal den Weg des Aufstands beschritten, so handle man mit der größten Entschlossenheit und ergreife die Offensive. Die Defensive ist der Tod... Überrasche deinen Gegner, solange seine Kräfte zerstreut sind, sorge täglich für neue, wenn auch noch so kleine Erfolge...
Karl Marx/Friedrich Engels, Revolution und Konterrevolution in Deutschland
Insoweit der Mensch verändernd auf die Natur einwirkt, verändert er seine eigene Natur.
Georg Friedrich Hegel
Wir sind nichts; was wir suchen, ist alles.
Friedrich Hölderlin
Diese Tatsache wurde mir besonders klar, als ich einen Organisator der Revolte an der Straßburger Universität im großen Hörsaal der Sorbonne über seine Erfahrungen sprechen hörte. Die Professoren erwähnte er mit jenem Ton von Verachtung, der sich unter vielen dieser Studenten breitgemacht hat. So habe ihn jemand gefragt, warum er denn den Universitätsbehörden nicht deutlich erklärt habe, worum es bei dem Studentenanliegen gehe; er habe geantwortet: Wir diskutieren doch nicht mit Leuten, die überhaupt nicht existent sind!
Spender, Das Jahr der jungen Rebellen
Wollt Ihr also mit Eurer Freiheit Ernst machen, so bleibt nicht auf halbem Wege stehen. Begnügt Euch nicht damit, diese oder jene Form der Knechtschaft anzugreifen; verfolgt und zerstört die Knechtschaft von Grund aus: seid radikal! Es gibt nur eine Knechtschaft, wie es nur eine Freiheit gibt! Das Wesen des Menschen, das Spezifische, wodurch er sich vom Tiere unterscheidet, besteht eben in seiner freien, von jedem äußeren Zwange unabhängigen Tätigkeit. Diese Freiheit ist, wie das einzige Leben, so auch der einzige Genuss des Menschen.
Moses Hess, 1843
... die Harmonie, in der die Einheit nur durch den regelmäßigen Zusammenstoß der Rivalitäten und die Kontraste der Ungleichheiten hergestellt werden kann.
Ch. Fourier
Die wirklichen Revoltierten sind Männer der Aktion. Sie geben sich dann zu erkennen, wenn sie zuschlagen.
Zo d' Axa
Wir sollten nicht vergessen, dass es unsere Aufgabe ist, frei zu sein... Cornegidouille! Wir werden nicht alles niedergerissen haben, solange wir nicht sogar die Ruinen zerstört haben.
A. Jarry 1900
So ist desto gewisser, was wir gegenwärtig zu vollbringen haben, ich meine die rücksichtslose Kritik alles Bestehenden, rücksichtslos sowohl in dem Sinne, dass die Kritik sich nicht vor ihren Resultaten fürchtet und ebensowenig vor dem Konflikt mit den vorhandenen Mächten.
Karl Marx.
Brief an Ruge, September 1843
Dann, Gemäßigte, gibt es für euch keine Zuflucht mehr auf den Straßen, in den Häusern, in Kulturtempeln, in Bordellen, nicht in der Kinder Unschuld, nicht in den blauen Tränen der Frauen! Dann nagelt euch plötzlich - Eulen und Rhetoren - die tyrannische Freiheit an eure Türen, dann wirft sie mit gewaltigem Auflachen ihren Namen dem Universum entgegen. Und das Universum geht zu künden, dass die Freiheit jetzt den Namen der Unaufhörlichen Revolution trägt.
Louis Aragon
Um keine Zeit zu verlieren, muss man auf den Kopf zielen - die schändliche Geschichte der Religionen verbreiten, jungen Pfaffen das Leben unmöglich machen, dem Verruf der Missliebigkeit aller Organisationen und Sekten ... beitragen, indem man sie durch all die Mittel lächerlich macht, die die Phantasie erlaubt.
Magritte, Mesens, Nouge, Scutenaire, Souris
SCHRITT HALTEN, REVOLUTIONÄRE!
Gegen die totalitäre, alles und jeden umfassende Macht dieser Welt - die, indem sie alles verwaltet, alles trennt und in Bruchstücken existieren läßt - ist die Frage der Organisation einer jener Angelpunkte, die über Scheitern oder Erfolg jeder von außerhalb und gegen diese Welt gerichteten Perspektive entscheiden. Denn zuerst und zuallerletzt organisiert diese Welt unabhängig von Zustimmung, selbst von Verweigerung, diese Zwangsorganisation, die das gesamte Leben eines heutigen Individuums zu regeln und zu lenken versucht. Sie bekommt nur dort Brüche, wo das Gegenteil von der so geschaffenen Abwesenheit jeder Authentizität und Gemeinsamkeit beginnt: in der persönlichen Haltung, die sich nicht damit zufrieden gibt, dass die Zusammentreffen von Individuen in verfälschten Bahnen zustande kommen, die zwangsläufig nur die Illusion kennen, eine Haltung, die damit beginnt, eine handelnde Kommunikation zu schaffen.
Die Organisation ist eine Produktivkraft, oder sie ist Fetisch. Die produzierten Momente sind die des Spiels, deren Ziele mit den Mitteln innerhalb der Bewegung erfunden werden. Das Produktionsziel ist eins mit dem Produktionsmittel: konstruierte Sozialität. Die Produktivität liegt in der praktischen Wirklichkeit des Moments des Produzierens selbst, wobei das Produzieren bewusst unter den historischen Bedingungen gesehen wird, durch die es bedingt wird und die es bedingen.
Die Notwendigkeit des kollektiven Zusammenschlusses als der Ebene des Anti-Staates, der Anti-Ökonomie birgt gleichzeitig die vollzogene und zu vollziehende Aufhebung innerhalb der sozialen Kommunikation. Der Zweck der Organisation ist ihre Auflösung im Sozialen.
Im historischen Prozeß der Bewegung befindlich ist das Wesen der Organisation ihr Werden, und doch muss alles schon durch ihre Existenz selbst ausgedrückt werden. Wer ihr Wesen betrachtet, findet darin die Geschichte der Revolution. Nichts hat sie schlecht machen können. Sie ist Ort geschichtlicher Kraft, der die uneingelösten Forderungen der Vergangenheit aufnimmt und die der Gegenwart entwickelt. Produktionszentrum, jedoch kein Modell, das revolutionäre Prototypen zur Serienfertigung benutzt wie die alternative Bewegung im Parallelrhythmus zur Herrschaftszeit nicht nur unserer Epoche. Die permanente kollektive und individuelle Veränderung untergräbt eine ideologische Fixierung, deren bekannte Zukunft ein Leben in der Gegenwart ersetzt. Anders als bei den Anarchisten, deren Handlung und Organisation die Antizipation ihres gesellschaftlichen Endziels war, und als bei den Bolschewisten, die sich als Vollstrecker und Wächter der Geschichte empfanden und ihre Organisation als den einzigen Garanten für die erfolgreiche Plansollerfüllung betrachteten, ist die Organisation, um die es hier und heute für uns geht, zwar die Organisation des proletarischen Bewusstseins, nicht aber die des handelnden Proletariats selbst. Das Proletariat erfindet im revolutionären Moment selbst und spontan seine Organisation, wie es dies zuletzt und weltweit in den Räten demonstriert hat. Das Proletariat, das sein Leben und seine Tätigkeiten kennt, weiß diese auch genau zu organisieren.
Uns geht es heute um die Konstruktion jenes Tunnels zwischen den Zeiten, in dem wir individuell-kollektiv die Vergangenheit gegenwärtig machen, die vergessen werden soll, und mit dem Experiment beginnen, das in seiner massiven Globalität das Proletariat in seinen Kämpfen zum Ausdruck bringt. Wir sind eine Zentrale des Nicht-Vergessens, eine Antwort und eine Forderung für die geschichtliche Situation.
Die kollektive Achse ist Konzentration und Konkretion der geschichtlichen Forderung, indem sie die Vielfalt der Beteiligten in einem Brennglas vereinigt, das die Willkür des Zufalls durchbricht, im Diffusen zu verweilen, in einer Vielheit ohne Dominanz. Die einzige Kraft ist der Gedanke der Macht.
Im diffusen Spektakel des modernisierten Kapitalismus entwickelt sich die gesellschaftliche Struktur der parzelliert-unsichtbaren Herrschaft weiter samt ihren Angeboten der modernen ideell-pazifistischen Gewaltlosigkeit und der alten, ideologischen Vorstellung und Praxis der anarchistischen Herrschaftslosigkeit. Im konzentrierten Spektakel des bürokratischen Kapitalismus liegt die ideologisch-totalitäre, absolute Macht in den wenigen Händen der Mitglieder der Klasse, die sich als einzige Eigentümerin und Verwalterin der gesellschaftlichen Struktur einer unterentwickelten Warenwirtschaft behauptet hat. Das moderne Proletariat der industriellen Länder, das sich dadurch definieren läßt, dass es jeder Macht über die Bestimmung seines Lebens beraubt wurde, wird erst dadurch zu dem innerhalb der Gesellschaft wirkenden Negativen, dass es das weiß und wieder zu seiner revolutionären Praxis findet, indem es Schlüsse daraus zieht, d.h. sich die praktischen Mittel gibt, sich gerade diese Macht wieder anzueignen. In diesem Sinne hat die revolutionäre Theorie des Proletariats - und wir als Träger dieser Theorie - nur durch ihre Fähigkeit eine effektive Existenz, sich alle praktischen Mittel zu ihrer eigenen Durchsetzung und Verwirklichung zu geben, d.h. ihr Wissen in eine Macht zu verwandeln; aus ihrem Wissen eine Waffe zu machen.
Gegen die illusionäre Wirklichkeit augenblicklicher Gemeinsamkeit setzt die Organisation die Dialektik der individuellen Behauptung und Entwicklung innerhalb der kollektiven Bewegung.
Das Individuum kann sich nur darin zeigen, dass es für die Bedingungen kämpft, die es ganz ermöglichen. Eine kohärente Haltung gibt es nur global: ohne Trennung auf jeder Ebene, ohne Trennung kollektiv und individuell. Die Kohärenz ist keine Idee, sondern eine Praxis, die die Aufhebung der Parzellierung in der Negation mit der schöpferischen Konstruktion verbindet.
Die radikale Haltung eines Individuums erhebt keinen Anspruch - sie besteht. Ihr Sein drückt sich nicht in der Aneignung der Theorie aus, sondern in ihrer permanenten praktischen Weiterführung innerhalb der revolutionären Tätigkeiten. Die Geschichte in den Dienst des individuellen Glücks stellen!
Die Autonomie eines Individuums ist die ständig in Bewegung begriffene, sich ständig entwickelnde Summe der mehr oder weniger zahlreichen und großen Erfahrungen der gelebten Kritik, der praktischen Perspektive der Negation und deren verwirklichten Schlußfolgerungen. Es gilt, als Inkohärente kohärent zu leben.
Die Homogenität einer kollektiven Organisation gründet sich auf die Harmonisierung der Verschiedenartigkeiten - während die Anpassung an eine Gleichheit die illusorische Form von Übereinstimmung wäre.
Der Maßstab für eine revolutionäre Organisation ist die individuelle Bereicherung, deren unmittelbare schöpferische Ergebnisse Merkmal der sozialen Wahrheit werden. Nur dadurch beweist sie ihre andere Qualität. Das kollektiv experimentierte alltägliche Leben operiert bis an die Randzonen der Wirklichkeit und befindet sich mit seinen Entdeckungen auf der aktuellen Höhe der möglichen Befreiung.
Die Qualität läßt sich nicht erklären, sie kann nur experimentiert werden.
J. Dietzgen,
Das Wesen der menschlichen geistigen Arbeit
Wir kennen kein Ziel, keine praktischen Überlegungen und Utilitätsprinzipien, genauso wenig wie es solche im Universum gibt. Ähnlich schafft unser Planet seinen optischen Reiz, ohne zu wissen, ob Berge oder Seen irgendwelchen Nutzen haben; und wenn alles nur auf Zweck ausgerichtet wäre, dann glaubt mir, Kameraden, hätte der Mensch überhaupt keine Kultur. Es ist möglich, dass auch wir in unserem Leben eine Natur schaffen, die die neue menschliche Kultur sein wird; aber es scheint höchst wahrscheinlich, dass wir uns auch fernerhin von dem Kulturträger distanzieren, der das Produkt menschlicher Dummheit ist.
K. Malewitsch 1922
Alles lebt durch die Tat.
Innerhalb einer global entfremdeten Welt findet sich die Aktion einer globalen Aufgabe gegenüber, die über jeden Tatheroismus oder Detaillismus hinausgeht. Es geht nie um irgendeine Forderung zur Verbesserung von etwas, sondern nur um die Herstellung der Voraussetzungen für den globalen Angriff. Um die Feldbereitungen der Kommunikation. Die Aktion ist kein subjektiver Willensakt zur Bestätigung einer imaginären Autonomie, sondern sie schafft die Basis für eine geschichtliche Zusammenkunft auf gesellschaftlicher Ebene. Jede partielle Aktion beinhaltet eine allgemeine Kritik und bringt diese zum Ausdruck. Es geht darum, die globale Perspektive im Detail aufzuzeigen.
Jede Aktion ist Bewegung. Kategorien wie Sieg und Niederlage, Mittel und Zweck zerstören die Globalität des Angriffs, fesseln ihn im Detaillismus. Unser Spiel wird nie zu Ende sein. Es wird sich je nach den materiellen Gegebenheiten verschieden entwickeln. Es bildet immer eine geschichtliche Einheit mit der Welt und den handelnden Subjekten.
Die Distanz der theoretischen Klarheit in der Aktion verhindert falsche Euphorie oder die nihilistische Preisgabe der revolutionären Perspektive. Strategie und Taktik bestimmen die Möglichkeiten und nutzen sie aus, um die Kräfte nicht nutzlos zu verschleißen und aus jedem Experiment die größtmögliche Erweiterung der theoretischen Klarheit und des individuellen Gewinns zu erzielen.
Möge nun eine ganze Schar von Moralisten und Humanisten sogleich über uns herfallen, alle die guten deutschen Seelen, die romantischen Gemüter, die zartfühlenden Schwärmer, die in der Lösung der sozialen Frage die Verwirklichung der ewigen Gerechtigkeit und des wahren Menschentums oder Gott weiß welcher bankrotten Phrase sehen und die bei dieser Frage das Wort Partei nicht begreifen können, weil sie an einen herbeizuführenden gesellschaftlichen Zustand denken, der alle, alle ohne Ausnahme in gleicher Glückseligkeit umfassen soll. (...) Alles Fertige wirkt reaktionär, so auch jedes fertige System, einzig schöpferisch und neugestaltend ist des Volkes ewig unfertige und unvollendete Bewegung; wir unsererseits stehen selbst inmitten dieser Bewegung, wir begeben uns nicht auf den objektiven, beschaulichen Standpunkt des Philosophen, der die Beglückung der Menschheit hinter seinen Büchern und Tintenklecksen seines Pultes austüftelt, während draußen auf dem Markte des Lebens das lebendige Volk seine Gesetze mit blutigen Lettern zeichnet, wir sind immer auf dem Marsche, und wir sind Partei.
Stephan Born, 1848
So gewiss ist es, dass alles an den zivilisierten Sitten nur Falschheit und Verkleidung ist, und dass derjenige, der es zur Regel machen würde, ständig genau an das Gegenteil der moralischen Erscheinungen der Zivilisierten zu glauben, die richtigsten Urteile über sie fällen würde.
Ch. Fourier
Die Revolten sind nicht so sehr a' la 1830, wie man gerne glauben möchte. Der Romantizismus hat seine Epoche geformt und verändert. Man fällt nicht mehr in großspurige Fallen ... Man wird mit Widerstandskämpfern rechnen müssen, die die Subtilitäten des Kampfes kennen. Die Verängstigung der Leute auf den gehobenen Posten ist ein eher günstiges Symptom. Man wird bei jedem Schlag zurückschlagen. Ohne unnötiges Aufopfern und ohne von Fanfarenstößen begleitete Deklarationen. Sehr vorsichtig und selbstsicher. Die Parlamentsherren können Notstandsgesetze herstellen, ganz wie es ihnen beliebt. Der Terror der grauen Eminenzen belustigt uns.
Zo d' Axa, In einem Brief an den Polizeipräfekten
Wir mögen uns irren; höhere Schickung, menschliche Leidenschaften, Interessen, Gelüste und Verirrungen mögen den von uns bezeichneten Untergang der Dinge für kürzere oder längere Zeit aufhalten oder ihm eine andere Richtung geben; neue Erfindungen, Entdeckungen und Ereignisse mögen ihn beschleunigen oder unsere Ansicht von der Zukunft teilweise unwahr machen. Etwas und vielleicht sehr viel davon wird aber eintreffen...
Franz List, Die politisch-ökonomische Nationaleinheit der Deutschen
Was soll daraus werden? Was soll aus uns werden? Wir müssen zu den Fragen dringen, denen eine Kaffeehausclique den Kredit zu nehmen bemüht ist. Wir müssen uns entscheiden, in dieser Zeit kommt alles auf die Entscheidung an.
Richard Huelsenbeck, Afrika in Sicht, 1928
* * *
Entweder der Feind geht über unsere Leichen, oder wir gehen über die seine.
Adolf Hitler. Nach der Entlassung aus der Festungshaft, 1927
Es ist eine existentielle Notwendigkeit zu spielen
Das Spiel ist Wesen der revolutionären Aktion: es erfindet permanent neue Regeln, durchdringt alle Tätigkeiten, zerstört jegliche Schranken gegen die Entfaltung des Lebens. Die permanente Neuerfindung spannt ein globales Klima der schöpferischen Entdeckung über alle Tätigkeiten. Gegen die grundsätzliche Funktionalisierung jeder Geste unter der Herrschaft des Tausches und der Abrechnung setzt das Spiel das Verbrauchen, Verschwenden und die Zerstörung, die ständige Erneuerung.
Stillstand ist Besitz. Die Angst ist der letzte Schrei des Stillstands.
Unser Spiel besteht darin, selbst Gestalter unseres Lebens, Herren und Besitzer unserer Welt zu sein - bewusste Produzenten unserer individuell kollektiven Geschichte. So wie das Spiel erst mit dem Bewusstsein beginnt, wird die Welt erst mit der Geschichte ernst. Wir können uns, seit die Geschichte wieder in die Welt gekommen ist, spielerisch ernst von unserer traurig-grotesken Vergangenheit trennen und der Konstruktion unserer Gegenwart zuwenden. In dieser Welt der Reglementierung und Rekuperation erproben wir die Ansätze, die ein revolutionäres Moment in ihrer Gesamtheit zum Tragen bringen wird.
Ohne die Waffe der Kritik besitzt das Spiel keine Wirksamkeit, und ohne die Waffe des zweckentfremdenden Spiels sind theoretische Erklärungen und Entlarvungen folgenlos. Als getrennter Bereich verfällt das Spiel in die Harmlosigkeit des Dekorativen, nimmt als aktiver Gegner der radikalen Haltung an der Verfälschung teil, solange ein Bewusstsein ignoriert wird, das die Epoche in sich birgt.
Die Zweckentfremdung als ein praktisches Mittel der Zerstörung und Verschwendung bedeutet die Benutzung des gesellschaftlich bestehenden Materials in einem umgekehrt wirkenden Zusammenhang: die Provokation mit den Mitteln des Gegners, die Wiederherstellung des wirklichen Sinns innerhalb der Warenlüge, Neuschöpfung und Weiterführung des radikalen Moments, das das Material beinhaltete, durch die Zerstörung des Zusammenhangs oder Umkehrung banaler Elemente in eine Radikalität.
Den Sinn all dessen ändern, was der Macht dient (Zweckentfremdung) und die Zerbrechlichkeit all dessen zeigen, was der Macht dient (Sabotage) führen, an allen Fronten angewandt, zur äußersten Radikalisierung.
Wir befinden uns im Stadium der Durchsetzung der revolutionären Perspektive. Die Geschichte erscheint als passiver Zustand, obwohl sie kein mystischer Ablauf von unbeeinflussbaren Kräften ist. Sie ist Produkt der Kämpfe um die Emanzipation des Proletariats, Produkt des Kampfes um Bewusstsein und dessen Durchsetzung. Und diese Epoche ist diejenige des möglichen globalen Bewusstseins, eines Bewusstseins, das alle Götter verloren hat, eines Bewusstseins, das fähig ist, eine produktive Distanz zu den Ereignissen zu schaffen, die Perspektive zu verändern durch den aktiven Eingriff in die Geschichte. Die radikale Haltung als Ergebnis und Produzent dieses Bewusstseins macht das Objektive der Geschichte zum Subjektiven und fördert aus dem Subjektiven das Objektive der geschichtlichen Radikalität. Diese Haltung ist Produkt aus der eigenen Kraft und der Entfernung vom Zentrum der Macht. Im Einflussbereich der Macht wird sie absorbiert, weil sie nicht mehr als Gegensatz ansetzt, sondern gegen ihre eigentlichen Interessen eingesetzt ist.
Die Klasse des Bewusstseins besitzt das globale Wissen der Aufhebung. Ihre Thesen werden parzelliert von der Macht rekuperiert. Wir müssen also über das gesellschaftlich Angeeignete an unseren Experimenten hinausgehen und vom Experiment aus das Neue bestimmen. Nie die zurückgelegte Strecke wiederholen. Den klaren Blick nicht verlieren und da eingreifen, wo der soziale Verkehr geregelt wird, da, wo Vorstellungen gebildet werden.
Der Bruch gegen die Konformität stellt uns dieser Welt entgegen, der Bruch mit jeglicher Perspektive, die an das Bestehende geknüpft ist, die kompromisslose Feindschaft mit allen Integrationsbestrebungen, am geschärftesten dort, wo die radikale Kritik unter dem Deckmantel des Modernismus gefälscht, wo die Lüge mit unseren eigenen Worten suggeriert wird, unsere eigenen Waffen gegen uns gerichtet werden sollen. Es geht um die permanente Denunziation, nicht um die Reinheit einer Doktrin zu verteidigen, sondern um die Schlagkraft zu erhalten, die allein in der völligen Distanz liegt, deren Eindeutigkeit nur durch permanent vollzogene Brüche anhand jeden Details bewiesen werden kann. Die Abwesenheit dort, wo nur die Abwesenheit organisiert wird, ist unsere taktische Kraft; sie wird zu unserer globalen Stärke, je klarer sich der gesamte Unterschied behaupten, je bewusster das proletarische Bewusstsein seine praktische Anwesenheit auf dem Territorium der sozialen und handelnden Kommunikation beweisen kann.
Es ist das permanente Interesse der Revolutionäre, mit radikalen Subjekten eine soziale Übereinstimmung zu praktizieren, die sich gegen diese gesellschaftliche Wirklichkeit herstellt. Die Verbindung der isolierten Revolutionäre ist eine Notwendigkeit, die Logik der Organisation ist ihre Verbreitung bis zur Auflösung im revolutionären Moment, wenn ihre Spezifität zu einer sozialen Allgemeinheit geworden ist.
Während in prähistorischen Situationen die Ideen scheitern konnten und sich die Individuen trotzdem dadurch befreiten, scheitern heute nicht die Ideen, sondern die Personen. Es geht uns darum, unser Bewusstsein als soziale Macht zu behaupten.
Revolutionäre, organisiert Euch!
Quellenpublikationen zur revolutionären Intelligenz 1951-1979
Guy Debord. Rapport zur Konstruktion von Situationen
Die Kritik des alltäglichen Lebens beginnt zu sehen.
Paris 1957. Deutsche Erstausgabe. Reihe Flugschrift, ca. 6,80 DM
Situationistische Internationale.
Zeitschrift der S.I.1958-1969
... der geistige Stützpunkt moderner Revolteure.
Paris 1958-1969. Deutsche Erstausgabe.
Überformat in Originalaufmachung, Band 1, 22,00 DM / Band 2, 29,00 DM. Komplett 45,00 DM
Guy Debord. Die Gesellschaft des Spektakels
Das Kapital der jungen Generationen ...
Paris 1967. Autorisierte Edition, 3. Auflage. Englisch Broschur, 12,80 DM
Situationistische Internationale.
Über das Elend im Studentenmilieu
Die Schmach noch schmachvoller machen, indem man sie publiziert.
Straßburg 1966. Historisch-kritische Ausgabe. Reihe Flugschrift, 5,80 DM.
Raoul Vaneigem. Handbuch der Lebenskunst
Alles fängt bei der Subjektivität an, nichts bleibt bei ihr stehen.
Paris 1967. 4. Auflage, 20,00 DM
René Viénet. Paris Mai 1968. Wütende und Situationisten in der Bewegung der Besetzungen.
Wie in den Pariser Straßen die Epoche des positiven Scheins zuende ging.
Paris 1968. Deutsche Erstausgabe. Überformat mit vielen Text- und Bilddokumenten, 18,00 DM
Situationistische Internationale.
Die wirkliche Spaltung in der Internationalen
... unsere Kühnheit war es, in einer Zeit des allgemeinen Schlafs wach geblieben zu sein ...
Paris 1972. Deutsche Erstausgabe. Mit dokumentarischem Anhang, 8,00 DM
Subrealistische Bewegung. Das Ende der Schule
Eine exemplarische Aktion innerhalb der schulischen Sozialisationsfabrik.
Originalausgabe (für den Buchhandel), Hamburg 1979.
Reihe Flugschrift/Collection Subrealist, ca. 6,80 DM
Jetzt! Ein subrealistisches Manifest
... was am warmen Morgen des Jahres 1968 begonnen hat und nun auf rauhen Wegen durch die Nacht zu den Sternen zieht.
Originalausgabe. Hamburg 1979. Paperpack, 16,80 DM
Revolte! Organ der Subrealistischen Bewegung
Zeitschrift gegen das Leben im zwanzigsten Jahrhundert.
Wir begnügen uns nicht mit dem Leben, was wir in uns haben. Erscheint halbjährlich.
Verlegt von der Edition Nautilus, Hamburg